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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Die "anderen" Wissenschaften an der ETH Von den Bakterien lernen |
Von Dieter Imboden Das nahende Jahresende macht sich nicht nur durch Schnee und Kälte bemerkbar, sondern auch durch eine Häufung gesellschaftlicher Anlässe, wovon viele an einladend gedeckten Tischen stattfinden. Da kann es durchaus im Interesse des persönlichen Energiehaushaltes liegen, wenn ein spannendes Gespräch von den kulinarischen Versuchungen ablenkt. So meine Erfahrung anlässlich eines kürzlichen Nachtessens beim Nationalfonds: Mein Kollege von der Medizin erzählte vom Schwerpunktprogramm über die Medikamenten-Resistenz. Ich wunderte mich über die Geschwindigkeit, mit der sich die Resistenz gegen ein bestimmtes Antibiotikum in der Welt der Bakterien verbreiten kann und erkundigte mich nach dem Mechanismus. Mein Tischnachbar lachte: "Wo Bakterien eng zusammen leben, tauschen sie ihre Erfahrungen aus und lernen voneinander." Im Zug auf der Rückfahrt nach Zürich kam mir der Vortrag in den Sinn, den Lynn Margulis im Sommer anlässlich eines Symposiums über Evolution und Symbiogenese am Collegium Helveticum gehalten hatte. Plötzlich verwandelte sich vor meinen schläfrigen Augen der vertraute SBB-Wagen in eine brodelnde Suppe, in denen rastlose Wesen herumschwammen. Manchmal hielten einige für kurze Zeit still, steckten ihre Köpfe zusammen und tauschten grün leuchtende Blitze aus, dann wieder verstreute sich die Gruppe in alle Richtungen auf der Suche nach neuen Partnern. Während ich diesem Treiben fasziniert zuschaute, lernte ich unter diesen emsigen Wesen verschiedene Arten zu unterscheiden. Da gab es schwarze, auf deren Bauch das Wort MATHEMATIKER prangte, andere waren rosa und nannten sich CHEMIKER. Ich sah die blauen PHYSIKER, die grünen BIOLOGEN, die roten ARCHITEKTEN und die gelben INGENIEURE. Es fiel mir auf, dass die Blitze besonders häufig zwischen Brüdern und Schwestern der gleichen Farbe zündeten, aber bunte Gruppen waren keinesfalls selten. Eine Ecke des Suppentopfes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Wasser waren dort stiller; von einer geheimnisvollen Kraft gelenkt schienen die Turbulenzen an einer unsichtbaren Barriere abzuprallen. Die Farbenpracht der sich dort tummelnden Wesen war nicht weniger vielfältig als im brodelnden Teil des Topfes; gemeinsam war ihnen nur die Aufschrift: ANDERE.
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Manchmal näherte sich ein ANDERES der unsichtbaren Grenze, doch dann machte es, als hätte es einen geheimen Befehl erhalten, abrupt Halt und kehrte in die ruhige Zone zurück. Dennoch, so schien es mir, mussten es einigen gelungen sein, die unbekannte Hürde zu überqueren, denn im restlichen Teil des Topfes entdeckte ich einige dieser ANDEREN, die eifrig umherschwammen und ihre Blitze verteilten. "Schade um all die verpassten Blitze", dachte ich, "wissen die denn nicht, dass es beim Erfahrungsaustausch auf den möglichst engen Kontakt ankommt. Von den Bakterien lernen...." Der Zug rumpelte über die Weichen im Vorbahnhof von Zürich und weckte mich aus meinen Träumereien. "Ein Kopfbahnhof", dachte ich, "sozusagen eine Eisenbahn-technische Sackgasse." - Sackgassen haben auch Vorteile, denn wenn man schon nicht weiter kommt, kann man sich wenigstens für eine neue Richtung entscheiden. Wer je ein ANDERER gewesen oder bei den ANDERN gearbeitet hat, weiss aus eigener Erfahrung, dass - nicht nur bei den Bakterien - Neues vor allem im engen Kontakt mit den ANDERN entsteht, seien diese ‚nur’ von einer andern naturwissenschaftlichen Disziplin oder gar von den Sozial- oder Geisteswissenschaften. Überdies: Wenn man schon beim Sortieren ist, dann hat es mich immer gewundert, mit welcher Selbstverständlichkeit wir, die Naturwissenschaftler und Ingenieure, die ANDERN in den SELBEN Topf werfen, als ob die Welten von Sprachwissenschaften und Ökonomie sich von vorneherein viel näher wären als diejenigen zwischen Architektur und theoretischer Physik. Daher mein dringender Wunsch und zugleich mein Abschied von dieser Kolumne: Wir haben sie dringendst nötig, diese ANDERN, ganz nah bei uns und im engen Kontakt für die Lehre, die Forschung und auch für die akademische Selbstverwaltung (für diese besonders, denn sie lehrt uns oft mehr als jede Theorie). Das D-GESS mag durchaus seine Funktion haben, aber ein Dogma, wonach alle ANDERN unter seine Fittiche gehören, nimmt unserer ETH wertvolle Chancen. Nicht zufällig haben vor einem Jahr die Beteiligten des Projektes ‚Umweltsysteme’ mit überwältigender Mehrheit die Ansiedlung von Professuren der Sozial- und Geisteswissenschaften IN IHREM EIGENEN BEREICH als eines der wichtigsten Anliegen formuliert. Das bringt mich zurück zu den Bakterien: Ich hoffe, die Verantwortlichen unserer ETH seien gegen diese Botschaft noch nicht resistent! |
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