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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 17.10.2001 06:00

Artefakte und Begriffe IV: Körper

Von David Gugerli

Das ganze ist ein Riesentheater. Ort der Handlung: Ein neuer Marktplatz zwischen Krankenhaus, Labor, Gerichtssaal und Patentamt. Die Akteure: Ärzte, Anwälte, Patienten, Molekularbiologen, Verstorbene und Leichen, Börsenmakler, Laboratorien, Forschungsprogramme, Organe, Körpersäfte und Gewebeproben. Zeit der Handlung: Akute Gegenwart und eben hereingebrochene Zukunft. Der Vorhang geht auf und wir befinden uns mitten im Getümmel des wohl dynamischsten Basars der Welt. Im Hintergrund erkennbar stehen die wackeligen Stände der New Economy. Ein grosses Feilschen ist im Gang - Gestritten wird um nichts weniger als um den Wert unseres Körpers. Angebot und Nachfrage spielen auch auf den Märkten für menschliches Gewebe im Zeitalter seiner biotechnischen Reproduzierbarkeit. Im Moment befinden sich die Rohstoffpreise im permanenten Tief, die Halbfertigprodukte zeigen hohe Volatilität, und die einschlägigen Konsumgüter der Luxuskategorie sind kaum zu bezahlen.

Wir stecken mitten in einer aufregenden neuen Runde der Ökonomisierung des menschlichen Körpers. Eizellen und Sperma, Haar, Blut, Speichel, Nabelschnur, Plazenta und Vorhaut - you name it, we've got it - sind in den letzten Jahren zu den crops einer neuen Bewirtschaftung des menschlichen Körpers gemacht worden. Menschliche Organe und Gewebe verwandelten sich unversehens in besonders heisse Handelsgüter der neuen biotechnologischen Wirtschaftsordnung. Und dies im grossen Stil. Allein in den USA sollen sich die Jahresumsätze dieses Marktes auf stolze 17 Mrd. Dollar belaufen. Den Grau- und Schwarzmarkt rechnen wir aus naheliegenden Gründen nicht mit ein.

Da soll es auch schon vorgekommen sein, dass einige properties unserer Körpersubstanzen patentierbar wurden, ohne dass wir unsern Anteil an den entsprechenden property rights erhalten hätten.


Zur Person

Das Label des "Paradiesvogels" trägt er mit Stolz: David Gugerli wurde kürzlich zum ordentlichen Professor für Technikgeschichte an der ETH ernannt - eine Premiere für die Schweiz. Er studierte Allgemeine Geschichte, Literaturgeschichte und Literaturkritik an der Universität Zürich. Nach seiner Promotion 1987 forschte und lehrte er an verschiedenen Universitäten in Europa und Amerika, unter anderem an der Stanford University. 1995 habilitierte sich David Gugerli an der Universität Zürich. Arbeiten zur Geschichte der Visualisierung im wissenschaftlichen Kontext, zum Verhältnis von Kartographie und Nationenbildung im 19. Jahrhundert, zum Diskurs über die Elektrifzierung der Schweiz oder über den Wandel in der Schweizer Kommunikationstechnologie seit 1960 stecken sein breites Forschungsinteresse ab.




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prof david gugerli
David Gugerli, ETH-Professor für Technikgeschichte.

Bei Gelegenheit schreiben Richter dann eloquent über den Wert des menschlichen Körpers, einiges auch über seine Integrität und die Differenz zu dem, was man mitunter Menschsein nennen möchte; sie kommentieren das Verhältnis zwischen chirurgischem Abfall und biotechnologischen Produkten, lassen sich über Informationspflicht und Redlichkeit der Forschung aus, und denken gar über das Selbstbestimmungsrecht des Individuums nach.

Doch eigentlich begleiten sie damit lediglich - in virtuosen juristischen Koloraturen - eine grundlegende Veränderung von Eigentumsrechten an unseren Körpern. Dass es sich um ein ethisches Problem handle, welches sie dabei behandeln, wage ich zu bezweifeln. Vielmehr haben wir es mit einem wirtschaftlichen Phänomen zu tun. Und da hilft die Moral und die Ethik in der Regel herzlich wenig.

Natürlich könnte man von einem biotechnologischen Raubrittertum sprechen, es auch anprangern und die Verwandlung des Körpers in eine zunehmend ausgebeutete Erbgut- und Gewebemine beklagen. Man könnte auch den zuständigen Behörden vorwerfen, den staatlichen Schutz des Individuums auf ein absolutes regulatorisches Tief absinken zu lassen. Aber über Klagen hinaus käme man dabei nicht - eben weil die Problemlage eine ökonomische ist.

Es empfiehlt sich deshalb, sich daran zu erinnern, dass der menschliche Körper schon oft und in unterschiedlichen historischen Kontexten eine Ökonomisierung gefunden hat - denken wir nur an die vielfältigen Zurüstungen, Konditionierungen, Technisierungen und Enteignungen im Industrialisierungsprozess des vorletzten Jahrhunderts. Oder denken wir an seine arbeitsphysiologischen und arbeitspsychologischen Optimierungen im Zeitalter der Dienstleistungsgesellschaften.

Auch da ist die Körperökonomie verändert oder gar auf neue Grundlagen gestellt worden. Der Unterschied bestand nur darin, dass es mitunter recht gut gelungen ist, den Einstandspreis der Rohstoffe "Arbeitskraft" und "Humankapital" auf ein adäquates Niveau zu bringen. Es scheint, dass es auch heute wieder manches zu verhandeln gibt, wenn es um die Festlegung des Preises für menschliches Gewebe geht.




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