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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 25.09.2002 06:00

Dressur mit Fragezeichen

Von Katja Wirth

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Kennen Sie den globalisierten Kuh-Kapitalismus? Im Tagi, aber auch im Internet, wird dem interessierten Laien der Kapitalismus auf anschauliche Art und Weise näher gebracht. Der traditionelle Kapitalismus funktioniert, wie wir alle wissen, folgendermassen: Sie besitzen zwei Kühe. Sie verkaufen eine und kaufen einen Bullen. Die Herde wächst. Sie verkaufen die Kühe, gehen in Pension und leben vom Kapitalertrag. Neben dem traditionellen wird auch der italienische Kapitalismus erklärt: Sie besitzen zwei Kühe, wissen aber nicht, wo sie sind. Sie gehen in die Mittagspause. - Es liessen sich beliebig viele Beispiele über den Kapitalismus in andern Ländern aufführen, denn es existieren genügend Klischees über die verschiedenen Länder und Völker.

Ich habe mich gefragt, ob man einem Nicht-Akademiker die Hochschulwelt auf eine ebenso einfache, bildhafte Art erklären könnte. Als Metapher möchte ich nicht gerade Kühe nehmen, man könnte eine etwas edlere Tierart wählen, zum Beispiel Rennpferde. Eine universitäre Einrichtung könnte man demnach ungefähr so beschreiben: In einem Reitstall eignen sich die jungen Pferde während vier bis sechs Jahren grosses theoretisches Wissen an. Nebst dem erforderlichen Dressurreiten wird auch Wert auf eigenständiges Denken und Handeln gelegt. Am Ende der Dressur stellen die Rennpferde in anspruchsvollen Diplomhürdenläufen ihre profunden Fachkenntnisse unter Beweis und werden als Spezialisten in ihre Rennkarriere entlassen.

Man muss natürlich präzisieren, dass in solche Reitställe nicht alle Pferde aufgenommen werden. In der Schweiz schaffen nur knapp 20 Prozent die Eintrittshürde. Doch da es auch dann noch zu wenige Ausbildungsplätze gibt, müssen die armen Pferde immer wieder schwierige Prüfungen bestehen - wer es nicht schafft, muss gehen.


Zur Person
Als begeisterte Fechterin kann Katja Wirth in ihren ETH-Life-Kolumnen Präzision, und wenn’s sein muss, kämpferische Qualitäten gut zur Geltung bringen. Die Assistentin am ETH-Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie hat Psychologie und Neurobiologie studiert. Jetzt arbeitet sie bei Professor Krueger an einer Doktorarbeit zum aktuellen Thema Fluglärm. In der grossangelegten „Lärmstudie 2000“ werden die Auswirkungen des Fluglärms auf die betroffenen Menschen untersucht. Katja Wirth engagiert sich zudem im Vorstand der Vereinigung der Assistierenden der ETH (AVETH). Ausserdem setzt sie sich auch schweizweit für die Assistierenden ein: nämlich in der „ActionUni“ (http://www.action-uni.ch/de/index.html), einem Forum über die Arbeitsbedingungen der DoktorandInnen an Schweizer Universitäten.



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Katja Wirth, Assistentin am ETH-Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie und AVETH-Vorstandsmitglied. gross

Allerdings sind die Kriterien oft nicht ganz klar, nach denen ausgeschieden wird. Kommt es darauf an, wer am besten wiederkäuen kann? Oder wird wirkliches Können gemessen? Einige Pferde verlassen den Rennzirkus übrigens auch von sich aus, denn die Qualität der Ausbildung ist wegen der zu grossen Zahl an Pferden und mangels guter Trainer nicht immer gewährleistet.

Ganz wichtig ist es natürlich, zwischen Universität und ETH zu unterscheiden. Der ETH-Rennstall braucht keine Vergleiche, beispielsweise mit dem Modernen Institut der Tiere in Boston, zu scheuen, und geniesst einen international exzellenten Ruf. Viele ETH-Rennpferde sind nach nur vier bis fünf Jahren sehr kompetent und im Race-Business auf der ganzen Welt gefragt. Leider jedoch tragen sie allzu oft noch immer ihre alten, zerlöcherten Sattel mit den Logos aus den 80er Jahren, und ihre Mähnen sind meist ungekämmt. Ganz anders die Uni-Reitpferde. Es kommt sehr auf die Fachrichtung an, ob sie auf dem internationalen Rennmarkt gefragt sind, ob und zu welchem Preis sie verkauft werden. Sie wiehern heimlich über die ETH-Pferdchen, die allzu brav ihr Futter (wieder-)käuen und wegen der Scheuklappen nicht richtig nach rechts und links sehen. Selber führen sie angeregte Diskussionen, die dann oft Jahre dauern. Bis zu 38 Semester soll ein Uni-Pferd im Rennstall geblieben sein. Seltsamerweise gibt es immer wieder Rennpferde, die trotz der guten Ausbildung nachher versagen. Den Kopf voller theoretischen Wissens, schaffen sie dann die praktischen Hürdenläufe doch nicht. Die Rennställe werden im Volksmund übrigens auch „Elfenbeinstall“ genannt.

Sie habens gemerkt: Diese Vergleiche sind sehr klischeeträchtig. Es ist klar, dass viele Klischees nicht stimmen - und doch sollten wir uns hin und wieder fragen, ob nicht ein Funken Wahrheit daran ist. Es ist heilsam, zwischendurch unsere eigene Nationalität, unsere Berufsgruppe, uns selber durch die Augen der andern zu betrachten. Niemandem schadet es, mal einen Witz über die eigene Berufsgattung oder Hochschule zu hören. Wenn man auch nicht alle Klischees glauben muss - sie mal zu überdenken und auch mal über sich selber lachen können, bewahrt davor, aufs zu hohe Ross zu steigen.


Die ETH-Life-Kolumnisten äussern ihre persönliche Meinung. Sie muss nicht mit der Haltung der Redaktion übereinstimmen.



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