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Rubrik: Tagesberichte |
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Tagung zur Umweltchemie an der ETH Bakterien tricksen Gifte aus |
Der Begriff "Chemieunfall" ist schnell zur Hand; es gibt keine Entsprechung in der Physik oder der Biologie. Dass hingegen die Chemie dazu beitragen kann, ökologische Ziele zu erreichen, ist weniger bekannt. - Zu Unrecht, wie das erste Chemie-Forum von gestern Mittwoch an der ETH Hönggerberg zeigte. Chemie und Umweltschutz müssen sich nicht ausschliessen, sagen ETH-Chemikerinnen und Chemiker. An einem ersten Diskussionsforum mit Studierenden, ETH-Mitarbeitenden, Wissenschaftsjournalisten und weiteren Interessierten haben sie gestern Mittwoch im HCI auf dem Hönggerberg Beiträge der Chemie zur Verwirklichung ökologischer Ziele vorgestellt. Moderiert wurde der Anlass vom „Hausherrn“, Professor Wilfred van Gunsteren. Bakterien "veratmen" Chlor-Verbindungen Mit neuen Substanzen, Recycling-Systemen und Technologien zur Reduktion von Emissionen und Energieverbrauch trägt die Chemie zur Verbesserung von Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei. Auch Bakterien spielen dabei ihre Rolle. Das zeigte Alexander J. B. Zehnder, Professor für Umweltbiotechnologie und EAWAG-Direktor. Erst in den 80er und 90er Jahren hätten die Wissenschaftler das Schicksal synthetischer Chemikalien in der Umwelt verstanden. Sie hätten herausgefunden, dass chlorierte Verbindungen durch Bakterien veratmet werden, und zwar in ähnlicher Weise, wie Menschen Sauerstoff verwenden. Zehnder: „Es zeigte sich, dass die Mikroorganismen Herausforderungen ihrer Umgebung auch auf genetischem Wege meistern.“ Sie seien sogar befähigt, ihnen unbekannte Moleküle abzubauen. Riesige Genstücke würden zwischen Bakterien ausgetauscht. Da die genetische Information in den verschiedensten Organismen sehr ähnlich ist, können sich die Bodenbakterien quasi aus einem relativ frei zugänglichen Genpool bedienen und durch solche Neukombinationen genetischer Informationen zu absolut neuartigen Abbaueigenschaften gelangen. Raketenbasis vom Öl befreit Bei Altlastensanierungen helfen heute chemische und biologische Verfahren, Verschmutzungen zu neutralisieren oder zu beseitigen. Nathalie Gysi, diplomierte ETH-Naturwissenschaftlerin und Geschäftsleiterin von Green Cross Schweiz (siehe Kasten), brachte ein aktuelles Beispiel dafür: die erfolgreiche Sanierung einer meterdicken Ölaltlast auf einer Atomraketenbasis im westrussischen Ostrow, die heute als zentrale Ausbildungsstätte für Ingenieure der russischen Rakatenstreitkräfte dient. Eine Nachlässigkeit hatte auf der Militärbasis 1985 zum Überlaufen eines grossen Öltanks für die Beheizung und Warmwasserversorung der Garnisonsstadt geführt.
1100 Tonnen Öl näherten sich bedenklich dem Fluss Welikaya, dem Trinkwasserreservoir für 300'000 Menschen. Da Geld und Know-how fehlten, wurde 15 Jahre lang nichts gegen die Verschmutzung des Bodens getan. Bei der Analyse der Altlasten habe man festgestellt, so Gysi, dass alle Schadstoffe, die wasserlöslich waren, bereits abgebaut waren.
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Ein erster Schritt war im Jahr 1998 die Erstellung eines Sanierungskonzeptes, deren Umsetzung das schwedische Aussenministerium sponsorte. Festgestellt wurde: Eine Grundwasserverschmutzung durch Erdbewegungen war auszuschliessen, weil der gesamte Untergrund aus einer isolierenden, kompakten Ölschicht bestand. Eine Biodegradation als alleinige Sanierungsmethode fiel weg, weil das Öl für eine rasche biologische Zersetzung zu schwer war. Zum Schutz des Flusses wurde zunächst ein ringförmiger Drainagekanal mit Ölabscheider um das gesamte verschmutzte Gebiet gebaut. Das im Sommer 2001 verflüssigte Öl in den Kanälen wurde mittels eines alten wasserbeschwerten Boilers zur Pumpe geschoben, welche das Öl aus dem Kanal beförderte. Das Öl wurde in der Garnisionsstadt normal verfeuert. Zudem wurde der stark ölverschmutzte Boden – Kanalwände und Ölpfützen – abgetragen und in einem Endlager versiegelt. Leicht verschmutzter Boden wurde mit Torf und Sägemehl vermischt und bepflanzt, um den biologischen Abbau zu fördern. Im Sommer dieses Jahres wird die Sanierung abgeschlossen sein. „Die Qualität des Bodens wird jedoch nicht so sein, dass man künftig darauf einen Kinderspielplatz einrichten kann.“ Das Hauptaugenmerk, so Nathalie Gysi, galt der Trinkwasserversorgung. Das Risikopotential von Chemikalien einschätzen Von den Tausenden derzeit auf dem Markt befindlichen chemischen Produkten sind viele nach wie vor gar nicht oder nur schlecht beschrieben, berichtete Konrad Hungerbühler, ETH-Professor für Sicherheits- und Umwelttechnologie in der Chemie. Heute gehören vorgängige Risikoabschätzungen von Produkten und Prozessen sowie Betrachtungen zur "Ökoeffizienz" zu den Aufgaben vieler Chemiker und Chemikerinnen. Verschiedene Institutionen in Wirtschaft und Forschung wenden bereits entsprechende an der ETH entwickelte Berechnungsmodelle an, sagte Hungerbühler. André Bachmann von der Schlieremer BMG Engineering AG illustrierte die „Finanzbewertung von Unternehmungen bis zur Risikobewertung von Altlasten“ mit einigen Beispielen, bevor Renato Zenobi, Professor für Analytische Chemie, den Vortragsreigen mit Ausführungen darüber abschloss, welche Möglichkeiten die Umwelt-Spurenanalytik bietet und wo ihr Grenzen gesetzt sind.
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