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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 31.01.2003 06:00

NIDECO: neues ETH-Netzwerk zur Erforschung von Entwicklungfragen
Brücke über den Wissensgraben

An der ETH in zahlreichen Gruppen über Fragen der Entwicklungszusammenarbeit und internationalen Kooperation geforscht. Jetzt werden diese verstreuten Wissensfäden gebündelt: in NIDECO, dem „Network for International Development and Cooperation“.

Von Norbert Staub

Mit ihrem Buch „Global Public Goods. International Cooperation in the 21st Century “ (1) initiierten Inge Kaul, Forschungsdirektorin beim UNDP, dem UNO-Entwicklungsprogramm, und ihre Ko-Autoren eine weltweit lebhafte Diskussion über die Frage, ob Güter von globalem Interesse den Gesetzen des Marktes entzogen und vermehrt in die politische Verantwortung der Staatengemeinschaft übergehen sollen. Das war eine völlig neue Wahrnehmung der Globalisierung, die gemeinhin als Übergang zu einer weltumspannenden Dominanz der westlichen privat- und marktwirtschaftlichen Praxis aufgefasst wurde - und wird.

„Global Public Goods“ - und „Bads“

Das Wesen globaler Gemeinschaftsgüter sei, dass deren Nutzen über Landesgrenzen und Regionen, Bevölkerungsgruppen und Generationen hinaus reicht, so die Autoren. Gemeinschaftsgüter sollten sich dadurch auszeichnen, dass sie niemanden ausschliessen. Dazu gehörten klassische öffentliche „Güter“ wie Frieden und Sicherheit, eine intakte Umwelt oder das kulturelle Erbe. Darüber hinaus werden wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität sowie Wissen genannt. Die Kehrseite davon seien „Global Public Bads“; Güter, die sich im Zuge der Globalisierung zum Schlechten wandeln, beispielsweise eine geringere finanzielle Stabilität durch deregulierte Finanzmärkte, Wasserknappheit sowie die Klimaerwärmung. Dieser Ansatz ist auf fruchtbaren Boden gefallen: So wurde am Erdgipfel von Johannesburg im Sommer 2002 darauf gedrängt, die Bereitstellung internationaler öffentlicher Güter zu fördern. Dazu gehört auch das Wissensangebot im Bereich Entwicklung und Zusammenarbeit. Konkret: Wissen darüber, wie technisch-naturwissenschaftliche Lösungen für globale Probleme wie Klimawandel, Aids oder Malaria zur Anwendung kommen könnten. Von besonderer Tragweite ist dies, wenn man bedenkt, dass fünf Sechstel der Weltbevölkerung in so genannten Entwicklungs- oder Transformationsländern leben.

Wissen bündeln, Austausch fördern

Der Moment ist also gut gewählt, um die vielgestaltige ETH-Forschung auf diesem Gebiet im Kompetenzzentrum NIDECO („Network for International Development and Cooperation“) neu zu bündeln. Auch ausserhalb der ETH bekannt ist das NADEL, das Nachdiplomstudium für Entwicklungsländer. Es bildet unter anderm Nachwuchskräfte für die Entwicklungszusammenarbeit aus. Gezielt mit Entwicklungsfragen befassen sich an der ETH aber auch Fachleute am Zentrum für Internationale Studien (CIS), am Zentrum für Internationale Landwirtschaft (ZIL), und im Indisch-Schweizerischen Biotechnologie-Kooperationsprogramm (ISCB). Daneben liessen sich zahlreiche einzelne Institute und Einzelprofessuren nennen, etwa das Institut für Hydromechanik und Wasserwirtschaft oder die Professur für Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften. An der ETH ist also viel entsprechendes Wissen vorhanden. „Man weiss aber oft nicht, was der Nachbar weiss und tut“, gibt der Ökonom Rolf Kappel zu bedenken. Kappel ist ETH-Professor für Probleme der Entwicklungsländer sowie Leiter des NADEL. Besonders virulent, so Kappel, werde dieses Manko mit Blick auf die technisch-naturwissenschaftlichen Fächer auf der einen Seite und die Sozial- und Geisteswissenschaften auf der anderen. „Viele unserer Kollegen aus den Ingenieur- und Naturwissenschaften sehen sich häufig mit Forschungsfragen zur Implementierung einer technischen Lösung konfrontiert“, hält Rolf Kappel fest. Ob zum Beispiel ein Bodenschutzverfahren, das die Erosion reduziert, Sinn macht, entscheidet sich möglicherweise nicht an der technischen Umsetzbarkeit, sondern an der Frage, ob sich eine solche Lösung sozial, kulturell, wirtschaftlich und wissensmässig mit den örtlichen Gegebenheiten verträgt.


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Wie hier im Hafen der chinesichen Metropole Kanton prallen Tradition und Moderne in vielen Entwicklungs- und Transformationsländern aufeinander: ein Problem, das auch die Forschung stark beschäftigt. (Bild: R.Kappel) gross

Drehscheibe

Intensiver, weit reichender Wissensaustauch ist hier also existentiell. „Genau zu diesem Zweck haben wir NIDECO aus der Taufe gehoben“, meint Rolf Kappel, der als erster Präsident des Leitungsausschusses amtet. Das NIDECO fungiert als Drehscheibe, wo die Informationen zusammenlaufen. Zudem dient es der Repräsentation nach aussen. Als zentrale Anlaufstelle wird NIDECO wichtig sein für Organisationen ausserhalb der ETH wie beispielsweise die DEZA, die nationale Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Gleichzeitig soll das Netzwerk als Forschungskonsortium für die naturgemäss breiten internationalen Forschungsausschreibungen im Entwicklungsbereich fungieren. „Ich erhoffe mir dadurch einen Wettbewerbsvorteil“, sagt Rolf Kappel.

Wissensgraben teilt die Welt

Dass der Umgang mit Wissen für das Gelingen von Entwicklungspolitik ganz entscheidend ist, findet auch Pedro Conceiçao, Gastredner am NIDECO-Gründungsevent von heute Freitag. Die Welt, so Conceiçao, werde von einem „Wissens-Graben“ durchzogen, der viel dramatischer sei als die allen bewusste Einkommens-Kluft. Conceiçao ist Vizedirektor der Forschungsabteilung des UNO-Entwicklungsprogramms in New York: „Bezüglich Wissen sind Entwicklungsländer einer doppelten Gefahr ausgesetzt“, erklärt Conceiçao. „Nämlich zum einen nicht fähig zu sein, Wissen zu produzieren. Zum anderen ist jenes Wissen, das entwickelte Länder produzieren, für sie meist nur von marginalem Nutzen.“ Das schlagendste Beispiel hierfür seien wohl Forschung und Entwicklung im Bereich Medizin. „Heute stehen für 90 Prozent der weltweiten Gesundheitsprobleme nur gut zehn Prozent der Forschungsausgaben im Bereich Gesundheit und Medizin zur Verfügung“, sagt Pedro Conceiçao. Zudem würden unter den vernachlässigten Krankheiten hauptsächlich Arme leiden. 95 Prozent der von AIDS Betroffenen leben in Afrika; aber nur zehn Prozent der aktuellen AIDS-Forschung ist laut dem UNDP-Sachverständigen spezifisch auf Afrika ausgerichtet.

Signalwirkung

Am NIDECO laufen ab Sommersemester Forschungskolloquien, in denen Doktorierende, Postdocs und Professoren aus allen interessierten Bereichen Forschungsthemen präsentieren und debattieren können. Für vielversprechende Projekte steht etwas „Seed Money“ zur Verfügung. Weiter soll mit einem NIDECO-Stipendienfonds von 150'000 Franken jährlich fünf interessanten Nachwuchskräften aus Entwicklungsländern in einem Vorbereitungsjahr soweit geholfen werden, dass sie an der ETH doktorieren können. Das neue ETH-Netzwerk wertet Conceiçao auf diesem Hintergrund als wichtigen Schritt: NIDECO könne erstens Forschungsbeiträge liefern, die vermehrt im Interesse der betroffenen Länder liege. Zweitens könne das Zentrum mithelfen, Forschende der „Dritten Welt“ in die globale Community der Wissenschaften zu integrieren. Nicht zu unterschätzen sei die Signalwirkung: ein Kompetenzzentrum an einer der führenden technischen Hochschulen zeige, dass Forschung im Entwicklungssektor sich für beide Seiten auszahle, für die Entwicklungsländer wie für den Forschungsstandort Zürich. Zudem sei zu hoffen, dass auch die Politik von der Förderung dieser Forschung profitiere: indem sie mit zuverlässigeren Analysen beliefert werden könne. - Ein guter Anfang, so scheint es, um langfristig der verheerenden Wissenskluft beizukommen.


Literaturhinweise:
Weitere Informationen zu NIDECO: www.nideco.ethz.ch

Fussnoten:
(1) Inge Kaul, Isabelle Grunberg, Marc Stern (Hgg.): Global Public Goods. International Cooperation in the 21st Century. New York: Oxford University Press, 1999



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