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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 06.02.2002 06:00

Pharmazeutische Wissenschaften: Neues "Vireal Lab"
"Demokratisierung" der Information

Durch seine Telepoly-Vorlesungen live zwischen Zürich und Basel hat sich Gerd Folkers, Professor für Pharmazeutische Chemie an der ETH, den Ruf erworben, mit der Spitze der technologischen Entwicklung mitzuhalten. Gestern präsentierte er einer staunenden Gruppe von Medienleuten seinen neusten Streich: das "Vireal Lab" im Institut für Pharmazeutische Wissenschaften. "Vireal" steht für die Verschmelzung von virtuellen und realem Raum - ein Stück ETH World, das mit Händen zu greifen ist.

Von Norbert Staub

Es beginnt ganz altmodisch - mit zwei Riechfläschchen. Das eine enthält eine frisch nach Limonen duftende Substanz, beim anderen sticht einem ein zwar ähnlicher, doch abgestandener Duft in die Nase. "Sie haben zweimal dasselbe Molekül wahrgenommen, der einzige Unterschied ist der spiegelverkehrte Aufbau", erklärt Gerd Folkers. Was die Nase und letzendlich das Gehirn spielend erkennt, ist ein unendlich komplizierter Vorgang und nennt sich "molekulare Erkennung". Für die pharmazeutische Lehre ein schwerer Brocken. "Unsere Wissenschaft handelt von Molekülen und den Wechselwirkungen mit deren Kontext - Dingen also, die sich nicht in die Hand nehmen lassen", sagt Folkers.

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Einprägsame Simulation: Molekülstrukturen werden auf dem grossen Touchscreen plastisch erfahrbar. gross

Wissen erleben

"Wir mussten uns etwas einfallen lassen, um die Anschaulichkeit des Unterrichtsstoffs zu gewährleisten. Wir brauchen Dreidimensionalität und bewegliche Modelle", macht Folkers den Zuhörern plausibel. Aktuellste Informationstechnologie, wie sie im Vireal Lab nun unter Beteiligung von ETH World (Projektleiter: Christof Hanser) entstanden ist , befriedigt den Bild- und Datenbedarf der Pharmazie - und lässt das Herz von IT-Begeisterten höher schlagen.

Der gut 100 Quadratmeter grosse, bislang der Instituts-Bibliothek vorbehaltene Raum auf dem Irchel ist ein multimedial hochgerüstetes Informationszentrum, in dem die Studierenden eine ganz neue Form der Wissensvermittlung erleben: Drei Wandtafel-grosse Touch-Screens erinnern nur entfernt an den schwarzen Schiefer; sie ebnen den Weg ins Netz und in wissenschaftliche Datenbanken, von denen 3-D-Modelle von komplexen Molekülen bezogen werden. Mit blossem Finger lassen sich diese im Raum bewegen und von jeder Seite betrachten. Und natürlich lässt sich der Screen wie ehedem auch beschriften.

Wie in der Autoindustrie

Doch ist das längst nicht alles: auf der intelligenten Wandtafel lassen sich die Moleküle umbauen, ergänzen – einem computerunterstützten Designprozess in der Architektur oder der Automobilindustrie vergleichbar. Im realen Experiment wird dann versucht, diese Substanzen herzustellen. Und zuguterletzt wird in Kürze via Videoconferencing das Einblenden und Mitdiskutieren von anderen Unterrichts- und Forschungsgruppen möglich sein, befinden sich diese nun in Würenlingen oder in Boston.

Dasselbe Leistungsspektrum wie die smarten Wandtafeln bieten zwei ebenso grosse intelligente Konferenztische. Hier können die Studierenden im Team selbst den molekularen Problemen auf den Grund gehen.


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"Smart Whiteboards": Gerd Folkers will die zwanglose Kooperation zwischen Studierenden und Lehrpersonen fördern. gross

All das fasziniert - doch behindert nicht der Preis die ETH-weite Ausbreitung virealer Unterrichtslandschaften? Folkers verneint. Die Komplettausrüstung des Vireal Lab mit Elektronik und auf den Zweck abgestimmtem Mobiliar, eines Prototyps wohlgemerkt, kam ihm zufolge auf zirka 400'000 Franken zu stehen.

Es darf geklönt werden

Die schöne neue Welt der grossen Touch-Screens beeinflusst die Lehrformen: das Verkünden von Wahrheiten vom Katheder herab wird so zum Austausch von Wissen am runden, intelligenten Tisch. Das ist ganz nach Folkers' Geschmack, der mit sichtlichem Vergnügen das in Norddeutschland gepflegte "Klönen" zum Vorbild für seine Lehrveranstaltungen nimmt: das zwanglose Beisammenhocken zwecks Austauschs von Wissenswertem.

"Demokratisierung der Information" nennt Folkers diesen Trend. Insbesondere für die Angewandten Biowissenschaften sieht er darin die Zukunft. Dabei nimmt er in Kauf, dass sich laut Begleitstudie zum ersten Kurs die Rezeptionsgeschwindigkeit der Studierenden im Vergleich zu bisher verringert hat. "Ich deute das als Zeichen dafür, dass der Stoff zuvor zu schnell und zu oberflächlich 'verabreicht' wurde." Trotz Vireal Lab bleiben Bücher und alle anderen Medien der Wissensvermittlung erhalten. "Es geht nicht darum Bewährtes zu ersetzen, sondern darum, Komplementarität zu schaffen", betont Folkers.

Noch gibt es Zurückhaltung beim Gros der Studierenden. "Da ist recht viel Respekt vor der neuen Technologie, zuviel", bedauert Folkers. "Aber das ändert sich hoffentlich schnell. Das Vireal Lab ist allen Studierenden zugänglich und soll ein Treffpunkt werden, wo Probleme besprochen und gelöst werden."

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Gleichzeitig Konferenztisch, Zugang zu Datenbanken, Konstruktionstool und kommunikative Schnittstelle: intelligenter Tisch im Vireal Lab. gross

Weg aus der "kommunikativen Steinzeit"

An der ETH und beim NET, wo ebenfalls an virtuellen Lernumgebungen gearbeitet wird, ist Folkers für das Vireal Lab offensichtlich nicht fündig geworden. Seine Vorstellungen fand er beim deutschen Unternehmen Wilkhahn verwirklicht, das auf die Optimierung der Bürokommunikation spezialisiert ist. Allerdings war auch für Frank Sonder, der bei Wilkhahn das Konzept des Vireal Lab entworfen hat, dieser Auftrag eine besondere Herausforderung: "Die Bürowelt ist heute mit enorm viel Technologie ausgestattet", sagt Sonder. "Kommt es aber zu Meetings und Teamarbeit, greift man wieder auf steinzeitliche Instrumente wie Bleistift und Papier zurück. Wir haben hier gemeinsam versucht, eine Alternative zu entwickeln."

Das Vireal Lab der ETH wird an der Cebit, der weltgrössten Computerfachmesse im kommenden März in Hannover, vorgestellt werden.


Literaturhinweise:
Website des Vireal Lab: www.vireal.ethz.ch/



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