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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 17.12.2003 06:00

Juistische und psychologische Verträge

Von Gudela Grote

In der letzten Woche wurde mir, wie wohl allen anderen Professorinnen und Professoren an der ETH auch, mein neuer Arbeitsvertrag zugestellt. Der Vertrag selbst enthielt nichts, auf das ich nicht schon durch die Diskussionen um die neue Professorenverordnung vorbereitet gewesen wäre. Stutzig gemacht hat mich deshalb, dass mir fast vier Monate eingeräumt werden, diesen Vertrag zu unterschreiben. Sollte es in diesem Vertrag doch Dinge geben, über die ich mich ausführlicher erkundigen sollte, bevor ich meinen Namen darunter setze? Die entsprechende Nachfrage bei der Personalabteilung ergab, dass formal-juristisch eine so lange Frist einzuräumen sei. Bei Kollegen hörte ich, dass sie diese Monate brauchen, um von ihrem bisherigen, teils noch vom Bundesrat besiegelten, Status des gewählten Professors Abschied zu nehmen.

Warum fällt dieser Abschied schwer bzw. was verursacht das Zögern beim Unterschreiben des neuen Vertrags? Da ist einerseits die juristische Seite: Statt auf Zeit gewählt, sind wir nun unbefristet angestellt. Im Begleitbrief des Präsidenten des ETH-Rats wird dies als Verbesserung unserer Situation dargestellt, da nun die durch das Wiederwahl-Verfahren bedingten Unsicherheiten hinsichtlich der Gewährleistung der Lehr- und Forschungsfreiheit entfielen. Weshalb ist dann einigen von uns doch unwohl gerade hinsichtlich dieser neuen (Un-)Sicherheiten? Dies ist wohl weniger durch den formalen juristischen Vertrag als vielmehr durch den psychologischen Vertrag, der uns ebenfalls mit unserer Arbeitgeberin ETH bzw. unserem Arbeitgeber ETH-Rat verbindet, begründet.

Dieser psychologische Vertrag bezieht sich auf die wechselseitigen Erwartungen und Angebote von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden, die über die im formalen, juristischen Vertrag formulierten gegenseitigen Verpflichtungen hinausgehen.


Zur Person

„Wo gearbeitet wird, muss es menschengerecht zu- und hergehen“, sagt Gudela Grote, seit drei Jahren ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH, und bezeichnet damit den Fokus ihres Lehr- und Forschungsgebiets. Das sei gerade auch bei modernen Arbeitsumgebungen nicht immer der Fall, wo die Technologie als vermeintliche Erleichterung gewertet wird, de facto Menschen aber die Kontrolle über die Arbeitsprozesse verlieren können.

Aufgebrochen würden Arbeitsgewohnheiten zudem durch den Trend zur permanenten Einsatzbereitschaft, zur Arbeit auf Abruf und zum mehrmaligen Jobwechsel. Wir würden angesichts dessen gezwungen, in Alternativen zu denken. „Das eröffnet auch Chancen – die Arbeitspsychologie kann mithelfen, sie zu finden und zu realisieren“, sagt Gudela Grote. Ihr für die humane Gesamtschau geschulter Blick hat sie auch für eine andere Funktion prädestiniert: die Mitgliedschaft in der Ethik-Kommission der ETH. Dort geht es darum, dass ETH-Forschung, die am Menschen invasiv experimentiert – etwa in der Sportphysiologie – nicht zu Schädigungen führt, und darum, im Notfall ein Veto einzulegen.




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Kolumnistin Gudela Grote, ETH-Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie

Diese mehr oder minder impliziten Angebote und Erwartungen können sich auf mündliche Absprachen oder Ankündigungen beziehen, können aber auch aus organisationsspezifischen Ereignissen und dem Verhalten von Vorgesetzten und Mitarbeitenden abgeleitet werden. Für Professorinnen und Professoren der ETH war bisher wesentliches Element dieses psychologischen Vertrags, dass ihre Wiederwahl eine Routineangelegenheit ist und sie das einzigartige Privileg maximaler Freiheit der Tätigkeitsausübung bei maximaler Sicherheit des Anstellungsverhältnisses geniessen dürfen. Durch die Diskussion des neuen Bundespersonalgesetzes sind die Kündbarkeit der Anstellung und die „Normalisierung“ des Status von Professorinnen und Professoren als Angestellte des Bundes in den Blick gerückt. Sicherheit und Freiheit scheinen gleichermassen bedroht.

Dazu trägt auch die allgemeine wirtschaftliche Lage bei, von der bereits in meiner letzten Kolumne die Rede war. Den Erwartungen von Unternehmen an hohen Arbeitseinsatz, Loyalität und Eigenverantwortung stehen vielfach nicht mehr hinreichend glaubwürdige Angebote an die Mitarbeitenden gegenüber. Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit – als Ersatz für generell nicht mehr gewährte Arbeitsplatzsicherheit – erleben oft nur ausgewählte Mitarbeitende durch entsprechende Weiterbildung und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung. Der psychologische Vertrag wird zunehmend als unfair erlebt, wie wir in Untersuchungen bei vierzehn unterschiedlich stark flexibilisierten Unternehmen festgestellt haben. Erstaunlicherweise trifft dies in besonderem Masse für beruflich sehr flexible Mitarbeitende zu, während Mitarbeitende mit kontinuierlicheren Laufbahnen Angebote und Erwartungen als eher im Gleichgewicht erleben (1). Mit den an diesem Projekt beteiligten Unternehmen haben wir viel über Massnahmen diskutiert, die faire psychologische Verträge fördern. Neben dem inhaltlichen Gleichgewicht von gegenseitigen Angeboten und Erwartungen gehört dazu auch eine offene und partizipative Verhandlung und Überprüfung dieser Inhalte.

Als Unterzeichnende meines neuen Arbeitsvertrags wünsche ich mir dazu vor allem die Erarbeitung systematischer Evaluationsgrundlagen, um die angemessene Nutzung akademischer Freiheiten bewerten zu können.


Fussnoten:
(1) Vgl. ETH E-Collection: Grote & Raeder, 2003: http://e-collection.ethbib.ethz.ch/cgi-bin/show.pl?type=bericht&nr=310



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