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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 27.03.2002 06:00

Vom Wesen der dekorativen Mathematik

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Von Nicky Kern

Neulich bat ein Professor einen Studenten, etwas "sketchy zu erklären, damit auch der non-expert eine flavour von der area bekommt". Alles klar? Oder etwa nicht? Die interessante Frage ist dabei nicht, was er meinte, sondern wie weit die Äusserung typisch für Akademiker ist.

Werfen wir einen Blick in unsere Klischee-Sammlung: Ingenieure sind meist ziemlich abgehoben und prinzipiell unverständlich. Sie litten schon in der Schule am Deutschunterricht, und sind glücklich, sich an der ETH mit Inhalten statt mit Formen beschäftigen zu dürfen. Betrachtet man die konstanten Beschwerden der Industrie, dass ETH Abgänger nicht in der Lage sind, eine kurze Präsentation zusammenzustellen, ist das Klischee vielleicht nicht ganz unzutreffend...

Warum also scheinen wir nicht in der Lage zu sein, uns auszudrücken? Wir lernen doch schliesslich alle Deutsch in der Schule. Oder lernen wir falsch? Oder gar nicht genug? Verwenden wir unsere Sprache schlichtweg falsch?

Machen wir einen kurzen Vergleichstest: deutsche und amerikanische Lehrbücher. Während meiner ganzen Studienzeit galten amerikanische als besser verständlich und viel anschaulicher. Deutsche hingegen waren als überkorrekt und formellastig verschrien. Unter Experten war diese Art zu schreiben als dekorative Mathematik bekannt. Das muss offenbar nicht so sein, denn Übersetzungen der amerikanischen Bücher sind ebenfalls gut verständlich. Scheinbar ist bei uns der "normale" Gebrauch von Sprache anders...

Wie sieht der in der ETH-Praxis aus? Als Student ist man in der Regel davon befreit, sich über seine eigenen Äusserungen Gedanken zu machen. Unter Professoren fallen zwei Fraktionen besonders auf: die einen, die der "Inhalt statt Form"-Philosophie folgen, und die anderen, die versuchen, auch noch den letzten Fachterminus in einen "deutschen" Begriff zu fassen. Beide produzieren äusserst unterhaltsame Äusserungen.


Zur Person

Seit Oktober 2001 ist Nicky Kern Assistent bei Professor Bernt Schiele im Departement Informatik. Er engagiert sich in der Mittelbau-Vereinigung AVETH. Für seine Doktorarbeit vertieft er sich in das momentan trendige Thema "Wearable Computing". An der ETH schätzt der deutsche Informatiker die konstruktive Atmosphäre zwischen der Schulleitung und den Doktoranden. Als negativ wertet er aber, dass neu ankommende Wissenschaftler in Zürich häufig allein gelassen werden und: "die Professoren sollten den Doktorierenden nicht zuviel Arbeit ausserhalb des definierten Projekts auftragen".




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nicky kern
Nicky Kern, Assistent am Departement informatik.

An den eingangs zitieren angelsächsischen Hochschulen wird mehr Wert auf Sprache gelegt. Beispielsweise werden auch technische Fragen gerne mal mit einem Essay geprüft.

Interessanterweise scheint das auch den technischen Fähigkeiten zugute zu kommen: Eine Deutsch-Lehrerin aus meinem alten Gymnasium zeigte das einmal sehr eindrücklich auf: sie liess zwei Klassen dieselbe Physik-Klausur schreiben, und zählte sie bei der einen Klasse auch als Deutsch-Test. Bei dieser Klasse waren interessanterweise auch die Physiknoten besser...

Es scheint also zu helfen, die eigene Sprache zu pflegen. Zum Glück sind wir eine technische Hochschule und erheben damit nicht den Anspruch der Universalität wie die Universität es tut. Somit sind wir auch nicht verpflichtet, Literatur-Reife zu erreichen. Das ist auch gar nicht nötig, denn wer will schon Publikationen in Versform lesen? Wir brauchen ein Werkzeug, die Verwendung der Sprache mit Augenmass, damit wir unsere Gedanken klar und präzise darlegen können.

Und was brauchen wir, um das zu erreichen? Das Wissen, dass wir darauf achten müssen? Folien ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler (von inhaltlichen einmal ganz abgesehen)? Verständliche Diplom- und Semesterarbeiten? Prüfungen, in denen Rechtschreibfehler auch zählen? Publikationen, die man gerne liest? Die Anerkennung von Sprachkursen als D-GESS-Fächer (schliesslich fand schon Goethe, dass man eine andere Sprache lernen müsse, um etwas über die eigene zu erfahren)? Alles zusammen? Oder gar noch mehr?

Gute Ideen sind unsere wichtigste Ressource. Und die Fähigkeit, uns darüber zu unterhalten, unser wichtigstes Werkzeug. Und das gilt nicht nur für die Lehre, und die (immer wichtigere) Kommunikation nach aussen, sondern auch und im besonderen für die Forschung.




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