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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 31.10.2003 06:00

Zum 200. Geburtstag Gottfried Sempers
„Michelangelo des 19. Jahrhunderts“

Gottfried Semper, erster ETH-Professor für Architektur und Vater des ETH-Hauptgebäudes, wäre Ende November 200 Jahre alt geworden. Sein Schaffen würdigt das Museum für Gestaltung mit einer Sonderausstellung, und das ETH-Institut für Geschichte und Theorie der Architektur(1) hat zusammen mit dem Museum der TU München (2) einen umfassenden Sammelband über die Tätigkeiten Sempers publiziert.

Von Michael Breu

„Entseelte Knochengebäude alter Kunst“ wollte Gottfried Semper nicht erstellen, der Klassizismus war ihm zuwider. Die Architektur und Stillehre suche „die Bestandtheile der Form“, die nicht selbst Form sind, sondern Idee, Kraft, Stoff und Mittel; gleichsam die Vorbestandtheile und Grundbedingungen der Form“, schrieb er 1860 in seinem bekanntesten und einflussreichsten Werk „Der Stil“.

Die Idee, die Kraft, der Stoff, die Mittel – Gottfried Sempers Schaffen war immer von den Griechen beeinflusst. Die Aula der ETH Zürich zeugt noch heute davon. Die Decke etwa gebe den symbolischen und allegorischen Ausdruck wieder, anlehnend an den Sagenkreis der Pallas Athene. „Den Mittelpunkt aller Beziehungen bildet das kreisrunde Feld in der Mitte der Decke“, schreibt Martin Fröhlich, Dozent an der Berner Fachhochschule für Technik und Architektur im Schweizerischen Kunstführer. „Auf ihm ist die Geburt der Athene aus dem Haupte des Zeus dargestellt.“ Auch andere griechische Götter dürfen nicht fehlen: Minerva, Hermes, Eros. Nicht nur die ETH Zürich, auch andere Bauten – vor allem in Dresden – zeugen von Sempers Verehrung für die Griechen.

Von der Mathematik zur Architektur

„Semper galt schon unter seinen Zeitgenossen als der grösste lebende deutsche Architekt und übte auch auf die Architektur des 20. Jahrhunderts eine enorme Wirkung aus“, loben Winfried Nerdinger vom Architekturmuseum der TU München, Werner Oechslin vom ETH-Institut für Geschichte und Theorie der Architektur sowie Hans-Peter Schwarz und Christian Brändle von der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst das Schaffen des „Michelangelo des 19. Jahrhunderts“. Heuer wäre er 200 Jahre alt geworden. Aus diesem aktuellen Anlass widmet das Zürcher Museum für Gestaltung dem Schaffen Sempers eine Sonderausstellung; sie startet offiziell am Samstag, 1. November, und ist bis am 25. Januar 2004 zu sehen. Zuvor wurde sie am Architekturmuseum der TU München mit Erfolg gezeigt. Einen Führer durch die Ausstellung haben der Zürcher gta- und der Münchener Prestel-Verlag gemeinsam publiziert.

„Gottfried Semper wurde am 29. November 1803 in eine wohlhabende Altonaer Fabrikantenfamilie hineingeboren“, schreibt Martin Fröhlich in der Kulturzeitschrift „Du“ (Ausgabe März 1999). Altona gehörte zum damals dänischen Schleswig-Holstein. „Die familiären Verhältnisse erlaubten eine sorgfältige Erziehung und gemächliche Berufswahl“, berichtet Fröhlich weiter. Als gemächlich kann man die Zeit der Berufsfindung durchaus beschreiben, denn sie war alles andere als linear. Semper interessierte sich zuerst für alte Sprachen und Mathematik. Aufgrund einer Empfehlung des Hamburger Johanneums schrieb er sich an der Universität Göttingen in Mathematik ein, besuchte aber auch Vorlesungen über Geschichte.

Gottfried Semper, 1871 porträtiert von William Unger. Archivbild: TU München gross

„Zuerst denkt er daran, auf dem Gebiet der Militärwissenschaften zu arbeiten, entwickelt aber bald Interesse an angewandter Hydraulik“, schreibt die Dresdner Architekturexpertin Heidrun Laudel. „Mit einem Empfehlungsschreiben ausgestattet, sucht Semper anschliessend vergebens in Düsseldorf nach einer Stelle als Volontär bei den Hafen- und Wasserbauten.“ Dieses Scheitern brachte Gottfried Semper nach München, wo er sich 1825 als Student der Architekturabteilung einschrieb. Zwei Jahre später gab er jedoch den Plan auf, ein Examen als Wasserbauingenieur abzulegen und begab sich auf Reisen. „Die Wanderjahre durch Italien und Griechenland vermitteln ihm eine breite direkte Kenntnis der bedeutenden


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Das Polytechnikum um 1859, Perspektive von Südwesten. Archivbild: ETH Zürich gross

Bauten und Denkmäler von der Antike bis zur Renaissance“, schreibt Winfried Nerdinger. 1833 kehrte er über München und Berlin nach Altona zurück.

Nur ein Jahr später führte er bereits seinen ersten Bau aus, das Donnersche Privatmuseum, und publizierte seine erste Schrift über die „Polychromie der Griechen“. Noch im gleichen Jahr wurde Semper – „wider alles gedenkbare Wahrscheinliche“ – als Vorstand an die Bauschule der königlichen Kunstakademie in Dresden berufen. In Dresden baute er das (1869 abgebrannte) monumentale Hoftheater, die Kunstakademie, das Maternihospital und noch weitere prunkvolle Gebäude. „Die Teilnahme am Aufstand gegen den König 1849 an der Seite von Richard Wagner und Wilhelm Röckel zwang ihn zur Flucht nach London“, schreibt Martin Fröhlich. „Dort fand er kaum Auskommen und Beachtung, schrieb aber seine ersten wichtigen Bücher.“ Später in Paris dachte er über eine Auswanderung nach Amerika nach, verwarf den Plan allerdings kurze Zeit später. Am 14. August 1854 machte Richard Wagner ihn schliesslich darauf aufmerksam, dass am soeben gegründeten Zürcher Polytechnikum eine Professur für Architektur ausgeschrieben werde, Semper bewarb sich und wurde vom Bundesrat am 7. Februar 1855 als erster Architektur-Professor auf Lebzeiten gewählt – mit einem fürstlichen Gehalt von 5000 Franken (ein Bundesrat wurde zu dieser Zeit mit 6000 Franken entlöhnt). Hier endlich durfte Gottfried Semper seine Familie – Ehefrau Bertha und die Kinder Elisabeth, Manfred, Konrad, Anna, Hans und Emanuel – zu sich holen, nachdem er sie nach seiner Flucht in Dresden zurücklassen musste.

1858 der grosse Wurf: das Polytechnikum

In Zürich entwarf er zahlreiche Pläne etwa für den Basar- und Wohnkomplex Tiefenhof, für ein Theater in Rio de Janeiro oder für das Zürcher Quartier und Stadthaus im Kratz – erfolglos, denn kaum ein Projekt wurde ausgeführt. Doch 1858 gelang ihm der grosse Wurf, die Neubaupläne des Zürcher Polytechnikums, die zwischen 1859 und 1868 umgesetzt wurden. „Aus Angst, der Bau könnte (wie Semperbauten schon oft) zu teuer werden, überband die Regierung dem Zürcher Stadtbaumeister Johann Caspar Wolff die eigentliche Bauleitung; Semper hatte kaum mehr als eine beratende Stimme“, schreibt Fröhlich im Kunstführer. Als Kostenobergrenze wurde der Betrag von einer Million Franken festgelegt. „Das umfangreiche Schulgebäude wurde aus ängstlicher Sparsamkeit so schlecht gebaut, dass Umbau und Renovationen 1915 bis 1924 die Rettung vor dem Zerfall bedeuteten.“ Mit den Sanierungs-, Um- und Ausbauarbeiten wurde der Architekt Gustav Gull betraut, der mit dem Bau des Landesmuseums von sich reden machte. Unter seiner Führung wurden die Grossauditorien, die Bibliotheksrotunde, die Flügel um den ostseitigen Rämihof und die Kuppel gebaut.

Vier weitere Semperbauten in der Schweiz

„Sempers Aufenthalt in Zürich – er währte von 1855 bis 1871 – ist die längste Phase im stationenreichen Berufsleben des Architekten“, findet der Kunsthistoriker Andreas Hauser. Neben dem Polytechnikum baute Semper 1861 den Turm der evangelischen Pfarrkirche in Affoltern am Albis, die Zürcher Sternwarte (1861-1864), das kürzlich versenkte Waschschiff Treichler (1862-1864), die Villa Garbald in Castasegna (1863) und das Winterthurer Stadthaus (1865-1870). 1871 verliess Semper die ETH Zürich auf eigenen Wunsch, reiste nach Frankfurt am Main (für den Theaterbau), Darmstadt und Wien. 1877 gab Gottfried Semper nach einem starken Asthma-Anfall seine letzten Arbeiten am Hoftheater in Wien auf und reiste zur Kur nach Bad Reichenhall. Am 15. Mai 1879 verstarb er in Rom.

Bereits ein Jahr später wurde in Zürich ein Semper-Museum gegründet, je ein Semper-Denkmal wurde 1887 in der Eingangshalle des Zürcher Polytechnikums und 1892 in der Kunstakademie Dresden eingeweiht.


Architektur und Wissenschaft

(mib) Heute Freitag, 31. Oktober, findet ab 19 Uhr im Vortragssaal der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGKZ) die Vernissage zur Ausstellung „Gottfried Semper – Architektur und Wissenschaft“ statt (3). Die Eröffnungsreferate halten Hans-Peter Schwarz, Rektor der HGKZ, Olaf Kübler, Präsident der ETH Zürich, und Werner Oechslin, Vorsteher des ETH-Institutes für Geschichte und Theorie der Architektur (gta). Die Ausstellung ist offiziell vom 1.November bis 25. Januar 2004 im Museum für Gestaltung zu sehen und ist begleitet von einem Vortragsprogramm. Ebenso werden öffentliche Führungen angeboten – etwa durch die Gebäude der ETH (15.11., 6.12., 10.1., Besammlung jeweils um 14 Uhr auf der Polyterrasse). Zusammen mit der TU München hat das Institut gta einen Führer zur Ausstellung herausgegeben (112 Franken für die gebundene Ausgabe, 56 Franken für die broschierte) (4). Älter und nur noch in Restmengen erhältlich sind die beiden Kunstführer „Sempers ehemalige Eidgenössische Sternwarte in Zürich“ (erschienen 1998) und „Sempers Hauptgebäude der ETH Zürich“ (erschienen 1990). Sie wurden von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte herausgegeben.




Fussnoten:
(1) Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, ETH Zürich: www.gta.arch.ethz.ch/d/institut/
(2) Architekturmuseum der Technischen Universität München: www.architekturmuseum.de/
(3) Museum für Gestaltung, Zürich: www.museum-gestaltung.ch/
(4) Winfried Nerdinger, Werner Oechslin (Hrsg.): „Gottfried Semper 1803-1879. Architektur und Wissenschaft“, gta-/Prestel-Verlag, Zürich/München 2003: www.gta.arch.ethz.ch/d/verlag/index.php



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