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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 26.09.2001 06:00

Instant World

Von Dieter Imboden

Als ich vor dreissig Jahren in den USA eine Postdoc-Stelle an einem ozeanografischen Institut suchte, schrieb ich einen Brief an einen Professor in San Diego und erläuterte ihm meine Pläne. Einige Wochen später erhielt ich per Post eine positive Antwort. Dann folgten ein, zwei administrative Schreiben für das Visum. Das war schon alles. Kein einziges Telefongespräch, keine E-Mail, nicht einmal ein Fax, nur ein paar gut geplante Briefe per Luftpost.

Ganz anders ging es vor vier Jahren im Vorfeld meines Aufenthaltes als Gastprofessor am California Institut of Technology in Pasadena zu. Der vorbereitende Informationsaustausch war intensiv und nutzte alle modernen Mittel. Manchmal folgten sich die Mails innert weniger Tage: Einmal ging es um ein noch auszufüllendes Formular, dann um eine Zusammenfassung meiner geplanten Vorlesung, etwas später um die technischen Hilfsmittel dazu und um vieles mehr. Jede Reaktion darauf war (dank der Technik) einfach und rasch – instant sozusagen - aber der totale Zeitaufwand war trotzdem weit grösser als 25 Jahre zuvor.

Instant World macht’s einfach und schnell. Wir würden heute ganze Heerscharen von Leuten beschäftigen, wenn jedes Mail noch per Schreibmaschine getippt und im Couvert verschickt werden müsste. Das gleiche gilt für die wissenschaftliche Information. Vorbei ist die mühsame Suche nach einer Zeitschrift, das Warten vor dem Schalter und dem Fotokopierer. Instant Library - Artikel in Hülle und Fülle. - Gelobt seien Fortschritt und Effizienzsteigerung. - Von meinen Kollegen höre ich allerdings immer öfters Klagen über den Anstieg des unproduktiven Leerlaufes. Sie würden jeden Tag zwei oder mehr Stunden vor dem Bildschirm sitzen und Mails erledigen. Wo ist das Problem?

Das Problem sind wir. Wir haben es mit konstanter Regelmässigkeit fertig gebracht, Erfindungen zur Vereinfachung unseres Lebens durch entsprechende höhere Ansprüche mehr als zu kompensieren. Statt zu denken, hacken wir eine E-Mail in den Computer, und dann noch eine und noch eine, bis wir all das zusammen haben, das früher in einen einzigen Brief gehörte. Am Schluss bleibt uns nicht mehr Zeit , weder zum Denken, noch zum Träumen.

Die totale Vernetzung hält uns im Trab - das ist die eine, harmlosere Seite von instant world. Die andere ist komplexer. Die Systemanalyse lehrt, dass eine Rückkopplung ohne Verzögerung oder Dämpfung ein System sprengen kann. Daher sind die Kernphysiker dankbar über die verzögerten Neutronen der Kernspaltung, ohne die sich ein Atomreaktor kaum steuern liesse. Die Börse musste zur Verhinderung eines elektronisch induzierten Kollapses neue Regeln einführen (den kontrollierten Unterbruch der Geschäfte beispielsweise, wenn die Kursveränderungen einen kritischen Wert überschreiten).


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prof dieter imboden
ETH-Umweltphysiker Dieter Imboden.

Die tragischen Ereignisse in den USA haben uns schliesslich eine neue Dimension von instant world vor Augen geführt. Die Attentäter konnten auf die Effizienz der Medien zählen und davon ausgehen, dass das zweite Flugzeug vor laufenden Kameras in das World Trade Center prallen würde. Instant World ist ein Teil jener ungeheuren Wirkung, welche der 11. September 2001 auf die Amerikaner und die ganze Welt gehabt hat.

Instant World existiert. Nur eine Katastrophe weit grösserer Art könnte diese Realität zerstören, und kein vernünftiger Mensch kann dies wünschen. Also müssen wir lernen, mit instant world sinnvoll umzugehen, im privaten und im öffentlichen Bereich. "Entschleunigung" heisst ein neues Schlagwort, aber vielleicht sollte man eher von Dämpfung und Verzögerung sprechen. Im Privaten sind die Rezepte einfacher und individuell. Für den öffentlichen Bereich wird es sehr schwierig. Den Börsenhandel können wir zur Not noch unterbrechen, aber die Nachrichtennetzte auszuschalten ist ein Ding der Unmöglichkeit, abgesehen davon, dass dies vielleicht die Rückkopplung noch verstärken würde. Strategen sind gefragt. Wie nutzen wir die vielen Vorteile von instant world, ohne dabei die Stabilität von Politik und Wirtschaft aufs Spiel zu setzen oder die Musse und Fähigkeit zum Nachdenken zu verlieren?


Zur Person

In die Rolle des Pioniers zu schlüpfen, ist Dieter Imboden, Professor für Umweltphysik an der ETH, gewohnt. Das war schon Anfang der siebziger Jahre so, als er als erster Physiker an die EAWAG (Eidg. Anstalt für Wasserversorung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) berufen wurde. 1987 dann war er massgeblich an der Gründung des ETH-Studiengangs Umweltnaturwissenschaften beteiligt.

Bis vor zwei Jahren leitete der 57-jährige Wissenschaftler das Projekt 'novatlantis', Nachhaltigkeit im ETH-Bereich, und auch das Pilotprojekt ‘Die 2000 Watt-Gesellschaft’ geht auf seine Initiative zurück. Im vergangenen Semester war Dieter Imboden Gast am Collegium Helveticum. Dort machte er sich Gedanken über die heutige Rolle der Wissenschaftler. Sein Fazit: Will die Forschung im gesellschaftlichen Kontext Sinn machen, müsse neben ihr Wissenwollen ganz entschieden ihre Verantwortung treten.






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