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Rubrik: Tagesberichte |
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Betriebssimulation von Eisenbahnnetzen Auf die Sekunde genau |
Eisenbahnfahrpläne zu ändern, ist eine heikle Angelegenheit. Mitunter braucht es dazu auch bauliche Anpassungen am Streckennetz. ETH-Ingenieure haben eine raffinierte Software entwickelt, mit der sich die nötigen Eingriffe optimieren lassen. Das Programm findet auch im Ausland grossen Anklang. Von Felix Würsten Wenn am 12. Dezember der neue Fahrplan der SBB in Kraft tritt, wird sich weisen, ob die Planer wirklich korrekt gerechnet haben und das Eisenbahnnetz an den richtigen Stellen ausgebaut wurde. Damit die Vision Bahn 2000 Realität werden kann, mussten nicht nur neue Schnellfahrstrecken zwischen Olten und Bern gebaut werden, sondern es brauchte auch an verschiedenen anderen Orten eine Reihe von weiteren Anpassungen am Streckennetz. So mussten beispielsweise die Zufahrten zum Hauptbahnhof Zürich entflochten werden: Die Züge aus Bern fahren nun kurz vor der Einfahrt in den HB Zürich durch zwei neue Unterführungen. Planungsfehler erkennen Damit solche baulichen Anpassungen auch an den richtigen Stellen realisiert werden, stützen sich die Planer auf Modellsimulationen. Ein leistungsfähiges Werkzeug dazu haben Forscher des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT) (1) der ETH Zürich in den letzten Jahren entwickelt. Die Software "OpenTrack" (2) bildet den Bahnverkehr auf einem beliebigen Netz detailliert nach und ermöglicht so, Bauvorhaben und Fahrplanänderungen auf Schwachstellen hin zu überprüfen. Das Programm stösst bei den Praktikern auf sehr gute Resonanz. "Unsere Software wird heute in zahlreichen Ländern eingesetzt", erklärt Daniel Hürlimann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IVT, nicht ohne Stolz. Als besonderen Erfolg wertet er, dass auch die Deutsche Bahn das Instrument einsetzt. "Die DB ist ein Schwergewicht auf dem europäischen Markt", meint Hürlimann. "Wenn man dieses Unternehmen als Kunden gewinnt, dann ist das eine Auszeichnung." Präzise Spezifikation der Fahrzeuge OpenTrack verbindet drei Arten von Informationen. In einem ersten Schritt muss das Streckennetz definiert werden. Das Programm muss beispielsweise wissen, welche Höchstgeschwindigkeiten wo gefahren werden dürfen, welche Steigung die einzelnen Streckenabschnitte aufweisen und welche Vorschriften die Lokomotivführer bei Signalen einhalten müssen – eine zuweilen überraschend tückenreiche Angelegenheit, wie Hürlimann berichtet. "In Frankreich beispielsweise darf ein Lokomotivführer unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein rotes Signal überfahren."
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Als zweites werden dem Programm die Fahrplandaten für das entsprechende Netz vorgegeben. Und schliesslich verlangt die Software als drittes auch noch präzise Angaben zu den einzelnen Lokomotiven und Kompositionen. Nur mit diesen Daten können die Bewegungen der Züge realitätsnah berechnet werden. Eine wichtige Frage ist etwa, wie schnell eine Lokomotive bei bestimmten Witterungsbedingungen beschleunigen kann. Realitätsnahe Ausfälle Aus all diesen Vorgaben berechnet das Programm schliesslich, wie sich die Züge auf dem Bahnnetz bewegen. Dabei werden die Positionen der einzelnen Kompositionen im Sekundenabstand erfasst und mit den Vorgaben des Fahrplans verglichen. Um die Realität noch etwas präziser abzubilden, können zusätzlich noch unvorhergesehene Ereignisse vorgegeben werden, etwa Verspätungen von Zügen oder Ausfälle von Signalanlagen. Vergleicht man nun den Fahrplan mit den berechneten Fahrzeiten, lassen sich verschiedene Planungsfragen beantworten. Soll zum Beispiel der Fahrplan verdichtet werden, lässt sich mit der Software entscheiden, welche baulichen Anpassungen dazu nötig sind. Umgekehrt deckt die Software unrealistische Vorgaben im Fahrplan auf; sie erkennt beispielsweise, wenn ein Zug nicht planmässig in einen Bahnhof einfahren kann, weil ein ausfahrender Zug die Strecke blockiert. Mit OpenTrack lässt sich auch berechnen, welche technischen Anforderungen ein neu zu beschaffendes Fahrzeug erfüllen muss, damit die Vorgaben des Fahrplans eingehalten werden können. Aufwändiges Strafsystem Ein neues Anwendungsfeld für die Applikation eröffnet sich in den nächsten Jahren bei einem prestigeträchtigen Projekt in Holland. Eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Amsterdam und Belgien, die zur Zeit gebaut wird, soll nach der Fertigstellung von einer unabhängigen Firma betrieben werden, welche dann Trassees an verschiedene Bahnfirmen verkauft. Damit die Trennung von Netzbetreiber und Bahngesellschaft nicht zu ähnlichen Problemen führt wie in England (3), wurde ein administrativ aufwändiges Strafsystem entwickelt. Die Netzbetreiberin muss bei jeder Störung, die sie zu verantworten hat, eine Entschädigung an die Kunden zahlen. "Wenn beispielsweise ein Signal wegen schlechter Wartung ausfällt, wird unser Programm berechnen, wer von dieser Störung wie stark betroffen ist", erklärt Hürlimann. "Darauf basierend wird dann festgelegt, wer wie viel Entschädigung erhält." |
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