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Rubrik: Im Gespräch
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Publiziert: 19.04.2001 06:00

"Kreditvermittlung" aus ETH-Telefonkabine
Vom Hörsaal in den Knast?

Es sieht nach einer Erfolgsstory aus: ein Physikstudent eröffnet mit einem Kollegen in einer öffentlichen Telefonkabine der ETH Hönggerberg ein Büro für Kreditvermittlung. Schon bald läuft das Geschäft so gut, dass sie expandieren und in repräsentative Büroräume an der Uraniastrasse umziehen. Zu Repräsentationszwecken kaufen sie nun grosse Autos und sogar einen Helikopter. Die Erfolgsstory hat nur einen Haken: die Sache ist illegal.

Von Richard Brogle

Es klingelt in einer öffentlichen Telefonkabine an der ETH Hönggerberg. Der Physikstudent nimmt den Hörer ab. Er meldet sich mit "Steinemann", nicht mit seinem wahren Namen. Am anderen Ende ist ein deutscher Interessent für einen Risikokredit. Er reagiert auf das Inserat "CH-Treuhänder bietet Risikokredite gegen gute Verzinsung. Sofortabwicklung! Tel. 0041/13 71 78 99 (Mo.-Fr. 9-17)" in einer süddeutschen Zeitung. Der Physikstudent ist nicht zufällig in der Telefonkabine. Er löst in einer Vorlesungspause seinen Kollegen ab, der als "Harry Egger" den Rest des Tages die Kunden in dem improvisierten Büro betreut.

Angeboten werden Risikokredite, die aber vorgängig durch eine sogenannte "Kreditversicherung" abgesichert werden mussten. Diese Versicherungen sind die eigentliche Einnahmequelle der beiden "Treuhänder". Sie kassieren die Versicherungprämien, während die Kunden vergeblich auf die Auszahlung des Kredites warten. Das Telefon klingelt häufig; viele Kunden sind bereit, den "Vorschuss" in bar nach Zürich zu bringen. Für Vertragsabschluss und Geldübergabe mieten die beiden stundenweise repräsentative Bürolokalitäten an der Züricher Bahnhofstrasse unter dem Namen "Egger Treuhand". Als die Kunden dann den Kredit einfordern, werden sie immer vertröstet.

Umzug an Nobeladresse

Das Geschäft läuft gut. Bald wird das Büro in der Telefonkabine zu eng. Zumal sich nun auch noch ein weiterer "Treuhänder" dem Duo anschliesst. Sie beschliessen eine Expansion. Unter Federführung von "Egger". mieten die drei ein festes Büro an der repräsentativen Uraniastrasse im Zentrum von Zürich. Der ETH-Physikstudent richtet das Büro mit schönen Bildern ein. Auch das goldene Türschild darf nicht fehlen: "Moser Treuhand" prangt an der Eingangstür. Wie beim Telefonkabinenbüro schalten sie Inserate in deutschen Zeitungen, mit dem Versprechen, "Kredite für alle Zwecke" beschaffen zu können. Alles weitere ähnelt dem Vorgehen der "Egger Treuhand", nur auf höherem Niveau. Von den Vorauszahlungen werden teure Autos, ein Lastwagen, eine Weltreise und schliesslich ein privater Helikopter in den USA gekauft. Geplant war zudem der Kauf einer eigenen Insel. Dazu kam es aber nicht mehr, denn schliesslich meldet sich auch die Justiz bei den "Treuhändern".

Erfolgsstory endet im Zürcher Bezirksgericht

Gestern mussten sich die drei "Treuhänder" vor Gericht verantworten. Genau verfolgt von einigen angereisten Opfern. Mit grimmigen Blicken und manchmal leisen Flüchen verfolgen sie und ein Privatdetektiv die Gerichtsverhandlung. Der Privatdetektiv vertritt nach eigenen Angaben sechs Opfer. Er schätzt den entstandenen Schaden nicht wie in der Anklageschrift angegeben auf rund 2.5 Mio Franken, sondern auf über 280 Mio DM. Viele Geschädigte hätten sich nicht gemeldet, da sie Schwarzgeld in die Schweiz gebracht und nun Angst vor einer Strafverfolgung in Deutschland hätten.


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BGZ
Endstation für die Finanzgeschäfte des ehemaligen ETH-Physikstudenten: das Bezirksgericht Zürich gross

Die "Treuhänder" hören sich die Beschuldigungen im Gerichtssaal ohne grosse Regungen an. In den Einvernahmen waren sie anscheinend gesprächiger. Der damalige ETH-Physikstudent gab beispielsweise zu Protokoll, dass in dieser Welt ja sowieso jeder jeden betrüge und dass es sich bei dem Geld ohnehin nur um Schwarzgeld gehandelt habe. Allerdings widerrief er diese Aussage später wieder. Der Richter wertet die Aussage des ehemaligen Physikstudenten als Ausdruck für die besondere Geringschätzung der Opfer.

Die Verteidiger ihrerseits bestreiten, dass es sich bei dem Vorgehen um Betrug handle. Insbesondere habe die Arglist gefehlt. Die Unterlagen seien beispielsweise so plump hergestellt worden, dass dies den Opfern hätte auffallen müssen. Beispielsweise sei statt Virgin Islands "Wirgin Islands" geschrieben worden.

Opfer: alles verloren

Eine Dame erzählt in der Pause, dass sie ein Altenheim mit 20 Angestellten geführt habe und wegen der drei Treuhänder alles verloren habe. "Mit dem Kredit wollte ich das Altenheim ausbauen." Nach der Kreditzusage sei sie Verpflichtungen eingegangen, die sie ohne das Geld aus dem Kredit nicht habe erfüllen können. "Das hat mich finanziell ruiniert." Lange habe sie von der Fürsorge leben müssen. Sie verwahre sich gegen die Unterstellung, sie hätte Schwarzgeld eingesetzt.

Die Anträge der Bezirksanwaltschaft lauten auf viereinhalb Jahre Zuchthaus für "Egger", zweieinhalb Jahre Zuchthaus für den ehemaligen Physikstudenten und acht Monate Gefängnis für den Dritten im Bund.

Die öffentliche Urteilsverkündung findet heute Donnerstag um 14 Uhr im Bezirksgericht Zürich, Saal 34 statt. ETH Life wird darüber in einer News berichten.

Neue Strafuntersuchung läuft

Der Angeschuldigte mit dem selbstgewählten Pseudonym "Egger" ist nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft schon wieder aktiv. Und offenbar auf einem Gebiet, in dem er sich auskennt: Kreditvermittlung. So überrascht es kaum, dass bereits wieder eine Strafuntersuchung läuft. Diesmal hat er den Geschädigten sogar schriftlich mitgeteilt, dass, sollten sie von ihren Anschuldigungen nicht Abstand nehmen, er über die Botschaft bei den deutschen Steuerbehörden wegen Schwarzgeldes vorstellig werden könnte. Ein allfälliges neues Gerichtsverfahren wird also zu prüfen haben, ob er sich nun auch der Nötigung schuldig gemacht hat. Fortsetzung folgt.


Literaturhinweise:
Die Urteile: 18 Monate bedingt



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