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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.11.2000 06:00

Universitäten: Europa kann mit den USA mithalten

Claude Allègre war von 1997 bis 2000 französischer Bildungsminister. Heute widmet er sich als Physiker wieder den Erdwissenschaften. Letzte Woche hielt er am Kolloquium "Habitable Planets" der ETH einen Vortrag.

ETH Life: Herr Professor Allègre, Sie haben sich als ehemaliger französischer Bildungsminister intensiv mit Bildungspolitik auseinandergesetzt. Wohin geht die europäische Hochschulausbildung?

Claude Allègre: In vielen europäischen Staaten sind Bestrebungen im Gange, die Hochschulbildung zweizuteilen. In Frankreich beispielsweise soll die Ausbildung nach drei Jahren mit einem Bachelor abgeschlossen werden können. Wer anschliessend noch zwei Jahre an der Universität weiterstudiert, kann zusätzlich einen Master-Titel erwerben.

ETH Life: Soll die ETH dieses aus den USA stammende System übernehmen?

Allègre: Ja, ich glaube schon. Ein erster Abschluss nach zwei oder drei Jahren würde es beispielsweise erleichtern, ein Zweitstudium zu absolvieren. Ein Beispiel: heutzutage brauchen wir dringend Juristen mit biologischem Wissen. Wenn Sie aber zuerst ein ganzes Biologiestudium durchlaufen und dann noch ein Jura-Studium anfangen müssen, sind Sie bereits zu alt.

Ich glaube daher, dass wir im nächsten Jahrzehnt vermehrt in Richtung einer kontinuierlichen Ausbildung gehen werden. Dies bedeutet, dass die Studenten mit einen Bachelor-Grad abschliessen und anschliessend einer praktischen Arbeit nachgehen. Nach einiger Zeit, kehren sie mit ihrem Praxiswissen wieder zurück an die Universität und schliessen mit einen zweiten Titel ab.

ETH Life: Wo liegt der konkrete Nutzen dieses Systems?

Allègre: Die Durchlässigkeit zwischen Universität und Berufsleben wird so erhöht. Die Universitäten müssen aber das erlangte Praxiswissen anerkennen und es für einen Abschluss anrechnen. Sehen Sie, es muss daher möglich sein, dass jemand mit einem Bachelor-Grad und einigen Jahren Berufserfahrung in nur einem Jahr das Master-Diplom erreichen kann.

ETH Life: Wie andere Universitäten auch hat die ETH das Problem, genügend Jugendliche für die klassische naturwissenschaftliche Ausbildung zu motivieren. Warum dieses Desinteresse?

Allègre: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens ist die Gymnasialausbildung nicht sehr gut. Die Mittelschullehrer interessieren sich nicht genügend für naturwissenschaftliche Themen und bringen es daher nicht fertig, die Schüler für diese Fachgebiete zu begeistern. Zweitens stehen die Naturwissenschaften im Kreuzfeuer der Kritik. Alles wird heute angegriffen, die Kernenergie, der Rinderwahnsinn etc. und die Naturwissenschaften sind für all dies verantwortlich. Wahrscheinlich wollen sich die Jugendlichen nicht für all die Umweltprobleme verantwortlich machen lassen und kehren daher den Naturwissenschaften den Rücken.


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Prof. All?gre (Allegre)
Prof. Allègre zu Besuch an der ETH

ETH Life: Liegt das an der Qualität der Ausbildung oder widerspiegelt es ein gesellschaftliches Phänomen?

Allègre: Ich glaube nicht, dass es mit der Qualität der universitären Ausbildung zu tun hat. Sie kann durchaus mit der in den USA mithalten. Im Gegenteil, sie ist uniformer. Was meine ich damit? In den USA ist der Unterschied zwischen den einzelnen Universitäten viel grösser. Der Unterschied zwischen Harvard und der Universität of South Dakota ist enorm. In Europa hingegen existieren diese grossen Unterschiede nicht.

ETH Life: Neben all ihren sonstigen Aktivitäten arbeiten Sie immer noch als Wissenschafter ...

Allègre: (bestimmt) Ja!

ETH Life: ... Sie befassen sich unter anderem mit der Planetenerforschung. Macht es Sinn, viel Geld in die Untersuchung fremder Planeten zu investieren, wenn wichtige Umweltprobleme auf unserer Erde noch nicht gelöst sind?

Allègre: Wir wollen ja keine extraorbitanten Beträge für unsere Forschung. Sie stellen die gleiche Frage, die während der französischen Revolution gestellt wurde: was ist wichtiger, allen genug zu essen zu geben oder das Schloss in Versailles zu bauen? Ich glaube, wir sollten beides tun. Sehen Sie, vieles, das wir bei der Erforschung des Mars lernen, wird eines Tages helfen, die Erde zu verstehen.

ETH Life: Gesetzt den Fall, es wäre in zehn Jahren möglich, auf einem fremden Planeten zu leben, wäre Prof. Allhgre einer der ersten Bewohner?

Allègre: Nein.

ETH Life: Warum nicht, würde Ihnen der gute französische Wein fehlen?

Allègre: Nein, aber jeder hat seine Aufgabe. Ich bin kein Erforscher und auch kein amerikanischer Fregattenkapitän, ich bin Wissenschafter.

Das Interview führte Richard Brogle




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