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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 10.11.2003 06:00

Nationale Forstpolitik und Nachhaltige Entwicklung
Wunderbare Waldvermehrung

In der Schweiz soll bis Ende 2003 ein Nationales Forstpolitisches Programm (NFP bzw. WAP) vorliegen. Darin soll die Nachhaltigkeit definiert und konkretisiert werden, die bereits seit 1876 ansatzweise in der schweizerischen Forstgesetzgebung festgeschrieben ist. Auch international wird auf politischer Ebene und im Rahmen von Forschungsprogrammen an NFPs gearbeitet. ETH-Forscher begleiten den politischen Prozess und beteiligen sich an internationalen Forschungsprojekten.

Von Michael Breu

Frische, gute Luft: das gibt’s im Wald. Dem stimmt jeder dritte Schweizer zu. Der Wald wird von der Bevölkerung denn auch fleissig zur Erholungssuche genutzt, hat eine gross angelegte Befragung ergeben, die von der ETH Zürich und der Universität Bern vor fünf Jahren im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) durchgeführt wurde: 58 Prozent nutzen den Wald ein bis zwei Mal pro Woche, weitere 38 Prozent mindestens ein Mal pro Monat (1). Zwar bangen die Schweizerinnen und Schweizer nicht (mehr) um die Existenz des Waldes, trotzdem sind sie der Meinung, er werde von der Umweltverschmutzung bedroht und längerfristig zerstört. So sind zum Beispiel 57 Prozent der Befragten überzeugt, dass die Waldfläche in den letzten zwanzig Jahren abgenommen hat.

Waldfläche nimmt zu

Die Fakten über die Waldentwicklung zeigen ein anderes Bild: Zwischen 1985 und 1995 hat die Waldfläche um 4 Prozent oder 47’600 Hektar zugenommen, seit 1860 sogar um 60 Prozent oder 770’000 Hektar. Zu diesem Ergebnis kommt das Schweizerische Landesforstinventar (LFI), welches von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) periodisch durchgeführt wird (2). Diese „wunderbare Waldvermehrung“ führt heute an manchen Orten in der Schweiz „zu landschaftsästhetischen und planerischen Problemen“, hat ein internationales Expertenteam, fachlich betreut von Mitarbeitern der ETH, in einer Studie zu Handen des Buwal festgestellt (3).

„Der Schutz des Waldes hat in der Schweiz eine lange Tradition“, sagt Willi Zimmermann, Leiter verschiedener Forschungsprojekte an der ETH-Professur Forstpolitik und Forstökonomie. Klassisches Beispiel dafür ist das Prinzip der nachhaltigen Holznutzung, das 1876 ins erste Forstpolizeigesetz des Bundes Aufnahme fand und heute als umfassendes Prinzip sogar in der Bundesverfassung verankert ist. „Das erste Forstpolizeigesetz war nur auf das Hochgebirge und damit primär auf den Schutzwald beschränkt“, erklärt Zimmermann. Doch mit der Ausdehnung der Forstpolizeigesetzgebung auf die gesamte Schweiz im Jahre 1902 habe der Begriff „Schutzwald“ eine richtige Inflation erlebt: „Es gab damals im Gesetz eine Unterscheidung zwischen Nicht-Schutzwald und Schutzwald mit jeweils unterschiedlichen Regelungen. So wurden unter anderem für Schutzwälder mehr Bundes-Subventionen gesprochen als für Nicht-Schutzwälder. Die Ausscheidung der beiden Waldkategorien oblag den Kantonen. Vorwiegend aus subventionspolitischen Überlegungen schieden alle Kantone ausser Genf und Glarus im Verlaufe der Zeit die gesamte Waldfläche als Schutzwald aus.“ Aufgrund dieser Entwicklung hat man im neuen Waldgesetz von 1991 auf diese Unterteilung grundsätzlich verzichtet.

Waldprogramm Schweiz

Die neuen gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald, die unkontrollierte Waldvermehrung, die wachsende Abhängigkeit der Forstwirtschaft von staatlichen Beiträgen sind einige der Gründe, welche zu einem grundsätzlichen Überdenken der schweizerischen Forstpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts Anlass gegeben haben. Seit 2001 läuft auf Bundesebene das so genannte „Waldprogramm Schweiz“ (WAP-CH), mit dem versucht wird, der Waldpolitik mehr Konturen zu geben (4). Der Schlussbericht zum WAP-CH soll bis Ende 2003 vorliegen und möglichst quantifizierbare Ziele für das Jahr 2015 beinhalten. Die Professur Forstpolitik und Forstökonomie der ETH Zürich beteiligt sich am Programm „durch wissenschaftliche Beratung und Begleitung“. Sie bearbeitet gleichzeitig ein internationales Forschungsprojekt über „inhaltliche und prozedurale Anforderungen an ein Nationales Forstpolitisches Programm (NFP)“ (5).

Um die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für den laufenden WAP-Prozess zu verstehen, muss man einen Blick zurück werfen. Ein erster Versuch für ein Forstpolitisches Programm wurde bereits in den 1960er-Jahren unternommen. Die Initiative ging dabei vom Schweizerischen Forstverein aus, der im Wesentlichen aus Forstbeamten bestand. Die Arbeit des Vereins war sehr stark vom sektoriellen Denken geprägt. Sie wurde zu Beginn der 1970er-Jahre konkurrenziert durch das vom Bund lancierte Projekt „Gesamtkonzeption Wald- und Holzwirtschaftspolitik“ (6). „Ähnlich wie andere Konzeptionen der 1970er-Jahre war auch diese geprägt durch Expertenwissen“, sagt Zimmermann. Doch weder der professorale Expertenansatz noch der berufständische Ansatz des Forstvereins führten zu substanziellen Kurskorrekturen in der schweizerischen Forstpolitik. „Die 1980er-Jahre brachten – wohl aus einer gewissen Frustration heraus – auf der politischen Planungsebene ebenfalls nicht viel Neues. Erst die Debatte um das Waldsterben hat die Forstpolitik merklich verändert“, sagt der Kenner der schweizerischen Forstpolitik. Sie führte zur Ablösung des Forstpolizeigesetzes durch das heute gültige Waldgesetz. Die wesentliche Neuerung bestand dabei im massiven Ausbau der Bundessubventionen: Seit Mitte der 1980er-Jahre haben sich diese beinahe verdreifacht (aktuell 150 Millionen Franken pro Jahr). „Für die Forstwirtschaft standen in den letzten Jahren fast immer genügend öffentliche Mittel zur Verfügung. Die vom Parlament bereit gestellten Gelder wurden teilweise nicht vollständig ausgeschöpft“, sagt Zimmermann. „Wenn man fast alles fördern kann und dafür auch die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, muss man weder planen noch Prioritäten setzen“, kritisiert der Wissenschafter.


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Schweizer Rekordbaum: Die dickste Fichte steht im St.Galler Calfeisental, ist mehrere hundert Jahre alt und bringt es auf einen Stammdurchmesser von 1,84 Meter. Bild: Peter Brang/WSL gross

Zu diesem Schluss kam Ende der 1990er-Jahre auch das bereits erwähnte internationale Expertenteam. Dessen Empfehlungen sowie Befunde aus weiteren Forschungsprojekten und das Engagement des Bundes in der internationalen Waldpolitik veranlassten das Buwal, die nationale Waldpolitik kritisch zu hinterfragen und auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Idee zur Lancierung eines neuen waldpolitischen Programmes fand auch beim zuständigen Departement UVEK Anklang. Dabei spielte gemäss Zimmermann der Zufall mit: „Der zuständige Bundesrat Moritz Leuenberger hielt am 100-Jahr-Jubiläum der Schweizer Förster die Festrede und beschäftigte sich wahrscheinlich zum ersten Mal vertieft mit Forstpolitik. Da hat er das Anliegen einer forstpolitischen Neuorientierung gleich aufgenommen.“ Nach einem kurzen Hin und Her zwischen dem Departement UVEK und dem Buwal läuft nun seit 2001 der stark partizipativ ausgestaltete Prozess für ein Waldprogramm Schweiz.

Synthesepapier soll im Herbst 2003 vorliegen

„Im Moment steckt der Prozess in einer schwierigen Phase“, analysiert Zimmermann. Denn das Synthesepapier, welches die Resultate von acht fachspezifischen Arbeitsgruppen und dem eher politisch zusammengesetzten Forum auf einen Nenner bringen soll, muss bis Herbst 2003 geschrieben und verabschiedet sein. Doch die Wünsche der beteiligten Partner – Forstwirtschaft, Forstverwaltungen, Umweltorganisationen, Holzwirtschaft, Tourismus, Kiesbranche, Landwirtschaft, Politik – gehen in zentralen Fragen weit auseinander. „Die Hauptkonfliktlinien liegen zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Holzproduktion und Naturwald, zwischen staatlichen Eingriffen/Kontrollen und Freiheiten der Waldeigentümer, zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen an den Wald und deren Finanzierung“, sagt Zimmermann. Dabei zeichne sich – nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Entwicklungen bei den öffentlichen Finanzen – eine eigentliche „Schlankheitskur“ für die waldpolitischen Einflussmöglichkeiten des Bundes ab: Dessen Förderungskompetenzen sollen grundsätzlich auf die beiden Bereiche Biodiversität und (echter) Schutzwald reduziert werden. Der Abbau von staatlichen Mitteln soll durch grössere Freiheiten bei der Waldbewirtschaftung „kompensiert“ werden. „Wird dieses Konzept durchgezogen, würden in der Waldpolitik des Bundes in Teilbereichen tatsächlich neue Leitplanken gesetzt. Bis es soweit ist, müssen noch diverse Hürden genommen werden. Die erste steht bereits, denn der Schlussbericht des WAP-Prozesses wird von der verwaltungsinternen Projektleitung redigiert, welche durchaus eigene Interessen zu vertreten hat“, sagt Zimmermann.

Mehr offene Fragen als Antworten

Dass aufwendige NFP-Prozesse nicht zwangsläufig zu grundlegenden Korrekturen in der nationalen Forstpolitik führen, hat sich beispielsweise auch in Deutschland gezeigt. In einem Übersichtsartikel in der „Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen“ schreiben Willi Zimmermann und Kurt Bisang, Politikwissenschafter an der Professur Forstpolitik und Forstökonomie (7): „Insgesamt verändert das nationale Forstprogramm in Deutschland die Forstpolitik nicht.“ Auch die internationale Forstpolitik – sie wurde 1992 mit der Deklaration „Wald“ am Umweltgipfel von Rio de Janeiro initiiert – bekommt schlechte Noten: „Insgesamt lässt der internationale Prozess mehr Fragen offen, als er beantwortet“. Dennoch finden Zimmermann und Bisang, dass der Prozess dazu beitragen könnte, „bestehenden Zielsetzungen mehr Nachdruck zu verleihen und zusätzliche Akteure für die Anliegen des Waldes zu interessieren.“

Dafür plädiert auch Mario F. Broggi, Direktor der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft; in einem Beitrag in der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen schreibt er, dass der Wald im Ballungsraum wieder ganzheitlich betrachtet werden müsse (8): „Der Wald im Ballungsraum wäre dann nicht 'nur Parkwald', sondern gegebenenfalls auch 'Holznutzwald'“.

Ob dies bei der Bevölkerung auf offene Ohren stossen wird? Immerhin sprechen sich rund 70 Prozent für die Schaffung von Waldreservaten aus; der Wald, so die Meinung der Mehrheit, ist ein Sinnbild für eine intakte Umwelt.


Fussnoten:
(1) Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Hrsg.): „Gesellschaftliche Ansprüche an den Schweizer Wald – Meinungsumfrage“, Schriftenreihe Umwelt Nr. 309: www.umwelt-schweiz.ch/buwal/de/
(2) Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft / Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Hrsg.): „Schweizerisches Landesforstinventar. Ergebnisse der Zweitaufnahme 1993-1995“
(3) Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Hrsg.): „Sustainability Assessment of Swiss Forest Policy – Background report“, Environmental Documentation No. 120
(4) Waldprogramm Schweiz: http://www.waldprogramm.ch
(5) Kurt Bisang, Willi Zimmermann: „Minimum requirements for sustainable use of forests in national forest programmes. Elements and principles developed for a study of Swiss forest policy“, Sustainable Development, 2003, 11 (1): 36-46 oder www.fowi.ethz.ch/ppo/coste19/d/index.htm
(6) Eidg. Departement des Innern (Hrsg.): „Gesamtkonzeption für eine schweizerische Wald- und Holzwirtschaftspolitik“, Bern, 1975
(7) Kurt Bisang, Willi Zimmermann: “Nationale Forstprogramme: Internationaler Kontext, erste europäische Erfahrungen und Lehren für die Schweiz”, Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen 2002, 153 (11): 419-429: www.fowi.ethz.ch/german/Journal.html
(8) Mario F. Broggi: „Umgang mit dem Wald im Ballungsraum – einige Gedankensplitter“, Schweiz. Zeitschrift für Forstwesen 2003, 154 (6): 216-218



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