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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 11.03.2002 06:00

Ingenieurkunst - der Natur nachempfunden
Chips, die sehen

Digicams glänzen mittlerweile mit mehreren Millionen Pixel Auflösung und entsprechend beeindruckender Bildqualität. Insofern nähern sie sich dem menschlichen Auge als Bildempfänger an. Bezüglich Dynamik, Energieeffizienz und vor allem bei der Datenvorverarbeitung in Echtzeit ist das Auge aber digitalen Systemen immer noch klar überlegen. Künstliche visuelle Systeme lassen sich heute darum vom natürlichen Auge inspirieren. An einem Workshop an der ETH kann man sich informieren, was das "Neuromorphic Engineering" von der Natur bereits gelernt hat.

Von Norbert Staub

Als offensichtlichstes und zugänglichstes Glied der Bildverarbeitung hat das Auge stets zuerst die Neugier jener Ingenieure geweckt, die an künstlichen Wahrnehmungs-Systemen interessiert sind. Bei der Bildaufnahme, der Umwandlung von elektromagnetischen Schwingungen in elektrische Signale, hat sich sowohl die Fotografie wie auch die Videotechnik immer am menschlichen Auge orientiert - und durch Jahrhunderte lange Entwicklung einen bemerkenswerten Perfektionsgrad erreicht. Bei der eigentlichen Bildverarbeitung jedoch, wo die eingehenden Signale weitergeleitet und bearbeitet werden, beginnen für herkömmliche künstliche Systeme bereits die Schwierigkeiten.

Unerreichte Effizienz

Denn biologische Schaltkreise sind zwar eine Million mal langsamer als die eines Computers - dennoch schafft die Retina in Echtzeit, wofür die digitale Bildverarbeitung nach wie vor weit länger braucht. - Was steckt dahinter? Einmal der Umstand, dass die Netzhaut eine Architektur hat, die ihrer Aufgabe - der Bildverarbeitung - optimal angepasst ist. Die Evolution hat hier alle Funktionselemente so nah beisammen strukturiert, dass die Datenverarbeitung parallel, ohne Rechnerinfrastruktur, auf kürzestem Weg und kleinstem Raum möglich ist. Zudem verfügt das Auge über bessere Verarbeitungsalgorithmen und kommt mit sehr wenigen Schaltelementen zurecht, wofür einfache Organismen wie Insekten ein gutes Beispiel sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt: die Retina empfängt Signale analog und leitet sie ebenso weiter. Der Vorteil hierbei: Die Daten werden bereits im Bildaufnehmer ein erstes Mal verarbeitet. Denn in der Retina wird die Datenmenge reduziert, indem Signale nur dort weitergesendet werden, wo Kontraste auftreten. Solche Effekte nützt auch Jörg Kramer mit seiner künstlichen Retina, die am Institut für Neuroinformatik von Uni und ETH Zürich (INI) weiterentwickelt wird. Kramer ist Physiker und seit Jahren mit der Entwicklung visueller Chips befasst.

Weniger ist mehr

Die Netzhaut liefert kein perfektes Bild der Umwelt, wenn Perfektion im Sinne von "Vollständigkeit" verstanden wird. Ihr reicht es, im zentralen Bildbereich eine gute Auflösung und Farbdifferenzierung zu liefern. Mindestens so wichtig ist ihre Fähigkeit, Bedeutendes von weniger Bedeutendem zu unterscheiden und ersteres sehr schnell weiterzuleiten. Als wichtig, so hat sich zum Beispiel in der Evolution herausgestellt, betrachtet das Auge Dinge, die sich plötzlich ändern (eine Beute, welche die Richtung wechselt, ein in der Ferne aufflackerndes Licht...).

Eine weitere Fähigkeit, die das natürliche Auge auszeichnet: es kann sich der Beleuchtungssituation in seiner Umgebung anpassen. Sowohl im Mondlicht wie bei grellstem Sonnenschein vermag es ein Objekt nach einer Adaptionsphase gut zu erkennen, indem es auf die relativen Lichtverhältnisse reagiert.


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Jšrg Kramer
So sieht der Retina-Chip seinen Mitentwickler Jörg Kramer vom Institut für Neuroinformatik. gross

"Hätte man einen Sensor mit den entsprechenden Fähigkeiten, wäre dieser deshalb vor allem in Umgebungen ohne künstliche Beleuchtung sehr nützlich", erklärt Jörg Kramer.

Drei- auf Zweidimensionalität komprimieren

Am Institut für Neuroinformatik von Uni und ETH Zürich wird schon lange an den technischen Grundlagen für die künstliche Retina gearbeitet. "Als besonders mühsam hat sich hierbei die Aufgabe erwiesen, das Funktionsprinzip der in mehreren Schichten angeordneten Neuronen auf der Original-Retina auf einen zweidimensionalen Chip zu übertragen", sagt Jörg Kramer. Knifflig sei dabei auch, die Verschaltung der Transistoren so zu gestalten, dass die Funktionsweise der Retina erreicht werde. Doch Biologen, Physiker, Informatiker und Ingenieure versuchen im intensiven interdisziplinären Kontakt Chips zu entwickeln, die der Natur immer näher kommen sollen. Am 15. März findet am INI ein Workshop zu den aktuellen Entwicklungen des "Neuromorphic Engineering" (1) statt. Der Einführungsteil ist ohne Anmeldung öffentlich zugänglich.

Die Palette von praktischen Anwendungen künstlicher Retinae ist gross: sie reicht von Assistenten im Auto, die den Fahrer dazu anhalten, die Spur und genügend Abstand zum nächsten Wagen zu halten, bis zur Medizin: hier träumt man vom Ersatz zerstörter oder degenerierter Netzhäute durch künstliche. Am Netzhaut-Chip für erblindete Menschen wird derzeit in verschiedenen Teams ausserhalb des INI intensiv gearbeitet - er könnte in den kommenden Jahren Realität werden.


Die Natur nachbauen

An der Knacknuss, diffuse Bilddaten, wie sie in der Natur vorkommen, in die klassische Computersprache zu übersetzen, sind digitale "Augen" bislang gescheitert.

Dieser Umstand hat zu einem ganz neuen, biologisch inspirierten Zweig der Ingenieurwissenschaft geführt, dem "Neuromorphic Engineering". Dieses stützt sich auf Erkenntnisse der Neuroinformatik, welche die Prinzipien der Informationsverarbeitung in biologischen neuronalen Systemen erforscht.

Neuromorphic Engineering beschäftigt sich mit dem Design und der Herstellung von künstlichen neuronalen Systemen, deren Architektur auf biologischen Systemen basiert. Typische Produkte des Neuromorphic Engineering sind Silizium-Netzhäute und -Gehörschnecken oder dem Gehirn nachempfundene Analog-Chips für Netzwerke und Roboterplattformen.




Literaturhinweise:
Zur künstlichen Retina in der Medizin vergleiche: www.nmi.de/

Fussnoten:
(1) Informationen zum SATW-Workshop "Neuromorphic Engineering" 15. März 2002: www.ini.ethz.ch/satw02



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