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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 10.07.2003 06:00

Die Muslim Students Asssociation und Ihre Aktivitäten
Viel Islam in der Schweiz

Mit dem umstrittenen Dokumentarfilm „Jenin, Jenin“ hat die Muslim Student Organisation dieses Semester auf sich aufmerksam gemacht. Drei Mitglieder erzählen, wie es dazu kam, aber auch von ihren Einstellungen zum Islam, den arabischen Staaten und ihrem Leben in der Schweiz.

Von Christoph Meier

„Jenin, Jenin“ sei ein Propagandafilm, der sich das entsetzliche Leid der palästinensischen Bevölkerung zu Nutze mache. Das schreibt der jüdische Studentenverband Zürich zum Werk des palästinensischen Regisseurs Mohammed Bakri. Trotzdem wurde der aus einer sehr subjektiven Perspektive gedrehte Film (vgl. Kasten) dieses Semester an der Universität den Zürcher Hochschulangehörigen gezeigt, zudem aufliegend unter anderem die eben zitierte Stellungsnahme. Die Veranstaltung findet regen Zulauf, rund 200 Personen kommen. Doch wer hat den ganzen Anlass organisiert? Es ist die Muslim Students Association (MSA) (1), die den muslimischen Studierenden dazu dienen soll, sich zu treffen und auszutauschen.

Zeigt, was Menschen fühlen

Die Publizistikstudentin Amira Abdel Aziz, der angehende Elektrotechniker Karim Djelid und der ETH-Ingenieur Hamid Duran engagieren sich in der MSA. Welches war ihre Motivation für das öffentliche Vorführen des umstrittenen Films? „Wir wollten allen die Möglichkeit bieten, sich selbst ein Bild machen zu können“, sagt Karim Djelid und berichtet:„Für mich war der Film ein sehr emotionales Erlebnis“. Anders Duran: Angesichts des immensen Rummels über den Film hat er sich auf etwas Schlimmes gefasst gemacht und war deshalb von der Harmlosigkeit des Filmes überrascht. Grundsätzlich sind sich die drei Muslime einig, dass der Film das ausdrückt, was die gefilmten Menschen fühlen. Auch Aussagen wie „alle Häuser wurden zerstört“ müsste man vor diesem Hintergrund des persönlichen Erlebens sehen. Duran ergänzt: „Für Muslime ist das Haus ein geschützter Bereich. Es zu zerstören ist eine Tragödie für den Besitzer.“

Es wäre auch falsch, so Abdel Aziz, pauschale Aussagen über Juden im Film als Antisemitismus zu brandmarken. „Denn Antisemitismus und Rassismus bezeichnen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Wesensmerkmale.“ In diesem Fall aber handle es sich um den Hass gegenüber einer Besatzungsmacht, die jüdisch ist. „Und dass man eine Besatzungsmacht nicht mögen kann, ist wohl verständlich.“ Das Wort „Jude“ benutzen gemäss der Studentin die Opfer von Jenin als Synonym für „Besatzer“.

Doch hätte nicht der Regisseur relativierend eingreifen müssen? Das ist für die drei Akademiker nicht zwingend. Das Thema des Films sei das Leid der Palästinenser gewesen. Zudem müsse man sich vergegenwärtigen, dass auch die Darstellung von Fakten und Zahlen schliesslich eine Selektion von Informationen sei, die somit dem Objektivitätsanspruch auch nicht vollkommen gerecht werde. Abgesehen davon gäbe es keine Zahlen zu Opfern und Zerstörungen, die aus einer objektiven Quelle stammen, da Israel eine solche Untersuchung verhindert habe.


Jenin, Jenin

Für seinen Film „Jenin, Jenin“ ist der palästinensische Regisseurs Mohammed Bakri im April 2002 nach Dschenin ins Westjordanland gefahren. Dort soll gemäss palästinensischen Angaben beim blutigen Häuserkampf zwischen militanten Palästinensern und der israelischen Armee ein Massaker seitens der israelischen Armee stattgefunden haben. Eine UNO-Kommission stellte schließlich 56 Getötete fest, 24 israelische Soldaten waren gefallen.

Eine Woche nach dem Abzug der Armee traf Bakri im Flüchtlingslager ein und blieb drei Wochen lang. Entstanden ist ein 54-minütiger Film. Bakri soll in dem Film keine Kriegsdokumentation sehen, sondern ein Zeugnis der Verzweiflung, der Trauer, aber auch der Hoffnungen und Träume in den Tagen nach den Kämpfen. Die stark emotionalen Aussagen der Menschen werden dabei nicht relativiert. Bakri wird auch vorgeworfen, dass er Aufnahmen verwendet habe, deren Authentizität fraglich ist.




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Setzen sich für Muslime an den Zürcher Hochschulen ein: Amira Abdel Aziz, Karim Djelid und Hamid Duran von der Muslim Students Association. gross

Die anschliessende Diskussion zum Film war für die drei MSA-Mitglieder konstruktiv: Sie seien erst dadurch auf andere Sichtweisen aufmerksam geworden. Zusammenfassend sehen sie den Filmabend als geglückte Veranstaltung, da der Film zusammen mit den aufgelegten stark divergierenden Einschätzungen über ihn doch Hand zur Meinungsbildung geboten habe. Anscheinend wurde der Anlass auch vom jüdischen Studentenverband nicht als Affront empfunden, denn am Filmabend beschlossen dessen Vorstand und der der MSA sich zu treffen.

Glaubensfrage Kapitalismus

Wie schätzen aber die Akademiker allgemein die Situation im Nahen Osten und den islamischen Ländern ein? Abdel Aziz akzeptiert das Existenzrecht Israels, erachtet es aber als ein Muss, dass sich Israel aus den besetzten Gebieten zurück zieht. Für die Regierungen der arabischen Staaten haben die Muslime aber kaum ein gutes Wort übrig. „Sie sind einfach mehr oder weniger schlecht“, hält Duran fest. Für den Elektroingenieur und seine Freunde ist aber auch klar, dass die Quelle dafür sicher nicht im Islam zu suchen ist, sondern unter anderem in der willkürlichen Grenzziehung der ehemaligen Kolonialmächte und der Manipulation durch den Westen. Duran ist aber auch überzeugt, dass sich westliche Demokratieformen, falls sie den wirklich eingeführt würden, nicht unbedingt die einzige Lösung seien. Bezug nehmend auf mögliche totalitäre Züge basierend auf Religionen meint Duran, dass das kein religionsspezifisches Problem sei. „Das Problem ist die Unterdrückung der Meinungsvielfalt. Eine solche findet doch auch im Kapitalismus statt, der für mich zur Glaubenfrage geworden ist.“ Heute könne man erleben, was durch diesen Glauben bedingt geschehe.

Europäische Muslime

Die drei Muslime fühlen sich grundsätzlich in der Schweiz wohl. Da sie alle hier aufgewachsen sind, sehen sie sich auch als europäische Muslime, auch wenn sie alle noch Verwandte in islamischen Ländern haben. Doch die Religion bleibt auch hier im Westen für sie wichtig. „Ich assoziiere mit dem Islam etwas Schönes, Unergründliches“, erzählt Abdel Aziz. Auch die durch die Religion bedingten Werte und Traditionen sind für die drei wichtig. Djelid erzählt von seinem Herkunftsland Algerien, wo alle, egal wie religiös sie sind, den Ramadan feiern. Zudem gibt es unter Muslimen selbstverständliche Werte wie die Heiligkeit der Ehe oder den Verzicht auf Alkohol. Djelid erwähnt aber auch, dass für die MSA das Praktizieren der Religion keine Bedingung sei.

Keine Probleme als Muslime

Angesprochen darauf, ob sie durch ihr klares Bekenntnis zum Islam noch nie in Schwierigkeiten geraten seien – insbesondere nach dem 11. September –, verneinen alle drei für ihr akademisches Umfeld. Das Einzige, was Djelid feststellen konnte, war, dass seit diesem Zeitpunkt die Leute bei diesem Thema vermehrt auf ihn zukommen – dies aber in einer konstruktiven Art und Weise. Sich an seine Studentenzeit an der ETH erinnernd, meint Duran, dass an der ETH zumindest zu seiner Zeit Politik ein Tabu gewesen sei. Er glaubt auch, dass der Film „Jenin, Jenin“ damals dort nicht hätte gezeigt werden können.

Könnten sie sich auch vorstellen, in ein muslimisches Land zu ziehen? Die drei zögern. Vorläufig sehen sie ihre Zukunft in der Schweiz. Die Frage weiter abwägend, erinnert sich Duran an den muslimischen Gelehrten Mohammed Abdul aus dem 19. Jahrhundert. Dieser hätte eine Reise in die Schweiz gemacht und darauf sinnsgemäss gesagt: „In Ägypten sehe ich viele Muslims aber keinen Islam, in der Schweiz dagegen keine Muslims, dafür viel Islam.“


Fussnoten:
(1) Muslim Students Association: www.msa-zh.org/



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