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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 28.02.2003 06:00

ETH-Forschung mit Hindernissen im vermeintlichen Paradies Seychellen
Doktor der Improvisation

Welche Jungforschenden träumen nicht wenigstens zeitweise von einer solchen Arbeitsumgebung? Das Labor: eine Insel des Seychellen-Archipels im indischen Ozean; die Aufgabe: während drei Jahren die Invasion von exotischen Baumarten in die dortigen Wälder studieren. Dass nicht alles Gold ist, was in der tropischen Sonne glänzt, hat Christoph Küffer, ETH-Doktorand in Umweltnaturwissenschaften, schon bei der Einreise auf die Seychellen erfahren – und dabei bereits einiges gelernt. Sein folgender erster Bericht bildet den Auftakt zu einer lockeren Serie in ETH Life.

Von Christoph Küffer

Auf den Seychellen, weit ab von jeder Universität, eine experimentelle Dissertation zu schreiben, erfordert Kreativität. James Bond’s Instrumente sind fern, es bleiben McGyver’s Improvisationen. Bereits die Einfuhr unserer Messinstrumente war ein kleines Kunststück, denn die Seychellen sind geprägt von ihrer sozialistischen Vergangenheit. Einfuhren und Ausfuhren werden staatlich geregelt. Wir mussten nicht weniger als sieben Dokumente mit Unterschriften von drei Ämtern vorweisen, um die Kisten mit unseren Forschungsgeräten einführen zu können. Während stundenlangen Diskussionen sind wir im Lagerraum der Luftfrachtabteilung an unseren Kisten gelehnt und haben ihr Schicksal diskutiert. Jemand hätte sie entscheidende zwei Meter über eine dicke weisse Linie, aus dem internationalen Raum in die Seychellen, schieben müssen. Leider fehlten im Einfuhrregister die Kennzeichnung für Licht-, Temperatur-, und Feuchtigkeitsmessgeräte. Ohne Code keine Einfuhrbewilligung.

Zum Wohl der Wissenschaft: aus leer gegessenen Eiskübeln werden, faute de mieux, Pflanzentöpfe. gross

Glace-Schlecken zu Forschungszwecken

Schliesslich einigten wir uns auf die Kategorie „wissenschaftliche Nutzobjekte“. Um weiteren Wartestunden am Zollschalter vorzubeugen, behelfen wir uns seitdem mit den alltäglichen Gütern, welche wir vor Ort finden. Unsere Keimungsexperimente führen wir in Polyesterbehältern von Imbissbuden oder in leer gegessenen Eiskübeln durch, weil Pflanzentöpfe fehlen. Noch verhandeln wir, ob wir die Kilos Eis, welche wir inzwischen zu Gunsten unserer Experimente verspeisen mussten, über das Projektbudget abrechen können.

Die Untersuchungsgebiete im Wald markieren wir mit Ersatzteilen für Rasenmäher. Die Experimentalflächen stecken wir mit Röhren ab, die eigentlich zur Abdeckung von Telefonkabeln dienen. Die Verkäuferin im Handwerkerladen wundert sich wohl bereits, wie viele Telefonanschlüsse wir noch installieren werden. Zum Bau unserer Gartenexperimente mussten wir einen Baum fällen, der den Platz versperrte. Dieser diente gleich als Material für die Holzgerüste für die Schattenzelte.

Unruhige Nächte vor dem Backofen

Als Kalibrierungsgewicht für die Präzisionswaage dient uns in Plastiksäckchen abgefüllter Reis. Das Pflanzenmaterial, das wir für chemische Analysen verwenden, trocknen wir im Backofen in unserer Küche.


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Trügerische Unberührtheit: auf den Seychellen lassen sich die Auswirkungen studieren, die invasive Arten auf die ursprüngliche Vegetation haben. gross

Unglücklicherweise funktioniert dieser nur mit einer Zeitschaltuhr, die höchstens eine Stunde läuft. Bei 24 Stunden Trocknungszeit bedeutet dies, dass in der Nacht jede Stunde der Wecker läutet und jemand zum Backofen schlafwandelt, um die Schaltuhr neu aufzuziehen. Immerhin können wir uns jede Stunde einen Löffel Eis gönnen, schliesslich sollte bis am Morgen ein weiterer Kübel leer sein.

Unser Auto ist zwölfjährig. Der von Meeressalz getränkte Wind beschleunigt die Korrosion. Die Strassen hinein in den Wald sind oft kaum befahrbar. Kein Wunder, verbringen wir etwa einmal monatlich einen Samstag Nachmittag im Hintergarten eines Freundes, liegen unter unserem feuerroten Schlitten und verkleben den löchrigen Auspuff mit einer zähen Kaugummi-Paste.

Because it’s good for you

Der Aufbau unseres Wasserstress-Feldexperiments schreibt uns vor, die Hälfte der Pflanzen regelmässig mit Wasser zu giessen. Mehrmals wöchentlich hundert Liter Wasser mitten in den Wald zu schleppen, ist nicht möglich. Eine Lösung erhoffen wir uns nun von der lokalen „Guiness“-Brauerei. Mit etwas Glück kriegen wir alte Bierfässer, die wir als Wasserauffangbecken in den Wald stellen werden. Da lässt sich nur hoffen, dass der Werbeslogan von „Guinness“ auch für Pflanzen gilt: „Because it’s good for you”. Sie fragen sich, weshalb wir uns für das Schreiben einer Dissertation entschieden haben? Nach all den Jahren in ETH-Hörsälen wollten wir endlich lernen, wie man ein Auto flickt, Zelte schreinert, Beamten überredet und Pflanzen zieht. Deshalb.


Aggressive Invasoren

Im Zentrum des Forschungsprojekts der ETH-Doktoranden Christoph Küffer (1) und Eva Schumacher steht die Frage, wie sich auf den Seychellen innerhalb von 200 Jahren aus einer Pflanzengemeinschaft, die sich über Millionen von Jahren entwickelt hat, ein von exotischen Pflanzen dominierter Wald entwickeln konnte. Ziel wäre unter anderem eine Prognose, wie sich die Seychellischen Wälder in der Zukunft weiterentwickeln werden.

Zwei Forschungsschwerpunkte des Geobotanischen Instituts der ETH kommen dabei zum Tragen: die Geobotanik, welche die Standortfaktoren in den verschiedenen Erdteilen für Pflanzengemeinschaften untersucht, sowie die Invasionsbiologie. Letztere, eine noch junge Forschungsrichtung, geht den Bedingungen und Folgen für die fortschreitende Ausbreitung invasiver Pflanzen und Tiere in neue Länder nach. Invasive Arten gelten inzwischen als einer der Hauptfaktoren für das Aussterben einheimischer Tier- und Pflanzenarten.




Fussnoten:
(1) Christoph Küffers Forscherimpetus hat bei ETH Life bereits einmal Früchte getragen: Er ist Sieger der letztjährigen Sommerwettbewerbs „Das ETH-Experiment“: www.ethlife.ethz.ch/articles/surprise/sowettbewerbaufl02.html



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