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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 18.03.2002 06:00

Risikobetrachtungen
Asbest: Gefahren früher erkennen

Jahrzehnte erst, nachdem die SUVA Asbest als gefährlich anerkannt hatte, wurde der Stoff generell als riskant erkannt und ersetzt. Der Risikoexperte und ETH-Professor Wolfgang Kröger fordert Frühwarnsysteme, um gefährliche Stoffe und Prozesse schneller zu erkennen.

Von Richard Brogle

Bereits 1939 anerkannte die Suva zum ersten Mal die Asbestose (vgl. Kasten) als Berufskrankheit. Die grosse Wende kam gemäss Linus Fetz, dem ehemaligen Pressesprecher der Eternit AG und ehemaligem ETH-Assistenten, Mitte der siebziger Jahre. Mit anderen Worten: die Asbestindustrie machte sich auf die Suche nach einem Ersatz für die Faser, die bis anhin als Wunderwerkstoff (vgl. Kasten) galt. Aber warum dauerte es mehr als 35 Jahre bis die gefährliche Faser schliesslich ersetzt wurde? Fetz stellt klar, dass erst ab 1964 der mittlerweile legendäre Asbestkritiker Irving Selikoff auf die vielen Asbesttoten, verursacht durch die bis anhin unbekannte Krebsform des Mesothelioms, aufmerksam gemacht habe. Vorher sei man wohl von Einzelfälle ausgegangen. Ab 1964 habe die Eternit AG die Arbeitsbedingungen aber stets verbessert und immer dem Stand der Technik angepasst. Ob dies zutrifft, klärt gemäss der Gewerkschaftszeitung "Work" zur Zeit ein Turiner Staatsanwalt ab, der wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung gegen die Verantwortlichen der Eternit AG ermittelt.

Unbeliebte Staubsauger

In seinem Buch "Eternit-Report" schreibt Werner Catrina, dass sich die Situation bei der Eternit AG aber erst grundlegend änderte, als der junge Stephan Schmidheiny die Führung übernommen hatte. Dieser wollte - anders als sein Vater - "raus aus dem Asbest" und versuchte die Chefetage seines Betriebes von der Notwendigkeit eines Ausstiegs zu überzeugen und wurde zu Anfang oft belächelt. Auch bei den Arbeiterinnen und Arbeitern waren die neuen Arbeitsschutzmassnahmen nicht immer leicht durchzusetzen. Fetz: "Ich weiss, dass frisch installierte Staubsauger mutwillig zerstört wurden. Einige Arbeiter waren offenbar der Meinung, dass sie rechte Männer seien und daher nichts mit Hausarbeiten wie Staubsaugen zu tun haben wollten."


Asbest und Gesundheit

Asbeste sind mineralische Naturfasern, die unter anderem in serpentinhaltigem Gestein vorkommen. Seit ca.1930 wurde Asbest wegen seiner Eigenschaften (Hitzebeständigkeit, Säurefestigkeit, Elastizität, Isolationsvermögen u.a.) in unterschiedlichsten Gebieten eingesetzt: Asbesthaltige Materialien wurden in Platten und Matten für den Brandschutz und zur Wärmeisolation oder in Brems- und Kupplungsbelägen für Fahrzeuge eingesetzt.

Gefährlich wird Asbest in erster Linie, wenn es eingeatmet wird. Die feinen Fasern gelangen in die Lunge und können dort die sogenannte Asbestose auslösen, die sich durch eine Bindegewebsvermehrung des Lungengerüstes manifestiert und bei fortschreitender Krankheit zunehmende Atemnot und Lungenfunktionseinschränkungen zur Folge haben kann. Neben der Asbestose kann auch ein malignes Mesotheliom auftreten. Dabei handelt es sich um einen bösartigen Tumor, der vorwiegend vom Brustfell ausgeht.



Könnte sich der Asbestfall wiederholen?

Die Frage bleibt, ob wirklich über 35 Jahre vergehen mussten, bis die Gefährlichkeit der Asbestfaser in ihrer Tragweite erkannt werden konnte. Und es stellt sich weiter die Frage, ob sich eine ähnliche Tragödie bei einem heutigen "Wunderstoff" wiederholen könnte. Ausschliessen will dies Risikoexperte und ETH-Professor Wolfgang Kröger nicht: "Immer wenn ein neuer ‚Wunderstoff' auf den Markt kommt, besteht die Gefahr, dass man sich von den ‚Super-Eigenschaften' blenden lässt." Bei der Einführung eines neuen Stoffes oder einer neuen Technologie besteht oft der Verdacht, dass sie bestimmte Gefahren mit sich bringen. Meist ist aber der Wissensstand noch viel zu gering, um allfällige Schädigungen beweisen zu können, oder es fehlt die Kraft für aufwendige vorsorgliche Untersuchungen.


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Asbest
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Angstreaktionen und Totalverbote

Nach einem Schadensfall ist oft zu beobachten, dass in der Öffentlichkeit die Forderung nach einem totalen Verbot des entsprechenden Stoffes oder der verwendeten Technologie ertönt. Diese Einzelfallbetrachtung, die häufig aus Angstreaktionen entsteht, hält Kröger für nicht unproblematisch und gibt zu bedenken, dass die Gesellschaft über eine endliche Geldmenge zur Verbesserung der Sicherheit verfüge. Eines seiner Handlungsziele besteht darin, die verfügbare Geldmenge möglichst effizient einzusetzen. Dazu werden Tabellen erstellt, die aufzeigen, in welchen Bereichen mit einer bestimmten Geldmenge am meisten Todesfälle vermieden oder die Lebenserwartung um möglichst viele Jahre verlängert werden kann.

Geld effizient einsetzen

Auch für Asbest hat die ETH Zahlen veröffentlicht (1): Um die Lebenserwartung eines Direktbetroffenen um ein Jahr zu verlängern, werden bei einem Verbot von Asbest in Bremsbelägen nur 29'000 Dollar benötigt, während bei einem Verbot von Asbest in Kabeln schon 34 Mio Dollar benötigt werden. Dieser Unterschied von einem Faktor von gut Tausend lässt sich dadurch erklären, dass die Bremsbeläge grossen mechanischen Belastungen unterworfen sind, so dass feine Asbestpartikel sehr leicht in grossen Mengen in die Luft gelangen können. Kabel hingegen erfahren viel geringere mechanische Belastungen und geben bei normaler Beanspruchung viel weniger Asbestpartikel ab. Um bei einem Direktbetroffenen die Lebenserwartung um ein Jahr zu verlängern, müssten Kabel im Wert von 34 Mio Dollar ersetzt werden, während neue Bremsscheiben nur im Wert von 29'000 Dollar eingebaut werden müssten. Folglich wird man sich zuerst für ein Verbot asbesthaltiger Bremsscheiben aussprechen. Nach dieser Theorie hängt dann ein Verbot von asbesthaltige Kabel davon ab, ob auf einer umfassenden List andere Massnahmen mit geringern Kosten zuerst umgesetzt werden können.

Frühwarnsysteme gefordert

Wie kann der Gesetzgeber aber einen Kompromiss zwischen der Wirtschaft, die eine neue Technologie rasch möglichst einsetzen möchte, und den Skeptikerinnen und Skeptikern finden? Laut Kröger gibt es verschiedene Möglichkeiten je nach vermutetem Gefährdungspotential:

auflistungszeichen Es wird ein totales Nutzungs- und Forschungsverbot verhängt.

auflistungszeichen Ein Moratorium wird ausgesprochen. Dies bedeutet, dass die Nutzung für einen gewissen Zeitraum verboten ist, aber die Zeit für die Erforschung der möglichen Schädigungen genutzt werden soll. Nach Ablauf des Moratoriums wird über das weitere Vorgehen entschieden.

auflistungszeichen Die Technologie wird mit konservativen Grenzwerten freigegeben. Je grösser die Unsicherheit, desto tiefer die Grenzwerte.

Um Gefahren neuer Technologien frühzeitig zu erkennen, fordert Kröger - neben intensiver vorsorglicher Forschung - die Schaffung von internationalen Kommissionen, die als Frühwarnsysteme funktionieren können. Er selber hat den IRGC (International Risk and Governance Council) mitbegründet, der als nichtkommerzielles Forum den Zugang zu wissenschaftlichen Daten verbessern und die interdisziplinäre Forschung initiieren und fördern soll.

Bei der Pharmaindustrie existieren bereits ähnliche Frühwarnsysteme. Warum nicht bei anderen Industriezweigen? Kröger: "Erstes ist bei Medikamenten der Kontakt mit den vermeintlich Betroffenen viel direkter und somit die Sensibilisierung höher und zweitens hatte die Pharmaindustrie den Contergan-Fall." Jetzt scheint der Asbest-Fall bei anderen Industriezweigen einiges in Bewegung zu setzen.


Fussnoten:
(1) Kogelschatz Dirk, Methodik der Probabilistischen Risikoanalyse, Seite 137.



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