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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 25.11.2004 06:00

Öffentliche Dienstleistungen im Berggebiet
Die Post ist nicht entscheidend

Vielerorts wird befürchtet, die Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen beschleunige die Entvölkerung der Bergtäler. Eine ETH-Studie widerspricht nun dieser These. Bei der Präsentation in Luzern zeigte sich, dass andere Probleme für die Bewohner der peripheren Gebiete viel gravierender sind.

Von Felix Würsten

Obwohl in der Schweiz ein politischer Konsens besteht, dass die benachteiligten Bergregionen von den wirtschaftlich starken Zentren im Mittelland unterstützt werden sollen, drohen die peripheren Regionen zunehmend ins Hintertreffen zu geraten. Skeptische Stimmen befürchten, dieser Trend werde durch die Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen – insbesondere im Postbereich – zusätzlich verstärkt. Ob der "Service public" für die Randregionen tatsächlich so entscheidend ist, wurde am Dienstag an einer Tagung in Luzern intensiv diskutiert.

Öffentlicher Verkehr unterschätzt

Anlass der Tagung war der Abschluss eines ersten Projekts des NFP48 "Landschaften und Lebensräume der Alpen" (1). Alain Thierstein, Professor am Institut für Raum und Landschaftsentwicklung der ETH Zürich, hat zusammen mit seinen Mitarbeitern untersucht, wie die Liberalisierung in den Bereichen Telekommunikation, Post, öffentlicher Verkehr und Stromversorgung von den Unternehmen in den Berggebieten wahrgenommen wird (2),(3). Dabei haben die Forscher mehrere hundert Unternehmen in den drei Kantonen Uri, Graubünden und Wallis befragt.

Die Liberalisierung wird von den Unternehmen differenziert wahrgenommen. Während die Öffnung des Telefonmarkts positiv beurteilt wird (wegen den tieferen Preisen), zeigten sich die Befragten gegenüber den Veränderungen bei der Post kritisch eingestellt. Geringe Bedeutung messen die Unternehmen hingegen dem öffentliche Verkehr zu. Christoph Abegg, Mitautor der Studie, vermutet, dass die Unternehmen diesen Faktor unterschätzen. Denn für ihre Kunden und Angestellten ist die Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr durchaus von Bedeutung. Beim Strom hingegen haben die meisten Unternehmen keine Veränderungen festgestellt; dies erstaunt nicht, denn die Liberalisierung wurde mit der Ablehnung des Elektrizitätsmarktgesetzes ja auch verzögert.

Divergierende Entwicklung im Alpenraum

Insgesamt kommen die Autoren zum Schluss, dass die vier untersuchten Dienstleistungen in der öffentlichen Debatte überschätzt werden. Die Versorgung mit diesen Gütern ist zwar eine Voraussetzung für das Wirtschaften in den Randregionen, aber sie ist nicht "Match entscheidend", wie Thierstein erklärte. Diese Einschätzung teilte auch Peter Rieder, Professor für Agrarwirtschaft an der ETH Zürich. Er wies darauf hin, dass der "Service public" stets der wirtschaftlichen Entwicklung nachfolgt. Wenn eine Region aufblüht, werden die Dienstleistungen ausgebaut, erlebt eine Region einen Niedergang, dann wird das Angebot aus finanziellen Gründen ausgedünnt.

Thiersteins Gruppe bestätigte auch, dass sich im Alpenraum zwei divergierende Tendenzen ausmachen lassen. Die Agglomerationen wie etwa das Haupttal des Wallis oder die Region Chur vermögen mit der Entwicklung im Mittelland durchaus Schritt zu halten. Anders sieht die Situation hingegen in den Seitentälern aus. In der "Peripherie der Peripherie" wandert die Bevölkerung zunehmend in die Zentren ab.

Bildung und Kultur wichtiger

Die Tagungsteilnehmer schienen sich weitgehend einig zu sein, dass die heutige Besiedlung der Alpentäler grundsätzlich erhalten werden soll. Dass ausgerechnet Rudolf Walser, Chefökonom des Wirtschaftsverbandes "Economiesuisse" bemerkte, die Entvölkerung der Täler sei aus ökologischer Sicht positiv, empfanden etliche im Plenum doch als Provokation.


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Die Erschliessung der Täler ist für die Bergbevölkerung von zentraler Bedeutung. Nicht überall beseht jedoch eine derart gut ausgebaute Infrastruktur wie in der oberen Leventina. (Bild: Schweiz. Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete SAB). gross

Die Workshops am Nachmittag zeigten, dass für die Bewohner der Randregionen ganz andere Probleme im Vordergrund stehen, als dies die erhitzte öffentliche Debatte vermuten lässt. So kritisierte etwa ein Vertreter aus dem Kanton Bern, dass die Berufsbildung zunehmend zentralisiert werde. In den Randregionen würden immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte ausgebildet. Mittelfristig werde es so für die peripheren Regionen schwieriger, gut ausgebildetes Personal zu finden, da viele junge Leute nach der Ausbildung in der Stadt nicht mehr in die Bergtäler zurückkehren.

Zu einem ähnlichen Schluss kam Helmut Hiess vom Planungsbüro Rosinak & Partner in Wien, das sich im Auftrag der Österreichischen Raumordnungskonferenz mit Randregionen beschäftigt. Die Bewohner der abgelegenen Gebiete könnten durchaus damit leben, dass es im Dorf keine Poststelle gibt – schliesslich kaufen sie ihre Lebensmittel auch nicht mehr im Dorfladen ein, sondern im zentral gelegenen Supermarkt. Im Alltag macht den Bewohnern der Randregionen zum Beispiel die mangelhafte oder gar fehlende Fremdbetreuung der Kinder oder das ungenügende kulturelle Angebot viel mehr zu schaffen.

Angepasste Strategien

Der Strukturwandel im Berggebiet wird sich in den nächsten Jahren wohl weiter fortsetzen – die Liberalisierung, so bemerkte Rudolf Walser spitz, habe schliesslich noch gar nicht richtig begonnen. Dem widersprach Hans Werder, Generalsekretär des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), dezidiert. In den letzten Jahren habe man doch einiges erreicht, etwa im Telekombereich und im öffentlichen Verkehr. Die Effizienz der öffentlichen Dienstleistungen habe sich markant verbessert und das Angebot sei heute im internationalen Vergleich sehr gut. Werder wies darauf hin, dass man für die Liberalisierung der verschiedenen Bereiche angepasste Strategien wählen müsse. Ein blindes Anwenden von marktwirtschaftlichen Instrumenten, das zeigten die Erfahrungen im Ausland, könne verheerende Folgen haben.

Der Bundesrat, so Werder, hat Mitte Juni in einem Bericht dargelegt, welche Politik er im Bereich "Service public" in den nächsten Jahren verfolgen will (4). Grundsätzlich hält er an einer flächendeckenden Grundversorgung fest. Wichtig sei, dass die Dienstleistungen möglichst effizient erbracht werden. Wo das Angebot nicht aus den einzelnen Dienstleistungssektoren selbst finanziert werden könne, müsse die öffentliche Hand gezielt Mittel zur Verfügung stellen. Dies sei heute beispielsweise im öffentlichen Regionalverkehr der Fall, wo die Kantone und Gemeinden gezielt Leistungen bestellen und entsprechend abgelten.


Fussnoten:
(1) Homepage des NFP48: www.nfp48.ch/
(2) Die Resultate der Studie liegen nun in Buchform vor: A. Thierstein et.al.: Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen. Haupt Verlag, Bern. 169 S., Fr. 38.- ISBN 3-258-06816-X
(3) Siehe dazu "ETH Life"-Artikel "Was genau ist Grundversorgung?" http://www.ethlife.ethz.ch/articles/Postinitiative.html und Wettbewerb im Berggebiet" www.ethlife.ethz.ch/articles/Randregion.html
(4) Grundversorgung in der Infrastruktur (Service public): www.uvek.admin.ch/dokumentation/medienmitteilungen/artikel/20040623/01934/?lang=de



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