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Rubrik: News
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Publiziert: 02.12.2002 06:00

Ein neuer Erklärungsansatz für Mutationsraten
Lebenswichtige Fehler

(cm) Evolution kurz gefasst bedeutet: Aus verschiedenen, durch Mutation entstandenen Formen werden die am besten geeigneten ausgewählt. Da sich die Eignung meist auf das natürliche Umfeld bezieht, spricht man von natürlicher Selektion. Eine Frage dabei ist, wie hoch soll die Fehlerrate sein, damit geeignete Formen entstehen. Denn zuviel Veränderung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich gar keine Form bewährt.

Der ETH-Forscher Sebastian Bonhoeffer erläutert in der aktuellen Ausgabe von "Nature" (1) zusammen mit seinem Kollegen Paul Sniegowski eine neue Arbeit zu Mutationsraten bei Viren (2). In dieser wird aufgezeigt, dass Viren zwei Schwellenwerte beachten müssen. Sie dürfen bekanntermassen nur so stark mutieren, dass die genetische Information nicht verloren geht, doch sie brauchen trotzdem ein gewisses Mass an Veränderung, um anpassungsfähigen Immunsystemen ihrer Wirte zu entgehen. Gemäss der neuen Forschung wird die optimale Mutationsrate für Virengenome wie zum Beispiel HIV bestimmt durch das Verhältnis der Zeitspanne, die ein Virus für einen Vermehrungszyklus braucht, zu der Zeit, die das Immunsystem für eine neue Immunantwort benötigt.

Bonhoeffer und sein Kollege finden diese Erklärung für die optimale Mutationsrate spannend. Sie weisen aber auch auf die Mängel des Modells hin. So vermag dieses nicht zu erklären, wieso Unterschiede bei den Mutationsraten zwischen verschiedenen Virentypen wie RNA- oder DNA-Viren vorkommen. Zudem ist der selektive Druck des Immunsystems nicht für alle Viren gleich, da sich gewisse Viren diesem durch Übertragung auf den nächsten Wirt entziehen. Und schliesslich berücksichtigt das Modell auch nicht den Effekt genetischer Rekombination, d.h. den Austausch genetischen Materials innerhalb der Viruspopulation.


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Insgesamt sind sich die beiden Forscher einig, dass das neue Modell eine konzeptuelle Verbesserung darstellt, um die Mutationsrate von Viren zu untersuchen. Sie versprechen sich vom neuen Modell auch nicht nur akademische Befriedigung, sondern glauben auch, dass es bei der Entwicklung von Medikamenten helfen kann. So gibt es momentan Anstrengungen, Medikamente zu entwickeln, welche die Kopierfehler des Virus soweit erhöhen, dass ihm die Grundlage zum Fortbestand entzogen wird. Modelle die vorhersagen können, wie nah sich ein Virus an seiner maximalen Fehlerschwelle befindet, könnten somit wirklichen therapeutischen Wert haben.

Dass Bonhoeffer durchaus weiss, wie man HIV mit Mathematik verbindet, kann man an zwei seiner neuesten Arbeiten zu HIV ablesen. Die eine zeigt anhand mathematischer Modelle, wie verschiedene Hemmstoffe sich auf die Varianten von HIV, die unterschiedliche Eingangspforten in die Zelle wählen, auswirken (3). In der anderen demonstriert Bonhoeffer wiederum anhand von Modellen, dass nach einer antiviralen Therapie die noch vorhanden Viren aus einem beschränkten Pool von Zellen stammen, die von Viren infiziert sind, aber nicht durch diese zerstört werden (4).


Literaturhinweise:
Vergleiche auch "ETH Life"-Artikel "Mit Mathematik gegen AIDS": http://www.ethlife.ethz.ch/articles/MitMathematikgegenA.html

Fussnoten:
(1) Sebastian Bonhoeffer, Paul Sniegowski, Virus evolution: The importance of being erroneous, Nature 420, 367 - 369 (28 Nov 2002)
(2) Kamp, C., Wilke, C. O., Adami, C. and Bornholdt, S. Complexity (in the press); Preprint cond-mat/0209613 (2002), http://arXiv.org
(3) Regoes R, Bonhoeffer S, HIV coreceptor usage and drug treatment, J Theor Biol 2002 Aug 21;217:443-57
(4) Muller V, Vigueras-Gomez JF, Bonhoeffer S., Decelerating decay of latently infected cells during prolonged therapy for human immunodeficiency virus type 1 infection, J Virol 2002 Sep;76(17):8963-5



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