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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 23.01.2002 06:00

Wieviel Politik braucht die Wissenschaft?

Von Helga Nowotny

Vor wenigen Wochen wandte sich der Schweizerische Wissenschaftsrat in einem "Manifest für den Denkplatz Schweiz” mit dem Appell an die eidgenössischen und kantonalen Gesetzgeber, die Budgets für Bildung und Forschung zu erhöhen. Die Ausgaben sollten, so die Forderung, ab 2004 jährlich um 10% erhöht werden, von heute 3 Milliarden auf 4,5 Milliarden. Ansonsten drohe dem Forschungsplatz Schweiz das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit.

Unbestritten ist, dass Forschung Geld braucht und Geld für die Forschung eine der wichtigsten Investitionen für die wirtschaftliche und kulturelle Zukunft eines Landes darstellt. Doch welche Strategien sind am besten geeignet, diese Botschaft an die Öffentlichkeit und an die richtigen Adressaten in der Politik zu bringen? Was immer die Gründe für den Wissenschaftsrat gewesen sein mögen, mit einer für hiesige Verhältnisse ungewohnten Deutlichkeit seine Ansprüche publik zu machen - das Vorgehen hat seine Vorbilder.

In den USA, so schildert der ehemalige Science-Journalist und ausgezeichnete Kenner der Washingtoner Szene, Daniel S. Greenberg, in seinem Buch Science , Money, and Politics, ist der Ruf nach immer mehr finanziellen Mitteln für die Forschung seit Jahren auf der öffentlichen Tagesordnung - und zwar unabhängig davon, dass die Zuwachsraten der Finanzierung für die Grundlagenforschung durch die Regierung kontinuierlich steigen.

Greenberg kritisiert das Wissenschafts-Establishment der USA für sein mittlerweile zu effektives Lobbying. Er wirft den hervorragend organisierten offiziellen Vertretern der amerikanischen Wissenschaft vor, nur noch eine ununterbrochene Steigerung der öffentlichen Ausgaben zu fordern.


Zur Person

"Tolle Arbeitsbedingungen und eine internationale Atmosphäre, die in Europa ihresgleichen sucht", umschreibt Helga Nowotny die Trümpfe der ETH. Seit 1995 ist sie, die in Wien Jura und an der Columbia University Soziologie studierte und später an der Wiener Uni das Institut für Wissenschaftstheorie leitete, Professorin für Wissenschaftsforschung und -philosophie an der ETH. Und seit 1998 führt sie als Nachfolgerin von Adolf Muschg das Collegium Helveticum in der Sternwarte, den schweizweit einmaligen Think Tank, der die Forschung sich selbst zum Thema werden lässt. "Die Forschung muss raus aus den Labors, wenn sie sich von der Gesellschaft nicht entfremden will", lautet eine ihrer Kardinalbotschaften. Ihre Mitbegründung der Stiftung "Science et Cité" ist sichtbares Zeichen dafür. Eine weitere ihrer Botschaften: "Wissenschaft muss sich politisch einmischen". Auch dafür liefert Helga Nowotny gleich selbst das Beispiel: Im September 2001 wurde sie in den Rat der Weisen des EU-Forschungskommissars Philippe Busquin berufen.




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helga nowotny
Helga Nowotny, Professorin für Wissenschaftsforschung an der ETH und Leiterin des Collegium Helveticum. gross

Jede drohende Kürzung werde von ihnen sogleich entweder als Ignoranz von Seiten der Politik oder als Feindseligkeit seitens der Öffentlichkeit hingestellt. Selbst aber blicke das Wissenschafts-Establishment arrogant auf die "classe politique” herab und vermeide es, sich im klassichen Sinn politisch zu betätigen.

Der Insider Greenberg erblickt darin ein alarmierendes Zeichen für den Verlust des Realitätssinns seitens der Wissenschaft über das Funktionieren demokratischer Spielregeln. Er wirft den Vertretern der Wissenschaft vor, den legitimen Anspruch der Öffentlichkeit auf eine Offenlegung der wissenschaftlichen Tätigkeit zu missachten. Mehr noch: die Wissenschaft habe ihr eigenes Ethos verraten und sehe Wachstum als Selbstzweck an.

Die Situation in der Schweiz lässt sich nicht mit jener in den USA vergleichen. Dennoch stellt sich auch hierzulande die Frage: wieviel Politik braucht die Wissenschaft - und wieviel tut ihr gut? In welcher Form soll auch sie, ja muss sie Lobbying betreiben, um sicherzustellen, dass die benötigten intellektuellen und finanziellen Ressourcen auch in Zukunft vorhanden sein werden? Und mit welchen Argumenten kann sie die Politik, mit welchen die Öffentlichkeit überzeugen?

Im Jahr 1957 schrieb Robert K.Merton, mein späterer Lehrer an der Columbia University: "There is a tendency for scientists to assume that the social effects of science must be beneficial in the long run. This article of faith performs the function of providing a rationale for scientific research, but it is manifestly not a statement of fact. It involves the confusion of truth and social utility which is characteristically found in the non-logical penumbra of science”.

Es ist an der Zeit, aus diesem Schatten heraus zu treten und aufzuzeigen, dass soziale Nützlichkeit und Wahrheitsfindung kein Widerspruch, aber auch nicht immer gleich zu setzen sind und dass jede der beiden einen legitimen Platz in der Gesellschaft hat.




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