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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 14.12.2001 06:00

Gedenkveranstaltung anlässlich des 100. Geburtstags von J.-R. von Salis
Ein Grosser der Schweizer Geschichte

Den 100. Geburtstag von Jean-Rodolphe von Salis feierte die ETH letzten Mittwochabend mit einer Gedenkveranstaltung, die von der österreichischen-schweizerischen Kulturgesellschaft Zürich organisiert wurde. Drei Vorträge gaben einen Einblick in das Schaffen und Wirken des Historikers, der 33 Jahre Professor an der ETH gewesen war.

Von Christoph Meier

Der Anlass entsprach dem Bild, das die Referenten von Jean-Rodolphe von Salis entwarfen. Er war besonnen, anspruchsvoll, aber nicht schrill. An der Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag des Historikers zollten ihm sowohl Herbert Haupt vom Kunsthistorischen Museum Wien, Gerald Stourzh vom der Universität Wien als auch die Publizistin Klara Obermüller grossen Respekt. Obwohl die Ansätze verschieden waren, sahen alle Referenten in von Salis einen Intellektuellen, der sich engagierte, ohne vereinnahmt zu werden.

Hilfe für Österreich

Für die österreichische Kultur war von Salis bedeutsam, indem er in den Nachkriegsjahren bei deren Wiedereingliederung in das internationale Kulturleben half. Herbert Haupt schilderte, wie der Schweizer als erster Präsident der österreichischen-schweizerischen Kulturgesellschaft Zürich entscheidend dazu beitrug, dass bereits 1946 eine Ausstellung mit österreichischem Kulturgut in Zürich stattfand. Als Historiker sei sich von Salis der Bedeutung von Museen als Gedächtnis der Gesellschaft bewusst gewesen.

Die Ausstellung wurde zu einem kulturellen Ereignis ersten Ranges, die in fünf Monaten mehr als 360'000 Personen besuchten. Von Salis war aber schon vorher in Österreich ein Begriff, denn auch viele Nachbarn im Osten hörten - wenn auch verbotenerweise - seine heute legendäre wöchentliche Radiosendung "Weltchronik" während des Krieges. Die dabei geübte Zurückhaltung kam ihm auch beim Ausstellungsprojekt zugute, denn für die dafür notwendige Zustimmung der Alliierten, insbesondere der Russen, wäre eine politische Ausrichtung schädlich gewesen.

"Furchtbar vornehm"

In grösserem Rahmen auf die Politk in von Salis' Leben ging Gerald Stourzh ein. Er zeigte in seinem Vortrag, der von Salis als einen Grenzgänger in verschiedenen Bereichen darstellte, dass Politik eine Leidenschaft des Historikers war. Dabei liess sich dieser aber nie an eine Doktrin binden. Einen Grund für die Zurückhaltung erkannte Stourzh darin, dass von Salis' Sinn nie nach Macht gestanden sei. Die Distanz des Historikers zur Politik ist im Satz "Der Staatsmann ist ein grosser Menschenbraucher" erkennbar. Über den Historiker von Salis erfuhr der Zuhörer, dass sich dieser gegen das Primat des Sozialen in der Geschichtsschreibung stellte. Er sei auch einer der wenigen Historiker gewesen, der eine grosse Synthese wagte, was sich in seiner 1951 bis 1960 publizierten "Weltgeschichte der neuesten Zeit" niederschlug.

Stourzh wertete diese Tatsache als Vorzug und attestierte von Salis, dass er ein Intellektueller gewesen sei, der sich nicht nach den Moden der Zunft gerichtet habe. Die nötigen Freiräume hätte ihm die Position an der ETH geboten, wo er an einer "Fakultät des Fakultativen" zwischen 1935 und 1938 lehrte. Der Wiener Historiker verwies im Weiteren auch auf von Salis als wesentlichen Publizisten, seine Grenzerfahrungen in der deutschen wie französischen Kultur und seine starke Beschäftigung mit seiner Herkunft. Bei dieser soll seine Tante Meta von Salis zu ihm gesagt haben: "Sind wir nicht furchtbar vornehm?"


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von salis geburtstag
Lauschten den Ausführungen über Jean-Rodolphe von Salis: Zuhörer bei der Gedenkveranstaltung zum 100. Geburtstag des Historikers. gross

"Fragender bleiben, Verstehender werden"

Unvoreingenommenheit - diese Eigenschaft beeindruckte die Publizistin Klara Obermüller besonders bei ihrer ersten Begegnung mit von Salis. Die Verfasserin des Buches "Dem Leben Recht geben", in dem sie ihre Gespräche mit von Salis publizierte, erzählte, wie der Historiker über eine Polenreise in einer Weise berichtete, wie sie selten war in der Zeit des kalten Krieges. Von Salis wurde für Klara Obermüller zum Inbegriff des Intellektuellen. Mit der Auffassung "Fragender bleiben, Verstehender werden" habe von Salis ein Einzelgänger bleiben müssen. Die Publizistin befand, dass die "Weltchronik" nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Er habe das Richtige gesagt unter Vermeidung des Schrillen. Ob der Verwurf, von Salis sei bei seiner Chronistentätigkeit während des Krieges zu moderat gewesen, gerechtfertigt sei könne sie nicht beurteilen und weiter: "Ich weiss, Jean Rodolphe von Salis beschönigte nie."

Klara Obermüller wies auch darauf hin, dass J. R. von Salis sich während des Kalten Krieges gegen totalitäre Tendenzen jeglicher Art richtete. Zeugnis davon ist sein Buch "Schwierige Schweiz". Das Abseitsstehen der Schweiz wurde gemäss der Publizistin zur zentralen Beschäftigung im Alter von Salis, wobei sich dieser bis in die letzten Tage treu geblieben sei.

Nach diesem Abend konnte sich der Zuhörer kaum des Eindrucks erwehren, dass alle, die in Kontakt kamen mit dem grossen Schweizer, von seiner Persönlichkeit fasziniert waren. Insofern kommt der Wunsch nach vergleichbaren Stimmen auf. Die Frage dabei wäre aber, wer würde ihr in Zukunft lauschen. Denn von den 100 bis 200 Zuhörern waren der Grossteil ältere Semster. Hoffen wir trotzdem, dass der Historiker von Salis nicht schon Geschichte ist.


Literaturhinweise:
Tagesanzeiger-Artikel zum 100. Geburtstag von J.R. von Salis: Ein konservativer Aufklärer
NZZ-Artikel zum 100. Geburtstag von J.R. von Salis: Historiker zwischen den Zeiten; Die «Stimme der Nation» und ihr Nachklang



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