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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 07.11.2001 06:00

Blick durchs umgekehrte Fernrohr

Von Albert Kündig

Wahrscheinlich geht es vielen unter Ihnen wie mir: Gewisse Vorkommnisse prägen sich unauslöschlich im Gedächtnis ein, und die damit verbundenen Bilder erlauben es später, bei scheinbar neuen Sachverhalten spontan gewisse offenbar allgemein gültige Gesetzmässigkeiten zu erkennen. Zu einem solchen Schlüsselerlebnis verhalf uns Studierenden vor mehr als 40 Jahren Professor Jakob Ackeret in einem Hörsaal des Maschinenlabors.

Stellen Sie sich etwa Folgendes vor: hochsommerliche Hitze, ein stickiges Auditorium; offene Fenster, um wenigstens das Gefühl von etwas frischerer Luft zu haben. Und schon damals: pausenloser Lärm von Autos und Strassenbahnen, der es leider schwierig macht, den hochinteressanten Ausführungen des Dozenten zu folgen. Was tun? Auf Zehenspitzen schleicht sich ein Kommilitone zum offenen Fenster, um dieses auf etwa die Hälfte zu schliessen – ein typischer ingenieurmässiger Kompromiss im Sinne von etwas weniger Lärm auf Kosten der frischen Luft.

Die folgende Reaktion des Dozenten werde ich nie vergessen - er unterbricht kurz seine Vorlesung, um unseren Kollegen sinngemäss wie folgt zu belehren: "Offensichtlich kennen sie das Weber-Fechner'sche Gesetz nicht! Dieses besagt nämlich, dass sich die subjektive Wahrnehmung akustischer Signale nur mit dem Logarithmus des Schalldrucks ändert. Wenn sie den Lärm signifikant reduzieren wollen, dann müssen sie das Fenster praktisch vollständig schliessen - Kompromisse gibt es leider in diesem Falle nicht". Mit dieser spontanen Reaktion hat der begnadete Dozent einer grossen Zahl von Studierenden ein fundamentales Gesetz der Psychophysik auf anschaulichste Art vermittelt - wohl einprägsamer, als dies mit hochglanzpolierten Web-Kursen heute möglich wäre.


Zur Person

Albert Kündig ist seit 1983 ordentlicher Professor für Systemtechnik im Fachbereich Elektrotechnik an der ETH. Er baute den Bereich der Technischen Informatik und der Kommunikationsnetze von einer kleinen Forschungsgruppe bis zum gleichnamigen Institut mit heute 60 Mitarbeitern auf. Sein Forschungsinteresse gilt unter anderem der Multimediakommunikation in Hochleistungsnetzen. Albert Kündig ist als Studiendelegierter die treibende Kraft bei der Einführung des Bachelor/Master-Systems in seinem Departement. In der Leitungsgruppe für Technologiefolgen-Abschätzung des Schweizerischen Wissenschaftsrats beschäftigt er sich zudem mit den Auswirkungen der Informationstechnologien auf Gesellschaft und Wirtschaft.




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prof a kuendig
Albert Kündig, ETH-Professor für Systemtechnik. gross

Damit wären wir beim eigentlichen Thema: den vielzitierten "rasanten" Fortschritten der Informationstechnologie. Bekanntlich hat Gordon Moore - einer der Gründer von Intel - vor mehr als 30 Jahren in fast prophetischer Art eine Verbesserung der Leistungen elektronischer Schaltkreise um den Faktor zwei alle 18 Monate vorausgesagt, also ein exponentielles Wachstum. Über mein Berufsleben von nunmehr 39 Jahren hinweg gesehen läppert sich da der schier unglaubliche Faktor von 226 zusammen, also gegen 10 8 !

Berechtigterweise hausieren wir Ingenieure und Naturwissenschaftler mit dieser Zahl, und wir erwarten von den staunenden Laien in unseren Vorträgen genau das, was das Duden-Bedeutungswörterbuch unter "rasant" verzeichnet: "in einer Weise, die begeisterte Anerkennung hervorruft".

Nur: beim einen oder andern werden sich an dieser Stelle auch Zweifel einschleichen, ob der wahre Fortschritt – was immer das sei – sich mit solchen Zahlen darstellen lässt. Ich habe da mein eigenes Lemma zu den beiden Gesetzen gefunden – vorläufig zwar erst eine Vermutung. Wie wäre es, wenn wir als Menschen die eigentlichen Verbesserungen nur mit dem Logarithmus des Moore'schen Gesetzes wahrnehmen würden? In der Tat: Ein beträchtlicher Teil der rasant angestiegenen Computerleistung, der vielfach grösseren Bandbreite der Kommunikationsnetze und der immens angestiegenen Speicherkapazität wird ja vor allem in die Benutzerfreundlichkeit, die Sicherheit und oft auch in ein manchmal unerwünschtes Anwachsen der Funktionalität und Komplexität gesteckt. Und sehr viel bleibt da noch zu tun - möglichst ohne Kompromisse!

Festzulegen wäre noch die Basis des Logarithmus in diesem neuen Weber-Fechtner-Moore'schen Gesetz. Und mir verbleibt, die 836 von der Google-Suchmaschine zum Stichwort "Weber-Fechner" in wenigen Sekunden vermittelten Hinweise darauf hin abzusuchen, ob ein unbekannter Kollege bereits früher auf die Idee gekommen ist, Moore durch das Weber-Fechner'sche Filter – sozusagen ein umgekehrtes Fernrohr - zu betrachten.




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