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Publiziert: 12.02.2003 06:00

Nützlich bis zur Selbstaufgabe

Von Mathias Egloff

Sie wissen es längst: Der Nobelpreis ging im letzten Jahr wieder nicht an mich. Die mit dem Wurm haben ihn gekriegt, und das in der Sparte Medizin. Der winzige Fadenwurm Caenorhabditis elegans dient den Forschern als Modellorganismus, an dem sich der programmierte Zelltod studieren lässt. Dabei dachte ich immer, dass es die Bekämpfung von Würmern und Viren ist, die Medizin und Informatik verbindet, aber doch nicht der programmierte Zelltod! Dieser, glaubte ich, gilt doch nur für Notebooks und ihre Komponenten.

Dabei habe ich sogar selber schon über den programmierten Zelltod gearbeitet, in der Hirnforschung allerdings. Man stelle sich das vor: Im Laufe der Hirnreifung findet ein Massenselbstmord statt, der Seinesgleichen sucht. In der Netzhaut zum Beispiel müssen die Sinneszellen sinnvoll mit dem Rest des Hirns verknüpft werden, sonst würde man bei Rotlicht vielleicht das Telefon läuten hören. Oft ist es nun so, dass diejenigen Zellen, die mit Nervenbahnen versorgt werden sollen, chemische Stoffe aussenden, die Nervenverknüpfungen „anlocken". In diesem Prozess geht einiges schief. Die Natur wendet nun einen unglaublichen Trick an: diejenigen Nerven, die keine sinnvolle Verknüpfung zuwege gebracht haben, bringen sich selber um. So überlebt nur Sinnvolles.


Zur Person
Der 40-jährige Winterthurer Mathias Egloff hat an der Uni Zürich Zoologie studiert. Seine Welt waren jahrelang die Fische, genauer: der Barsch oder Egli. In seiner Dissertation ging es um das Überleben der Eglilarven und die Rolle, die der erste Vorgang der Schwimmblasenfüllung darin spielt. Sein Engagement für Umwelt- und Konsumfragen führte Mathias Egloff zum WWF: dort erstellte er den Schweizer Teil des "Water and Wetland Index", eine von Managementmethoden abgeleitete europaweite Erhebung über den Zustand von Gewässern und Feuchtgebieten. Weiter engagierte Egloff sich bei der Gründung der Labels "Marine Stewardship Council" und "fair-fish". Sein heutiges Wirkungsfeld sind die Systemdienste der ETH, wo er auf die Betreuung von Mac-Usern spezialisiert ist - und nicht weniger Herzblut investiert.



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Mathias Egloff gross

In der Theorie darüber, wie das vonstatten geht, war von sogenannten „Suicide Bags" die Rede. Ich stellte mir darunter immer Selbstmord-Handtäschchen vor mit einer zellulären Neun-Millimeter-Beretta darin. Wahrscheinlich muss man sich das ganze aber eher als Zeitbombe vorstellen, die diesen Zellen sozusagen in die Wiege gelegt wird und die nur durch Eintreffen der richtigen chemischen Substanz „entschärft" werden kann.

Es ist schon merkwürdig: Fast alles, was die Biologie an Erkenntnissen hervorgebracht hat, wurde für Gesellschaftsmodelle und ideologische Verirrungen missbraucht. Man denke an die Eugenik, die Rassenlehre, den Sozialdarwinismus, die Raelianer und die ganze Palette von naturalistischen Fehlschlüssen. Aber ausgerechnet der programmierte Zelltod wurde noch nicht dafür entdeckt. Dabei wäre darin doch das totalitäre System schlechthin angelegt: Wer die Nützlichkeitskriterien der Gesellschaft nicht erfüllt, bringt sich selber um. Wie beim programmierten Zelltod wüchse auf diese Weise die „Leistung pro akkreditiertes Individuum mit einer erwarteten positiven Netto-Bringbilanz ", also die „Nettonutzbevölkerung" markant an. Der eigentliche Kniff in so einem grauenvollen System läge darin, dass kein offenkundiger Zwang und keine rohe Gewalt mehr angewendet werden müsste.

In unserer Gesellschaft, die derart auf Beherrschung aus ist und den Tod als letzten subversiven Affront vollkommen verdrängt, müssten solche Vorstellung doch längst vorgebracht worden sein. Ich kann mir das als Horrorfilm gut vorstellen. Aber tiefer möchte ich in diese Vorstellung nicht eintauchen, nicht einmal für den Nobelpreis in Ökonomie, den ich mir mit dieser Kolumne bestimmt schon verdient habe.




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