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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 15.06.2004 06:00

Jahrestagung des Zentrums für Internationale Landwirtschaft (ZIL)
Hungern nach Lösungen

Unter dem Motto "Hungern nach Lösungen" befasste sich das Zentrum für Internationale Landwirtschaft (ZIL, siehe Kasten) an seiner Jahrestagung mit der Armut und Fehlernährung in Entwicklungsländern. Letzten Freitag präsentierten zwei Gastreferierende und mehrere ETH-Forschungsgruppen den rund hundert Teilnehmenden im AudiMax der ETH Strategien zur Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung.

Von Jakob Lindenmeyer

Den Auftakt als erster Hauptredner machte Per Pinstrup-Andersen mit einer ökonomischen Analyse der UNO-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals) (1). Der Däne Pinstrup-Andersen lehrt heute als Professor an der Cornell University, in Kopenhagen und in Wageningen und präsidiert den Science Council der CGIAR. Zuvor war er während zehn Jahren Generaldirektor des internationalen Forschungsinstituts für Ernährungspolitik (IFPRI). 1996 erhielt er von der ETH Zürich die Ehrendoktorwürde, 2001 den Welternährungspreis.

Konstanter Hunger

Die UNO-Entwicklungsziele wollen bis 2015 den Anteil unterernährter Menschen um die Hälfte reduzieren. In seinem einstündigen Vortrag zeigte Pinstrup-Andersen anhand zahlreicher ökonomischer Daten und Hochrechnungen für die nächsten zehn Jahre, dass sich dieses Ziel ohne zusätzliche Anstrengungen kaum erreichen lässt. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich absolut gesehen auch in zehn Jahren nichts geändert haben wird und es wie schon 1990 in der Welt immer noch rund 800 Millionen hungernde Menschen geben wird. (siehe Grafik unten)

Absolut gesehen habe sich in den letzten zehn Jahren kaum etwas geändert und nach Pinstrup-Andersen wird es auch im Jahr 2015 in der Welt immer noch rund 800 Millionen hungernde Menschen geben. gross

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die regionale Verteilung von Hunger und Fehlernährung sehr ungleich ist und in den nächsten Jahren noch weiter auseinander klaffen wird. Während der relative Anteil der Hungernden an der Gesamtbevölkerung weltweit und insbesondere in China abgenommen hat, nahm er im Nahen Osten und insbesondere in Schwarzafrika zu und erreicht dort Spitzenwerte von 35 Prozent.

Arme Bauern, reiche Städter

Mit eindrücklichen Zahlen belegte Pinstrup-Andersen die Korrelation zwischen Armut, tiefer Produktivität, Mangelernährung und Gesundheit. In Entwicklungsländern würden arme Familien 50 bis 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, während es beispielsweise in der Schweiz nur 10 bis 12 Prozent seien.

In vielen Entwicklungsländern und insbesondere in China zeigt sich eine starkes Armutsgefälle zwischen Stadt und Land. So leben etwa in China fünfmal mehr Arme auf dem Land als in urbanen Gebieten. Dieses Wohlstandsgefälle berge die Gefahr zunehmender Binnenwanderungen und somit neuer Konflikte. Zusätzlich verstärkt werde diese Landflucht durch die abnehmende Bedeutung der Landwirtschaft und ändernde klimatische Bedingungen. Aber auch lokale Konflikte, Bürgerkriege und die AIDS-Epidemie verstärken die Landflucht in die rasant wachsenden Metropolen des Südens.

Pinstrup-Andersen zeigte nicht nur die Probleme, sondern auch Lösungsansätze auf, wie Entwicklungsländer ländliche Armut, Hunger und Landflucht bekämpfen könnten. Dazu müssten die Machthaber der Landbevölkerung vor Ort Zugang zu Ausbildung, Gesundheitsversorgung, Nahrungshilfe, Wasser, Krediten, Technologie und Arbeit verschaffen. Insbesondere müsste der ungleich schlechtere Zugang von Frauen zu diesen Gütern verbessert werden.

Unsinnige Exportsubventionen und Einfuhr-Zölle

Doch Pinstrup-Andersen machte nicht nur die Machthaber in den Entwicklungsländern für das weltweite Armuts- und Hungerproblem verantwortlich. Ebenso prangerte er die westlichen Industriestaaten und explizit auch die Schweiz an, mit ihren ökonomisch unsinnigen Exportsubventionen und Einfuhr-Zöllen die Entwicklungsländer um das Wachstumspotential ihrer Landwirtschaft zu berauben. Dank ihrem politischen Einfluss könne es sich die Bauernlobby in der EU und der Schweiz erlauben, beispielsweise die Einfuhr des drei mal billigeren Rohrzuckers mit ökonomisch unsinnigen Zöllen so stark zu verteuern, dass der hoch subventionierte einheimische Rübenzucker günstiger verkauft werden könne als Rohrzucker.

Pinstrup-Andersen erwähnte als weiteres Beispiel ein EU-Entwicklungsprojekt, das mit Kleinbauern in der Dominikanischen Republik eine lokale Milchindustrie aufbaute. Kurz darauf exportierte die EU ihre massiv verbilligten Produktionsüberschüsse in die Dominikanische Republik, was zur Folge hatte, dass die lokalen Kleinbauern ihre Produkte kaum mehr absetzen konnten.

Durch die Globalisierung könnten die Einfuhr-Zölle zwar sinken, doch würden inländische Produzenten mit neuen Massnahmen wie extrem hohen Sicherheits- und Qualitätsstandards Entwicklungsländer weiterhin am Zugang zu ihren Märkten zu hindern wissen, prophezeite Pinstrup-Andersen.


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Der Hauptredner Per Pinstrup-Andersen präsentierte Lösungsansätze, um Armut und Hunger zu bekämpfen. gross

Ungerechtigkeit ethisch nicht akzeptierbar

Die heutige Ungerechtigkeit und die 800 Millionen Hungernden seien ethisch nicht akzeptierbar. Darum fordert Pinstrup-Andersen eine radikale Änderung der Landwirtschaftspolitik in den westlichen Industriestaaten und somit auch in der Schweiz. Diese müssten Produktionsförderungs- und Exportsubventionen eliminieren und ihre Einfuhrzölle senken. Zudem sollten geeignete landwirtschaftliche Technologien zugänglich gemacht und die Entwicklungszusammenarbeit verstärkt werden.

Solche Unterstützungsmassnahmen lägen durchaus auch im langfristigen Interesse der westlichen Industrienationen, betonte Pinstrup-Andersen zum Schluss. Denn eine Reduktion von Armut und Hunger in den Entwicklungsländern reduziere auch die Migration in den Westen und fördere die internationale Stabilität. Zudem seien aufstrebende Entwicklungsländer auch neue Absatzmärkte für westliche Produkte.

Bezüglich des Einsatzes der Gentechnologie in Entwicklungsländern vertrtitt Pinstrup-Andersen den Standpunkt, dass solange wir Industriestaaten die Gentechnologie brauchen, um unsere Gesundheitsprobleme zu lösen, wir den Entwicklungsländern nicht verbieten dürfen, zur Bekämpfung ihrer Ernährungsprobleme ebenfalls Gentechnologie einzusetzen. Pinstrup-Andersen schlug vor, durch entsprechende Kennzeichnung den Konsumenten die Wahl zu überlassen.

Die zweite Gastrednerin Julia Tagwireyi forderte eine umfassendere Konzeption der Ernährungssicherung unter Einbezug lokaler Produkte und der AIDS-Epidemie. gross

AIDS-Epidemie gefährdet Hunger-Bekämpfung

Auf Pinstrup-Andersen folgte als zweite Gastrednerin die Ernährungswissenschaftlerin Julia Tagwireyi, Direktorin des Departements für Ernährung am Gesundheitsministerium in Zimbabwe (siehe Bild oben). In ihrem Vortrag kritisierte sie, dass sich die momentane Ernährungssicherung zu stark nur auf Grundnahrungsmittel wie Getreide abstütze, was aufgrund fehlender Mikronährstoffe zu Mangelkrankheiten wie Eisen-, Iod- oder Vitaminmangel führe. Sie forderte stattdessen eine umfassendere Konzeption der Forschung und Politik zur Ernährungssicherung. Eine solche müsse den spezifischen Kontext in Betracht ziehen und lokale Produkte und insbesondere im südlichen Afrika die allgegenwärtige HIV/AIDS-Problematik mit einbeziehen. AIDS sei dort nicht mehr nur ein Gesundheitsproblem, sondern führe, nebst dem individuellen Leid, durch die stark reduzierte Produktivität der aktiven Generation zu existenziellen Kapazitätsengpässen und beeinträchtige ganze Volkswirtschaften.

Am Nachmittag veranschaulichten Poster-Präsentationen (2) das Engagement von ETH-Forschenden auf diesem Gebiet und danach informierten mehrere am ZIL beteiligte ETH-Institute und Forschungsgruppen über ihre Ansätze zur Linderung des globalen Hungers. (3)


ZIL: Zentrum für Internationale Landwirtschaft

Das Zentrum für Internationale Landwirtschaft (ZIL) der ETH Zürich wurde 1993 gegründet, ein Jahr nach dem Umweltgipfel von Rio de Janeiro. Das Zentrum will das Wissen der Hochschulen nutzen, um eine nachhaltige Entwicklung der natürlichen Ressourcen im Agrar- und Forstsektor zu fördern. Mit dem aktuellen Schwerpunkt „Livestock systems research in support of poor people“ versucht das ZIL den aktuellen Herausforderungen in Entwicklungsländern zu begegnen.

Neben dem direkten Nutzen der Forschungsergebnisse soll die Zusammenarbeit mit Partnern in Entwicklungsländern das gegenseitige Verständnis fördern und so langfristig zu stabilen internationalen Beziehungen beitragen. Das ZIL wird von der ETH Zürich und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit finanziert. Präsident des ZIL ist Felix Escher, ETH-Professor für Lebensmitteltechnologie.




Literaturhinweise:
Website des Zentrums für Internationale Landwirtschaft : www.zil.ethz.ch/
"ETH Life"-Berichte zu den letztjährigen ZIL-Jahrestagungen: www.ethlife.ethz.ch/articles/agrinach.html | www.ethlife.ethz.ch/articles/IntNutztiertagung.html | www.ethlife.ethz.ch/articles/FrchtedesglobalenMa.html

Fussnoten:
(1) Website der UNO-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals): www.developmentgoals.org/
(2) Poster-Präsentation an der ZIL-Jahrestagung 2004: www.zil.ethz.ch/news/pastevents/annual_conference04/poster_exhibition
(3) Programm der ZIL-Jahrestagung 2004: www.zil.ethz.ch/news/pastevents/annual_conference04/programme



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