ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 27.06.2001 06:00

"Environ" ein Projekt der besonderen Art
Studierende tüfteln für Behinderte

Seit zwei Jahren haben Studierende des Departements Elektrotechnik der ETH Zürich gemeinsam mit der Schule für Körper- und Mehrfachbehinderte Kinder der Stadt Zürich vom einfachen Spezial-Maustaster und elektronischen Bilderbüchern über einen Rollstuhl-Joystick zur Ansteuerung des Computers bis hin zu einem E-Mail-Programm viele innovative Projekte initiiert, welche die Kommunikation dieser Kinder deutlich verbessert hat.

Von Regina Schwendener

Im Wintersemester 99/00 führte das Departement Elektrotechnik der ETH Zürich im Grundstudium erstmals die sogenannten PPS-Kurse durch. PPS heisst: Projekte, Praktika und Seminare sind nach einem Punkte-System aufgebaut. Das Institut für Automatik bietet in diesem Rahmen "Environ - Technological Environments for Children with Special Needs" an, zu welchem sich zu Beginn des ersten Semesters sechs Studenten eingeschrieben haben. Gegenwärtig beteiligen sich zehn Studierende daran, freut sich Stefan Tuchschmid. Er ist einer aus dem aktuellen "Environ"-Team, der seit knapp zwei Jahren dabei ist und mit dem Wechsel ins Fachstudium ausscheidet - zu seinem Bedauern.

Environ-2
Esther arbeitet oller Begeisterung am Computer. gross

Kindern mit besonderen Bedürfnissen helfen

Ziel des Projekts "Environ" ist, Kindern mit besonderen Bedürfnissen den Zugang zum Computer und damit auch zu ihrer Umwelt zu ermöglichen oder zu vereinfachen, erklärt der Student. In wöchentlichen Sitzungen planen zehn Studierende zusammen mit den Leitern des Kurses, Professor Walter Schaufelberger, dem Initianten des Projekts, und Projektleiter Franta Kraus - beide vom Institut für Automatik - wie den Kindern der Schule für Körper- und Mehrfachbehinderte der Stadt Zürich geholfen werden kann. Bei einem Besuch in der Schule konnten sich die am Projekt beteiligten Personen kennenlernen und sich zudem ein Bild darüber machen, wem ihre Arbeit schliesslich dienen soll. Als absolut vorrangig für eine möglichst reibungslose Fortsetzung der Arbeiten durch spätere Studierende gilt es, alle Arbeiten gründlich zu dokumentieren.

Eigene Spiele entwickelt

Die Gruppe Spiele/Sprachsynthese konzentrierte sich zum Beispiel darauf, Spiele zu entwickeln. Es zeigte sich aber schnell, dass dies arbeitsaufwendiger sein würde als zuerst angenommen. Gründe waren die Computerinfrastruktur der Schule, die zu wenig Erfahrung mit der Programmiersprache Javascript hat und die ungenügende Bildschirmauflösung an den Computerarbeitsplätzen der Schule. Trotz aller Schwierigkeiten haben in der Zwischenzeit die ersten zwei Spiele Form angenommen. Es handelt sich dabei um eine Würfeloberfläche und eine Anzahl Tiere, die auf dem Bildschirm erscheinen. Das Kind erkennt die Anzahl der Punkte auf dem Würfel oder der im Bild erscheinenden Tiere und muss diese Zahl eingeben. Ist sie richtig erkannt, wird ein Teil eines Fotos aufgedeckt - wie bei einem Puzzle.

"Schellenursli"

Beim Besuch der Schule für Körper- und Mehrfachbehinderte sahen die Studierenden erstmals eine "Buchblätter-Maschine", ein Instrument, das Kindern, die nicht blättern können, möglich macht, ein Buch selbständig zu lesen und dabei durch Knopfdruck zu blättern. Da sie aber nicht besonders gut funktionierte, entstand die Idee, Bücher elektronisch zu erfassen, um sie über einen Bildschirm lesen zu können. Ein elektronisches Buch war leicht zu erstellen: Es genügten ein Scanner, um die Bilder und eine Tastatur, um den Text zu erfassen. Text und Bilder wurden als erste Version in eine Power Point Präsentation eingebunden. Diese Lösung war jedoch nicht optimal, da sie auf den alten Rechnern der Schule nicht ansprechend funktionierte. Im nächsten Semester wurde eine Lösung auf Basis von HTML und Javascript gefunden, die web-basiert, portabel und schnell ist. Bis jetzt sind neben dem "Schellenursli" noch vier weitere elektronische Bilderbücher entstanden.

Probleme mit der Maus

Die Aufgabe der Gruppe "Joystick" bestand darin, einen Computer-Joystick zu produzieren, der dem Rollstuhl-Joystick ähnlich ist. Mit diesem können die Kinder im Gegensatz zu gekauften (Spezial-)Joysticks für den Computer viel besser umgehen, insbesondere da sie die Steuerung des elektrischen Rollstuhls aus dem täglichen Leben sehr gut kennen. Der "Environ"- Joystick sollte daher - mindestens äusserlich - dem Rollstuhl-Joystick baugleich sein. Die Konstruktion erwies sich als eine schwierige Geburt. Die Tests sind jedoch schon fast abgeschlossen, und die neue Gruppe wird die ersten Joysticks an der Schule installieren. - Ein kleines amüsantes Detail: Für die Studierenden war eines der Hauptprobleme, dass es unzählige Abteilungen in der ETH gibt und sie jedesmal weiter verwiesen wurden, weil anscheinend nie jemand für das aktuelle Problem zuständig war. Viel Zeit haben sie mit administrativen Arbeiten und mit Kleinigkeiten verloren - so ist im Protokoll nachzulesen.

Environ-3
Stefan Tuchschmid studiert im vierten Semester Elektrotechnik und hat die ganze Zeit am Projekt mitgearbeitet.


weitermehr

Environ-Team
Unser Bild zeigt das Environ-Team mit Walter Schaufelberger (ganz rechts) und Franta Kraus (links aussen).

Louis Moret und Stefan Tuchschmid haben an einem stabilen Taster für Apple Macintosh gearbeitet. Stefan Tuchschmid: "Der Taster hilft den Kindern, die Probleme in der Handhabung einer herkömmlichen Maus, insbesondere deren Taster, haben. Der Vorgang des Klickens ist nun unabhängig von der Fahrbewegung durchführbar." Beim Taster handle es sich im Prinzip um eine "verschlechterte" Maus, die keine Bewegungen mehr an den Computer senden kann. Alle Sensoren - ausser das Klicken - sind deaktiviert, erklärt Tuchschmid.

You've got Mail!

Das Projekt "SKMail" hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern mit besonderen Bedürfnissen eine Plattform zu errichten, um an dieser Art der Kommunikation teilhaben zu können. Dabei sollte eine Oberfläche geschaffen werden, die den Möglichkeiten dieser Kinder Rechnung trägt, intuitiv zu bedienen ist und sich in einer spielerischen, ansprechenden Art präsentiert. Das E-Mail-Programm wird von verschiedenen Kindern an der Schule bereits benutzt, um E-Mails untereinander, an die Schulleitung und Lehrer und vor allem auch an die Eltern zu schicken. Zudem wurde für die Leser von ETH Life eine Testumgebung eingerichtet.

Wie kamen Sie auf die Idee für "Environ"?

Wer "nutzt" die Erfindungen?

Wie sieht es mit der Fortführung des Projekts aus?

Was bedeutet die Projektleitung für Franta Kraus?

Werden auf diesem praktischen Weg Lehrziele besser erreicht?

Vor- und Nachteile des Projekts?

Was bedeutet dieses Projekt für die Schule?


Kleine Projekte, grosse Wirkung

Professor Walter Schaufelberger und Franta Kraus sowie Irene Zwicky, Lehrerin in der Schule für Körper- und Mehrfachbehinderte Kinder der Stadt Zürich beantworteten einige Fragen zu "Environ".

Schaufelberger: Eigentlich ist es, wie oft, ein Zusammentreffen mehrerer Gründe, die zur Initiative führten. Einmal ist es die Anfrage von Schulleiter Riedweg gewesen, ob es Möglichkeiten geeigneter Zusammenarbeit gäbe. Der zweite Grund war die neue Möglichkeit, im Studienplan Elektrotechnik bereits im ersten und zweiten Jahr kleine Projekte durchführen zu können und die Tatsache, dass sich in diesem Feld Ingenieurarbeit geradezu ideal einüben lässt. Wir haben Kunden, die etwas von uns erwarten und müssen uns mit den Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen. Der dritte Grund ist die Möglichkeit für die Studierenden, Computer sinnvoll einzusetzen, die jetzt offensichtlich eifrig benützt wird.

Schaufelberger: Das Gebiet zeichnet sich gerade dadurch aus, dass wir in vielen Fällen Einzellösungen entwickeln, an denen die Industrie kaum ein grosses Interesse hat. Sodann sollen die mit Steuergeldern entwickelten Ideen zunächst einmal einfach breit zur Verfügung stehen. Typisch für viele Projekte in diesem Umfeld sind die individuellen Anpassungen. Da die Möglichkeiten jedes einzelnen Kindes sehr unterschiedlich sind, wird oft eine "massgeschneiderte" Lösung gesucht. Häufig sind das nicht "Einzelerfindungen", sondern ein Zusammenfügen und Anpassen von Komponenten, die wir entweder einkaufen oder via Hochschulnetze gratis zur Verfügung erhalten - zum Beispiel die Sprachsynthese-Software.

Schaufelberger: Das Projekt läuft bereits seit vier Semestern und wird fortgesetzt, falls sich interessierte Studierende finden. Zudem würden wir gerne auch grössere Arbeiten wie Studien- und Diplomarbeiten vergeben, haben aber bisher keine Studierenden dafür finden können.

Kraus: Nach jahrelanger, "abgehobener" Forschungsarbeit eine komplett andere Aufgabe, Kommunikation und Projektmanagement auch ausserhalb der Hochschule und nicht zuletzt eine Befriedigung, wenn man sieht, dass die Arbeiten unmittelbar benützt werden und den Kindern tatsächlich helfen.

Kraus: PPS war als Motivationsspritze für die Elektroanfänger gedacht. Als solche funktioniert sie leidlich, obwohl - und das ist wirklich schade - PPS nicht richtig in den Lehrplan integriert ist. Die Studierenden lernen in Projekten anders und teilweise auch etwas anderes, als im traditionellen Unterricht. Sie lernen zum Beispiel Probleme zu strukturieren, Informationen zu beschaffen, Varianten auszuarbeiten und auszuwählen, sich in einem interdisziplinären Feld zu orientieren und nicht zuletzt in einer Gruppe zusammenzuarbeiten, Arbeitssitzungen zu führen und zu dokumentieren.

Kraus: Das Engagement der Studierenden ist im Allgemeinem sehr hoch. Ein Nachteil war, dass wir keine eigene Werkstatt mehr am Institut haben. Für einfache mechanische Anfertigungen konnten wir aber auf jene des Departements zurückgreifen und für die Elektronik hat uns bis jetzt die Werkstatt des Instituts Industrielle Elektronik und Messstechnik ausgeholfen.

Irene Zwicky: Das Projekt hat einigen von unseren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zum Schreiben und Empfangen von E-Mail-Nachrichten gegeben. Geschätzt wird vor allem der übersichtliche und unkomplizierte Gebrauch, der nur wenige Handgriffe benötigt. Eine Verwendung als Pilotmodell halte ich durchaus für denkbar. Sehr begrüssen würden die Kinder noch eine zusätzliche Möglichkeit zur Übermittlung von Bildern.




Literaturhinweise:
Offzielle Website des Projektes Environ:www.ee.ethz.ch/~environ/
SKMail (Email-Programm): www.stud.ee.ethz.ch/~environ/skmail/ETHLife_Beta_Tester/
Bilderbuch:www.stud.ee.ethz.ch/~environ/bilderbuch/
Lernspiel:www.stud.ee.ethz.ch/~chrueegg/environ/wuerfel/



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!