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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 21.04.2004 06:00

Stabübergabe

Von Martin Näf

Zehn Jahre ETH, das sollte gefeiert werden! Nein, ich spreche nicht von den grossen Feierlichkeiten nächstes Jahr, sondern viel profaner von meinem eigenen kleinen Jubiläum. Im Oktober 1994 habe ich das erste Mal regulär einen Hörsaal von Innen gesehen, und war erst einmal erstaunt darüber, dass mich nicht ein grau melierter Herr im Anzug, sondern eine eher bunte Gestalt - damals Abteilungsvorsteher IIIc - begrüsste. Seither ist vieles passiert an der ETH: Abteilungen gibt es nicht mehr, meine Studienrichtung wurde zwei mal kräftig umgebaut, und ich werde auch bei den letzten sein, die noch mit einem Dr. Sc. Tech. die Schule verlassen. Persönlich habe ich ein Studium und zwei Forschungsstellen hinter mir. Genau der richtige Zeitpunkt, mich wie Statler & Waldorf (Google hilft den Unkundigen) zu fühlen, etwas vom Balkon herunterzuschauen und altklug zu lästern.

Im Gegensatz zum Gros meiner Kommilitonen hatte ich das Vergnügen, einige ETH-Organisationen nicht nur anhand deren Feste kennenzulernen, sondern auch etwas hinter die Kulissen zu schauen. Während ich mir in frühen Jahren auch schon die Zähne ausgebissen habe und die schmerzliche Erfahrung machen durfte, dass sich nichts unbedingt in meinem Sinne ändert, selbst wenn die überwiegende Menge der Kollegen meine Meinung von den "skandalösen Zuständen" teilt, habe ich später einige Regeln der Politik gelernt. So zum Beispiel die Lektion, dass mit Lobby-Arbeit hinter den Kulissen meist viel mehr herauszuholen ist als mit offener Konfrontation - auch wenn letzteres Element verbunden mit Publicity als Druckelement durchaus tauglich ist.

Eine Sache allerdings ist mir in den Jahren besonders ans Herz gewachsen: Die Fähigkeit, zum richtigen Zeitpunkt kürzer zu treten und Platz zu machen. Genau dies geht leider vielen sonst hervorragenden Köpfen ab. Ich habe mehr als einen studentischen Verein gesehen, deren Präsidenten aktiv waren, als ich noch Student war, und die beinahe meine Dissertation "überlebt" haben. Das waren immer sehr aktive, engagierte Personen, die sich gerne im Rampenlicht sonnten und dafür auch eine Unmenge Zeit investierten. Sie hatten jeweils ein enorm weit verzweigtes Beziehungsnetz aufgebaut und konnten daher Dinge für ihren Verein erreichen, die andere für beinahe unmöglich gehalten hätten. Ihr enormes Wissen über die Sache wie auch über die Zusammenhänge machte sie zum unbestrittenen Leader. In ihrem Windschatten tummelten sich gerne Mitstreiter, die vom "Drive" profitierten, ihre kleineren Brötchen backten und somit auch ihren Teil beitrugen. Auch die Aussenwelt profitierte von den dominanten Köpfen: Die Zusammenarbeit ist deutlich einfacher, wenn man über Jahre die selben Ansprechpartner hat.

Etwas weniger rosig sah es aus für Leute, die selber "Alpha-Tierchen" sind. Die Entfaltung im Umfeld der grossen Patriarchen ist denkbar steinig. Nichts ist frustrierender als die Erkenntnis, dass man selber mit viel Kraft ein Projekt auf die Beine stellt, und dann im entscheidenden Moment alle Aussenstehenden erst mal den Übervater damit assozieren – genauso, wie lange Zeit "SVP" mit "Blocher" gleichgestellt wurde und immer noch wird. Kein Wunder, dass die Nachfolgefrage in diesem Umfeld nicht einfach wird: Persönlichkeiten mit Führungsambitionen sind kaum im näheren Umfeld zu finden, da sie schon lange zu ergiebigeren Gebieten abgewandert sind oder gar frühzeitig dank Mobbing das Handtuch geworfen hatten. Das angesammelte Wissen und vor allem die Netzwerke an den Nachfolger zu übergeben wird auch nicht einfacher, je länger man damit zuwartet.


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Martin Näf, Doktorand der Informatik und derzeit "ETH Life"- Kolumnist.

Die Lösung für das beschriebene Problem liegt auf der Hand: Frühzeitig Nachfolger aufbauen, Kompetenzen abgeben und zurücktreten, sobald die neuen Personen bereit stehen. Was sich so einfach sagt, ist in der Praxis nicht ganz so offensichtlich. Als ich meine AVETH-Ämter aufgab, hätte ich noch einige Ideen und offene Projekte gehabt. Und natürlich hatte ich – wie jeder andere auch – das Gefühl, dass ich einiges ganz anders und natürlich viel besser als meine Nachfolger gemacht hätte. Doch mit neuen Personen kommt ein neuer Stil, und das soll auch so sein.

Für mich war der Schritt noch relativ einfach, hatte ich doch die nächsten prioritären Aufgaben schon klar definiert. Schwieriger wird es, am Ende der Karriere – wenn möglich auf dem absoluten Höhepunkt, im Scheinwerferlicht der Welt – den neuen Kräften den Vortritt zu lassen. Plötzlich vom einen Tag auf den anderen die Forschung ruhen zu lassen, wo man doch noch voller Energie steckt, fällt nicht leicht. Und doch scheint es mir eine absolute Notwendigkeit, will man dem Nachwuchs eine Chance geben und damit der eigenen Organisation eine langfristige Zukunft ermöglichen. Wirklich nachhaltige Resultate erreicht nur, wer auch seinen Mitstreitern und Untergebenen die Chance gibt, ein Plätzchen an der Sonne zu ergattern. – In diesem Sinne übergebe ich nun den Stab an meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger.


Zur Person

Dass er Informatiker wird, stand für ihn immer fest. Martin Näf, Doktorand am ETH-Computer Graphics Laboratory hantierte schon als Elfjähriger mit einem programmierbaren Taschenrechner, mit 15 entwickelte er kommerzielle Software und verdiente damit sein erstes Geld. Dennoch: Technik in Reinkultur wäre ihm zuwenig. „Ich bin halt zu sehr auch Sinnesmensch“, sagt er. In der Virtual Reality hat er darum sein ideales Tummelfeld gefunden. Für seine Doktorarbeit hat Martin Näf die die Softwareschnittstelle zur Applikation von „The blue-c“ entwickelt, dem grossen ETH-Projekt, das den Weg zur Telekonferenz der nächsten Generation aufzeigt. Mit „blue-c“ kann man dereinst in Zürich eine Person auch dann dreidimensional begrüssen, wenn diese sich in Santa Barbara aufhält.

Leidenschaftlich betreibt Martin Näf sein Hobby, die elektronische Musik. Im hochgerüsteten Heimstudio produziert er Ambient-Klänge von beeindruckender Qualität. Im Frühjahr 2004 beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt: dann wird er 30, und etwa gleichzeitig sollte seine Diss fertig sein. Nach neun Jahren ETH und viel Engagement für Gremien wie die AVETH, den SSD und die Unterrichtskommission des Departements Informatik hat Martin Näf nun einen Postdoc in fernen Landen im Visier.






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