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Rubrik: Tagesberichte |
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Jubiläumsrückblicke der ETH-Technikgeschichte Die Spitze der vernetzten Welt |
Ende Oktober 1854 hatte das Polytechnikum in einer Stellenanzeige 32 Professuren ausgeschrieben und die Bewerbungen, die bereits seit Monaten vereinzelt ankamen, nahmen nun massiv zu. Am 18. November erreichte den Von Schulrat ein Brief von K. J. A. Mittermaier. Wer war das? Von Daniela Zetti, Technikgeschichte der ETH Zürich Sagen wir es so: Wenn er 1854 keinen Brief ans Polytechnikum in Zürich geschickt hätte, dann wäre was falsch gelaufen gewesen. Denn Karl Josef Anton Mittermaier kann man als Knotenpunkt in einem ausgedehnten wissenschaftlichen Netzwerk bezeichnen. Er gehörte zu denjenigen, die um Auskünfte angefragt wurden und Empfehlungen aussprachen. Schon im Februar 1854 wurde Mittermaier, ehemaliges Mitglied der Paulskirchen-Versammlung und Jura-Professor in Heidelberg, darüber informiert, was bevorstand. Nur drei Tage nachdem man im Parlament die Errichtung eines Polytechnikums beschlossen hatte, berichtete ihm J. J. Kern, der spätere Präsident des Schweizerischen Schulrates, über die Art und die zu erwartenden Ausmasse der Schule. Weiter schrieb er, er werde demnächst nach Karlsruhe fahren, "da man auf solchem Wege zuweilen manches erfährt, was der offizielle Verkehr mit den Behörden nicht bietet". Gründung geht um die Welt Aus Mittermaiers Sicht war die Gründung des Zürcher Polytechnikums ein kommunikatives Ereignis ersten Ranges. Die Aussicht auf eine beträchtliche Zahl von neuen Lehrstühlen bot für ihn nicht nur eine Chance, den eigenen Einflussbereich zu erweitern. Sie belebte auch sein bestehendes Netzwerk: gab Grund, sich zu positionieren und war Anlass, Einschätzungen auszutauschen. Der Nachlass Mittermaiers wird heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt und umfasst gut 12'000 Briefe, davon stammen nur etwa die Hälfte aus Deutschland und wenige von ihm selbst. Als Ausdruck wissenschaftlicher Kommunikation des 19. Jahrhunderts werden die Korrespondenzen inzwischen erforscht (1). Sie verdanken diese Aufmerksamkeit einem sozialwissenschaftlichen Interesse an Netzwerken. Networking im 19. Jahrhundert Während man heute Mittermaiers und Kerns Aktivitäten wahlweise als networking oder klientilistischen Filz bezeichnen würde, hat man das im 19. Jahrhundert noch nicht getan. Darf man dann heute für die Zeit der Polytechnikums-Gründung von Netzwerken sprechen? Diese Frage beantworten Historiker unterschiedlich. Pfropft man dem Jahr 1854 ein Schlagwort des Jahres 2004 auf, so hat das immerhin Vorteile. Man sieht Dinge in einem andern Licht.
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Auch wenn ihre Vorliebe für informelles Wissen und Insider-Informationen auf der Hand liegt, muss man den beiden Briefpartnern nicht zwingend vorwerfen, sie hätten Vetternwirtschaft betrieben. Bezeichnet man sie aber als Beziehungsmanager oder -broker, so rückt das Lebenswerk von Leuten in den Vordergrund, die sonst im Hintergrund bleiben. Ein weiterer Vorteil: man produziert eine neue Art von Geschichte. Etwa die Geschichte einer ETH, wie sie in der „Zielvereinbarung zwischen dem ETH-Rat und der ETH Zürich 2004-2007“ (2) dargestellt wird: „Das wichtigste Instrument zur Qualitätssicherung der ETH Zürich ist das Bestreben, ausschliesslich Kandidatinnen und Kandidaten auf ihre Professuren zu berufen, die auf ihrem Gebiet zur internationalen Spitze gehören und als Persönlichkeiten zu überzeugen wissen.“ Wie Exzellenz messen? Die Art und Weise, wie man die Exzellenz der Bewerber tatsächlich misst, stellt den schwierigsten Teil der Aufgabe dar und ist ohne Netzwerke nicht denkbar. Dass networking ein Erfolgsrezept ist, um mit persönlichen Verdiensten in die Geschichte einzugehen, können wir leider nicht garantieren. Herrn Mittermaier kannten Sie ja bis gerade eben auch nicht.
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