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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 27.05.2005 06:00

„Die ETH baut Zürich(?)“ – Podium zur Ausstellungseröffnung
Produktive Provokation

Ein hochkarätig besetztes und gut besuchtes Podium im Audimax diskutierte am Mittwoch Abend über den Einfluss der Hochschularchitektur auf die Zürcher Stadtentwicklung. Anlass war die Eröffnung der Ausstellung „Die ETH baut Zürich 1855-2005“ im ETH-Hauptgebäude. Die Experten begrüssten zwar den Trend, Stadt- und Hochschulplanung gesamtheitlich anzugehen. Aber bei der konkreten Umsetzung – etwa beim Thema „Science City“ – waren die Meinungen geteilt.

Norbert Staub

Wer im öffentlichen Raum plant, provoziert. Zumal Hochschulen mit ihren oft grosskalibrigen Manifestationen. „Um ein Omelett zu kochen, muss man erst Eier zerschlagen“, sagte Christophe Girot, ETH-Professor für Landschaftsarchitektur und Verfasser des Masterplans für das Hochschulgebiet Zentrum, im Verlauf der Diskussion. Die Binsenwahrheit widerspiegelt die Schwierigkeit, in eine gewachsene Struktur wie die Rämistrasse einzugreifen, um deren Charakter zu profilieren und die Qualität zu steigern, ohne den starken Partikularinteressen zuwiderzulaufen und so das Ganze zu gefährden. Beim Hochschulgebiet Zentrum ist dieser Spagat gelungen (1).

Mit Militärschuhen auf Eiern

Allerdings habe er sich im Dickicht der zahlreichen Ansprüche in den letzten fünf Jahren stets so gefühlt, als laufe er „mit Militärschuhen auf Eiern; ich habe viele Omeletts gemacht“, räumte Christophe Girot ein. Im Lauf der Zeit habe er sich auf „Stadtakupunktur“ verlegt – auf minimale Eingriffe, die dennoch Einschneidendes bewirken. Etwa die Befreiung des Hochschul-Südhangs vom Verkehr, was dessen Verwandlung in eine Flanierzone ermöglicht. Das Resultat kann sich aber sehen lassen: Die Stakeholder (Stadt, Kanton, Hochschulen, weitere Kulturinstitute) konnten sich auf einen Masterplan einigen, der als Koordinationsinstrument für die nächsten 15 bis 25 Jahre für die Fragen Städtebau, Verkehrserschliessung, Nutzung und Flächenmanagement dienen soll.

Auf diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass auch ein von den Ausstellungmachern bewusst gesetzter und von Werner Oechslin zur Diskussion gestellter Titel wie „Die ETH baut Zürich“ Potential aufweist, städtebauliches Porzellan zu beschädigen (2). Kantonsbaumeister Stefan Bitterli jedenfalls fand die Formulierung zu hochtrabend. Er attestierte der ETH aber, einer der wichtigen Faktoren der Stadtentwicklung zu sein. Das Hochschulgebiet Zentrum ist für ihn ein spannender und richtiger Ansatz – jenseits monumentaler Ideen, die sich nur in gewichtigen Einzelbauten äusserten, so Bitterli.

Rück- und Vorschau: Die Die im Rahmen des Jubiläums „150 Jahre ETH Zürich“ veranstaltete Ausstellung "Die ETH baut Zürich" im ETH-Hauptgebäude zeigt anhand von Bildern, Plänen, Modellen und weiteren Zeugnissen die Entstehungsgeschichte der ETH im Kontext der Stadt Zürich. Die Zeitspanne reicht von von Semper bis Science City, gezeigt wird auch der Planungsstand für das zentrale Zürcher Hochschulquartier. gross

Unmöglich, Urbanität herbeizuzaubern

Demgegenüber konnte Franz Eberhard, Direktor des Amts für Städtebau, dem Motto mehr abgewinnen. Wer baut, präge die Stadt automatisch, sagte Eberhard, auch und vor allem die ETH mit ihren grossen Realisationen im Zentrum und am Hönggerberg. Als zu wenig wirksam, weil zu abstrakt, erachtet Eberhard die Art, wie Städtebau heute „verkauft“ werde. Erst wo es um den konkreten Bau, um die einzelne Adresse gehe, beziehe die Bevölkerung Position, und erst da werde es spannend.

In der Tat: Als ETH-Architekturprofessor Hans Kollhoff den Finger kritisch auf die bisherige Planung für Science City legte, lancierte er damit eine angeregte Auseinandersetzung. Das Zauberwort „Urbanität“ werde bei jedem städtebaulichen Projekt als Ziel in die Waagschale geworfen, so Kollhoff. Aber die Resultate in Zürich-Nord und Zürich-West zum Beispiel enttäuschten diese Hoffnung. Stadt, das sei Oerlikon trotz allem planerischen Aufwand für ihn noch nicht, ja „noch nicht einmal eine ertüchtigte Peripherie“, sagte Kollhoff. Aus dieser Kombination von grossflächig parzellierter Bebauung und sozialem Wohnungsbau städtisches Leben „herauszuquetschen“, könne nicht funktionieren.


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Einig im Ziel, Hochschule und Stadtleben zu vernetzen, aber unterschiedlicher Meinung über den Weg dorthin: (o., v.l.) Werner Oechslin (gta, Moderation), Stefan Bitterli (Kanton Zürich), Hans Kollhoff (ETH); (u., v.l.) Kees Christiaanse und Christophe Girot (ETH) sowie Franz Eberhard (Stadt Zürich). gross

Als Gegenbeispiel führte Kollhoff Amsterdam an, wo (im Gegensatz zu Rotterdam) eine Stadterweiterung gelungen sei, und zwar mittels eines ganz einfachen Konzepts. Dieses sah vor, das bestehende kleingestreute Privateigentum als Basis zu nehmen und die Stadt mit wenigen, „harmlosen“ Regeln weiterzubauen. Science City hingegen ist für Kollhoff ein zu gross angelegter und zu ambitionierter Wurf; er bezweifle, dass sich Stadtleben hier im gewünschten Mass entwickeln werde.

Science City: Wohnen erzeugt kritische Masse

„Gott sei Dank bin ich Amsterdamer“, entgegnete Kees Christiaanse, ETH-Professor für Architektur und Städtebau und federführend in der Masterplanung für das ETH-Erweiterungsprojekt am Hönggerberg (3). Er kenne keine Stadt, die so intensiv mit ihren Hochschulen interagiere wie Zürich, schickte er voraus. Die Auslagerung der Hochschule auf die grüne Wiese sei in den sechziger Jahren 'Common Sense' gewesen und heute ein Faktum, mit welchem pragmatisch umzugehen sei. Ein voll funktionales Stadtviertel im herkömmlichen Sinn wolle zwar auch er nicht versprechen, so Christiaanse, aber sehr wohl einen „Cluster“ oder ein „Valley“, das sich ins Stadtgefüge integriere und bestimmte urbane Nutzungen zulasse.

Unter diesen misst Christiaanse dem Wohnen eine entscheidende Rolle bei. Die in mehreren Teilen von Science City anzusiedelnden Wohnzonen erzeugten eine kritische Masse, die weitere Infrastrukturen nach sich ziehe (zu erwähnen ist etwa die mit Nachdruck von ETH-Angehörigen eingebrachte Idee einer Tagesschule (4)). Die von Kollhoff angemahnte Kleinteiligkeit und Verdichtung sei im übrigen eine tragende Säule seiner Planung. So sehe sie dezidiert „private“ Zonen mit Höfen und Atrien vor, die (auch) Intimität erzeugen, daneben halböffentliche und öffentliche Bereiche, und alles bewusst miteinander verknüpft.

Bestimmen zu wollen, was Urbanität sei, wäre ein Fehler, relativierte Amtsdirektor Franz Eberhard die Debatte. Zürich sei wie eine grosse Wohnung mit vielen Zimmern, die Verschiedenes ermögliche. Im Nord- und im Westquartier seien darum je individuelle Lösungen zustande gekommen. Zudem mache jeweils auch der Staat noch seine Ansprüche geltend– etwa mit dem vorgeschriebenen Wohnungsanteil. Um entschieden konzeptuelles Denken komme man dabei nicht herum, sagte Eberhard. Eine Lektion aus beiden Projekten sei etwa, dass der Erdgeschossnutzung mehr Beachtung geschenkt werden müsse.

Erfahrung als Massstab

Hans Kollhoff meinte, genau solche Erfahrungen müssten vermehrt zum Massstab der planerischen Arbeit genommen werden. So sei das kompromisslos Moderne nun einmal nicht überall willkommen. Darum zum Beispiel werde Neues heute zunehmend im Untergrund versteckt. Kollhoff bemängelte, dass man dies generell zuwenig wahrhaben wolle. Franz Eberhard hielt fest, dass man gerade beim Entscheid für Christiaanses Konzept für den Hönggerberg sich dafür entschieden habe, diesen Teil der Stadt organisch weiter zu entwickeln.

Werner Oechslin stellte in seinem Résumé fest, dass sich die erlebte Debatte wie eigentlich immer in der Architektur auf die Spannung zwischen Ordnung und Freiheit reduzieren lasse. Was man überdies leicht aus dem Blick verliere, sei der Zeitfaktor: Bis sich an einem Ort Stadtleben entwickle, dauere es in der Regel Jahrzehnte. Heute bringe man diese Geduld kaum mehr auf. Die Kunst der Architektur bestehe in der Vorausschau und darin, im konkreten Werk Grundsätzliches zu kommunizieren. Womit Oechslin Semper, den Vater der ETH-Architektur, ins Spiel brachte. „Am Ende kommt es darauf an,“ hielt der Architekturhostoriker fest, „dass ich am konkreten Bau beweise, dass hier Stadt entsteht (wie immer diese definiert sein mag, d.V.).“


Fussnoten:
(1) Vgl. dazu den „ETH Life“-Bericht zur Planung im Hochschulgebiet Zentrum (2.7. 2003): www.ethlife.ethz.ch/articles/news/citycampus.html
(2) Mehr Informationen zur Ausstellung finden Sie auf der Website des ETH-Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta): www.gta.arch.ethz.ch/d/ausstellungen/ausstellungen.php?id_veranstaltung=158. Zur Ausstellung ist parallel auch das Buch "Hochschulstadt Zürich. Bauten für die ETH 1855–2005" erschienen. Vgl. den entsprechenden "ETH Life"-Artikel: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/oechslin.html
(3) Vgl. dazu den „ETH Life“-Bericht "Vorschlag Christiaanse als Basis" vom 28.9.2004: www.ethlife.ethz.ch/articles/sctest_KChr.html
(4) Vgl. dazu den „ETH Life“-Bericht "Leben und Arbeit vereinbaren" vom 21.4.2005: www.ethlife.ethz.ch/articles/news/Schoolfor.html



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