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Rubrik: Tagesberichte |
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Symposium am Collegium Helveticum Konstruierte Wahrheiten |
Wer wissenschaftliche Resultate präsentiert, der greift - wenn oft auch unbewusst - auf bestimmte Erzählstrukturen und -techniken zurück. Wie diese die Vermittlung und Wahrnehmung von Erkenntnissen beeinflussen, damit befasst sich das Symposium "Narrativität in den Wissenschaften", das diese Woche am Collegium Helveticum stattfindet. Von Felix Würsten Sind Wissenschaftler Geschichtenerzähler? Die These scheint auf den ersten Blick absurd - schliesslich geht es in der Forschung ja nicht um irgendwelche Fiktionen, sondern um überprüfbare Fakten und Resultate. Und doch gibt es zwischen literarischen Werken und wissenschaftlichen Abhandlungen Gemeinsamkeiten, findet Johannes Fehr, stellvertretender Leiter des Collegium Helveticum (1). Denn wenn Forscherinnen und Forscher über ihre Erkenntnisse berichten, dann greifen sie – wenn oft auch unbewusst – auf narrative Strategien und Techniken zurück. Vielseitiges Programm Wie in den Wissenschaften Geschichten erzählt werden, welche unbewussten Faktoren dabei eine Rolle spielen und wie die Erzähltechnik die Wahrnehmung der Erkenntnisse beeinflusst, damit haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Collegium Helveticum in den letzten zwei Semestern intensiv auseinandergesetzt. Nun möchten die Bewohnerinnen und Bewohner der Semper-Sternwarte den Diskussionskreis erweitern. Am dreitägigen Symposium "Narrativität in den Wissenschaften" (2) debattieren sie mit Gästen aus dem In- und Ausland über Erzählstrategien in den Wissenschaften. "Das Programm des Symposiums ist vielseitig angelegt", meint Fehr. "Wir haben nicht nur akademische Referate eingeplant, sondern insbesondere auch Beiträge von renommierten Schriftstellerinnen und Schriftstellern." Dazu werden auch Werke von Róza El-Hassan vorgestellt, die im letzten Semester künstlerischer Gast am Collegium war. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Serie "Raumschiff Semperpreis", die von den Kollegiatinnen und Kollegiaten gemeinsam erarbeitet wurde (s. Kasten). Und schliesslich wird es am Dienstag Abend auch noch eine Lesung im Literaturhaus Zürich geben (3). Verständigung als Problem Doch warum soll man sich als (Natur-)Wissenschaftler überhaupt mit Narrativität beschäftigen? Die heutigen Publikationsformen sind für die disziplinäre Kommunikation ja durchaus zweckmässig, wie Fehr einräumt. "Die Probleme treten meistens dann auf, wenn man mit anderen Fachrichtungen kooperieren will. Bei inter- und transdisziplinären Projekten gibt es immer wieder Schwierigkeiten mit der Verständigung, weil die Forscherinnen und Forscher verschiedene Sprachen und Erzähltechniken brauchen und von unausgesprochenen Annahmen ausgehen." Die Beschäftigung mit Narrativität macht bewusst, dass die Objektivierung von Erzählungen an Grenzen stösst. "Wer erzählt, muss stets eine Bühne konstruieren, auf der die Wahrheit auftreten kann. Das heisst nicht, das die Geschichten nicht wahr sind - aber es sind eben konstruierte Wahrheiten." Darin liegt denn auch eine Gemeinsamkeit zwischen wissenschaftlicher Berichterstattung und Literatur ein. "Geschichten konstruieren heisst auch: man setzt einen Anfang und einen Schlusspunkt", erklärt Fehr. "Unsere These ist nun: Anfang und Schluss sind nicht einfach gegeben, sondern werden vom Erzähler definiert. Daher kam auch unsere Idee, die drei Tage des Symposiums unter die Stichworte 'Davor', 'Darin' und 'Danach' zu stellen."
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Wo beginnen, wo enden? Der erste Tag steht also im Zeichen des Anfangs. Wissenschaft setzt ja nie beim Nullpunkt ein, sondern eigentlich immer mittendrin. Doch wie definiert man den Anfang, was wird dabei - explizit und implizit - vorausgesetzt und wie wird das dargestellt? Der zweite Tag beschäftigt sich mit laufenden Prozessen, mit der Phase also, in der noch nicht absehbar ist, wie die Geschichte enden wird. Am dritten Tag schliesslich geht es um den Abschluss: Wie erkennt man, dass etwas ein Resultat ist und wie wird das als solches etabliert? Und wie geht man damit um, dass es ja, genauso wenig wie einen Anfang, eigentlich auch nie ein Ende gibt – oder wie es im Programmheft so treffend heisst: wie schliesst man den Deckel, obwohl der Inhalt noch herausquillt?
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Fussnoten:
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