ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
English Version English Version
Print-Version Drucken
Publiziert: 02.11.2005 06:00

Astrophysik, unterhaltsam erzählt von Simon Singh
Vergnüglicher Urknall

Ein brechend volles Auditorium E 7 erwartete den englischen Wissenschaftsautoren Simon Singh am Montag im Hauptgebäude der ETH, als er zu seinem Vortrag über die Urknall-Theorie erschien. Das Department Informationstechnologie und Elektrotechnik hatte den Bestseller-Autor eingeladen, die Geschichte des Alls in 60 Minuten zu packen.

Norbert Staub

Solider, populär präsentierter Wissenschaftsjournalismus, gepaart mit Witz und Schalk: Dies ist das Markenzeichen des englischen Wissenschaftsjournalisten Simon Singh. Mit diesem Mix schafft er es immer wieder, komplexeste Themen auch einem Massenpublikum schmackhaft zu machen. Diese Fähigkeit stellte er auch mit seinem Auftritt am Montag vor mehreren Hundert Interessierten im ETH-Zentrum unter Beweis.

Brillanter Vermittler

Singh, am Imperial College London und in Cambridge ausgebildeter Teilchenphysiker, wurde in England bekannt mit populären Fernseh-Sendungen zu Wissenschaftsthemen. Auch ausserhalb der Insel erwarb er sich mit seinen Büchern „Fermats letzter Satz“ (1997, über eine der härtesten mathematischen Knacknüsse, von Andrew Wiles erst vor einigen Jahren gelöst) und „Geheime Botschaften“ (1999, über Kryptographie) den Ruf eines Vermittlers besonders schwieriger Themen aus Mathematik und Naturwissenschaften. Theorien bemüht Singh gerade so weit, dass sie zum tragfähigen Gerüst seiner Erzählungen werden, und dargestellt werden sie so simpel wie nur möglich. Sei der wissenschaftliche Stoff noch so sperrig: Angereichert mit Singhs Geschichten und Anekdoten bekommt er ein „menschliches“ Gesicht. Das Resultat sind spannende „Abenteuergeschichten der etwas anderen Art“, wie eine Kritikerin meint.

Mit dem Segen der Kirche

Singhs untrüglicher Sinn für zugkräftige Themen hat ihn nun veranlasst, sich mit der Entstehung der Welt durch den Urknall auseinanderzusetzen. Singh setzte an mit James Jeans, dessen Buch „The Mysterious Universe“ 1930 noch von einem ewig-statischen Universum ausging. Jeans nahm dabei keine Rücksicht auf die kurz zuvor, 1927, vom belgischen Geistlichen und Astronomen Georges Lemaître zunächst vorsichtig geäusserte Theorie, dass das Universum nicht statisch, sondern dynamisch sein könnte und demnach einen Anfang gehabt haben müsste. „Es gibt zwei Wege zur Wahrheit; ich verfolge beide“, soll Lemaître gesagt haben. Das physikalische Interesse von Lemaître war übrigens kein Zufall. Die Vergleichbarkeit der Urknall-Theorie mit der Genesis bewog die katholische Kirche bereits in den fünfziger Jahren, ihren Segen dazu zu geben.

Mächtige Vorurteile

Der Amerikaner Edwin Hubble gab 1929 Lemaîtres Hypothese Nahrung. Er entdeckte, dass das Licht weit entfernter Galaxien eine Rotverschiebung aufweist – ein Hinweis darauf, dass sich diese Galaxien voneinander entfernen, und zwar, wie er feststellte, in rasendem Tempo. Die Erklärung für diesen Effekt lieferte Singh musikalisch: mit dem als Video-Clip eingespielten „Cosmic Doppler Song“. Doch Hubbles falsche Annahme, dass die Geburt des Universums erst vor ein bis zwei Milliarden Jahren stattfand, veranlasste das wissenschaftliche Establishment dazu, die Theorie lange Zeit links liegen zu lassen.


weitermehr

Begnadeter Erklärer: Simon Singh, britischer Wissenschaftsautor am vergangenen Montag an der ETH. gross

Nicht zu glauben, was das bisherige Gedankengebäude sprengt, sei typisch menschlich, meinte Simon Singh. Auch dafür hatte der Referent eine musikalische Illustration parat: Er spielte eine Passage des zum Thema passenden Klassikers „Stairway to Heaven“ der Rockgruppe Led Zeppelin rückwärts ab. Erwartungsgemäss vernahm das Publikum zunächst nichts, ausser mit Ton unterlegte Sprachfetzen ohne jede Bedeutung. Dann blendete Singh aber einen Text ein, der an eine abstruse Satansbeschwörung erinnerte. Diesen Text jetzt vor Augen, schien die erneut abgespielte Passage für das Publikum in der Tat genau diese obskure „Geheimbotschaft“ wiederzugeben.

Eine eindrückliche Demonstration der Formbarkeit der menschlichen Vorstellung zwar, doch der Bezug zum Thema schien etwas gesucht. Denn laut Singh rührte das lange dauernde Misstrauen gegenüber der Urknall-Theorie daher, dass zunächst erhärtete Daten fehlten. „Das Wesen der Wissenschaft besteht darin, gutes Faktenmaterial zu sammeln und mit der Theorie zu vergleichen“, hielt er fest. „Es sind am Ende die Fakten, die einem sagen, was wahr ist und was nicht.“

Nachhall des Urknalls

Die Geschichte der Urknall-Theorie macht da keine Ausnahme: Über Jahrzehnte zog sich die Debatte zwischen deren Verfechtern und jenen der Theorie eines stationären Universums hin. Zu letzteren gehörte der britische Astrophysiker Fred Hoyle, der Hubbles These von der Expansion zwar akzeptierte, aber annahm, dass nicht ein explosiver Beginn, sondern die ständige Entstehung neuer Materie diese Expansion vorantreibt. Er blieb auch skeptisch, nachdem 1965 Arno Penzias und Robert Wilson bei der Ausrichtung des Radioteleskops der Bell Labs in New Jersey zufällig die kosmische Mikrowellenstrahlung entdeckten: ein „fossiles“ Echo des Urknalls. Dies war der Durchbruch für die Theorie.

Singhs Kompaktkurs in Sachen Weltentstehung endete noch vor den neusten kosmologischen Erkenntnissen zum Urknall und den geradezu fantastischen Modellen, die es heute gibt. Aber die Neugier des gut unterhaltenenen Publikums hielt auch nach dem Auftritt an. So wollte ein Zuhörer von Simon Singh wissen, was denn vor dem Urknall war. Eine Hypothese laute, dass ein anderes Universum „sterben“ musste, bevor das unsere entstehen konnte, so Singh. „Und es gibt heute auch die Vorstellung, dass gleichzeitig unendlich viele Universen neben einander bestehen, sozusagen ein 'Multiversum’.“ Viel Stoff für weitere Vorträge also. Rechtzeitig, bevor die Gedanken der Zuhörer im Saal endgültig ins Unendliche abdrifteten, holte Singh sie mit einem Witz wieder auf den Boden zurück: „Was machte Gott, bevor er die Welt erschuf? Er baute die Hölle - für Leute, die solche Fragen stellen wie Sie.“


Literaturhinweise:
Website von Simon Singh: www.simonsingh.com/



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!