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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 06.02.2002 06:00

Segen oder Fluch

Hier sitze ich und versuche nicht ganz (un)freiwillig, meine erste Kolumne ins Keyboard zu tippen. Wer ist wohl mehr zu bedauern: der Kolumnist oder der Leser? Nun Sie kennen die Flut von unnötigem Lesestoff, der einem so arrogant vor die Nase gesetzt wird und kostbare Zeit wegstiehlt - Arbeitszeit oder Freizeit, egal, es ist unser wertvollstes Gut. Vielleicht hätte ich auf Internet-Journalismus ganz verzichten sollen, doch dann hätte ich eine Gelegenheit verpasst, Sie vom Kolumnen-Lesen abzuschrecken.

Ja, braucht es wirklich eine Kolumne - oder braucht es ETH Life? Wenn ETH Life das Erste ist, was wir bei Arbeitsbeginn um 0700 über uns ergehen lassen und wir die eigentlichen Tagesziele vergessen, die wir uns auf dem Gang zur ETH bereit-gelegt haben, dann ist dieses Medium eher schädlich. Doch wenn es verhindert, unsere "Arbeit" mit einem Klick auf die Blick-Erotik Homepage zu beginnen, hat es schon einen positiven Effekt erzielt. Aber noch besser wäre es, unseren Arbeitstag direkt mit kreativer Arbeit zu starten. Also je weniger Kolumnen Sie lesen, umso besser für Sie und Ihren Arbeitsgeber - ausser dieser einen natürlich!

Es ist schon viel geschrieben worden über die negativen Aspekte der Flut des Geschriebenen, nur um sie noch zu mehren. Im Einzelnen finden sich zwar immer wieder positive Argumente. So sehe ich ETH Life vor allem als Aushängeschild, um unserer Bevölkerung die von Kreativität sprühende ETH in Erinnerung zu rufen. Wahrscheinlich ist diese Funktion wichtiger als das Vermitteln von recht zufälliger Information. Über die Bedeutung unserer Interaktion mit der Öffentlichkeit werde ich in einer späteren Kolumne noch sprechen.


Zur Person

Den Nobelpreis, den Richard Ernst 1991 für seine bahnbrechende Forschung im Bereich NMR-Spektroskopie bekam, nutzt er, um sich regelmässig als einer der profiliertesten Kommentatoren der Schweizer Bildungspolitik zu Wort zu melden. "Ich habe mich immer als Werkzeugmacher verstanden," bekennt der emeritierte ETH-Chemieprofessor, der lange in den USA in der Industrie tätig war. Seine Forschung sollte stets in eine sinnvolle Anwendung münden. Die Revolutionen in den exakten Wissenschaften gründeten, so Ernst, vor allem auf der Intuition und Kreativität der Forscher. Kein Wunder, hielten sich bei ihm die Begeisterung für die Chemie und jene für die Kunst seit seiner Jugend die Waage. Eines seiner Erfolgsrezepte: "Wenn ich etwas mache, dann nicht mit halbem Engagement, sondern richtig – alles andere ist Zeitverschwendung."




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prof richard ernst
Richard Ernst, ETH-Professor für Physikalische Chemie und Nobelpreisträger 1991. gross

In diesem Zusammenhang stellt sich allgemein die Frage nach dem sinnvollen Umgang mit Computermedien. Sollen wir wirklich an der Spitze jeder Mode mitwursteln? Technologischer Fortschritt bedeutet ja nicht immer Gewinn; er kann auch in einen Abgrund führen. Viel unserer persönlichen Freiheit haben wir geopfert, um stets auf dem Laufenden zu sein. Früher hatten wir wenigstens Ruhe von Posteingang zu Posteingang. Heute erwarten E-Mail-Sender eine Antwort in Minuten. Früher haben wir uns höchstens einmal pro Tag über die fallenden Börsenkurse geärgert, heute verfolgen wir sie stündlich.

Es ist offensichtlich: heute haben wir Verzicht zu lernen in der Benutzung des überbordenden, seichten Angebotes von Internet, Boulevardpresse und TV. Nur Wenige werden dazu fähig sein - ich selbst leider nicht, wenigstens nicht beim Internet. Im Alter kann man sich vielleicht Ablenkung leisten, in der Jugend hingegen führt sie oft zu einer vorzeitigen Bruchlandung ähnlich wie eine Drogenabhängigkeit. Verzichten ist das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Nur so hat man freie Wahl und kann kreativ gestalten.

Anderseits wäre meine eigene Karriere ohne Computer undenkbar gewesen. 1965 hatte ich in einer kalifonischen Firma mit mehreren Tausend Angestellten als erster einen Computer auf meinem Arbeitsplatz: einen Lochstreifen fressenden PDP8 mit einem Speicher von 4096 12Bit Wörtern und einer Betriebsfrequenz von 1 MHz. Er konnte nur addieren, alle anderen Operationen, wie Multiplizieren und Dividieren, musste der Benutzer ihm in Assemblersprache beibringen. Und doch konnten damit schon (fast) alle Tricks der Fouriertransformations-Spektroskopie implementiert werden. - Wie weit haben wir es doch heute gebracht: bis 100’000mal mehr Speicher und 1000mal höhere Geschwindigkeit, viel Komfort und Schnick-Schnack - und viel Hilflosigkeit, wenn einmal etwas nicht funktioniert. Heute morgen um 10 Uhr habe ich meinen PC schon dreimal neu gebootet!




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