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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 30.11.2001 06:00

Neue Biomaterialien im Brennpunkt von Forschung, Wirtschaft und Ethik
Laborleber als Vision

Am heutigen Anlass der Materials-Alumni geht es um die Herstellung von Organen im Labor und um deren ethischen Problematik. Wie weit diese Vision bereits Gegenwart ist, erörtert ETH Life in einem Gespräch mit zwei Organisatoren.

Von Christoph Meier

Ein Laborleben für eine Laborleber. - In Zukunft könnte dieser Satz durchaus die Biographie eines Werkstoffingenieurs zusammenfassen. Denn beim Versuch Haut, Knochen, Knorpel und Blutgefässe mit Labormethoden entstehen zu lassen, konnten Werkstoffingenieure in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern bereits Erfolge vorweisen. Ob aber der Begriff "Organ" in sein berufliches Vokabular Einzug halten wird, daran zweifelt Matthias Lütolf vom Institut für Biomedizinische Technik der ETH-Zürich (1) unter der Leitung von Professor Jeffrey A. Hubbell. Ganze Organe sind für Lütolf, wenn auch keine Utopie, doch noch Zukunftsmusik. Zusammen mit seinem Forscher-Kollegen Simone Rizzi organisiert er die vierte "Reunion" der Materials-Alumni von heute Abend, die den Titel "Growing organs in the laboratory?" (2) trägt. Bei diesem öffentlichen Anlass werden die Entwicklungen der neuen Biomaterialien aus der Forschungs-, Wirtschafts- und ethischen Perspektive erörtert.

Vom Körper ins Labor und zurück

Doch was geschieht eigentlich, wenn Ingenieure Gewebe und dereinst vielleicht ganze Organe konstruieren, beziehungsweise regenerieren? Im Prinzip lässt sich ihre Arbeit in mehrere Phasen unterteilen. In einer ersten werden Zellen aus einem Organismus entnommen und im Labor in Kulturschalen vermehrt. Dies hat häufig zur Folge, dass die Zellen einen Teil ihrer ursprünglichen Eigenschaften verlieren und in einen weniger spezialisierten Zustand gelangen. Eine breitere Verwendbarkeit wird dadurch möglich.

In einem späteren Schritt werden die Zellen durch geeignete Wahl von Kulturbedingungen dazu gebracht, das gewünschte Gewebe zu bilden. Hier bedienen sich Forschende meist künstlicher Gerüste aus Biomaterialien, welche die Zellen durch ihre Gestalt in einer dreidimensionalen Umgebung organisieren und zudem Information in Form von das Wachstum stimulierenden Komponenten enthalten. Zum Schluss kann das gewonnene Gewebe wieder in den Organismus transplantiert werden. Das Transplantat aus Biomaterialien und Zellen wird natürlich so konstruiert, dass es sich nachher optimal integriert. Dies wird erreicht, indem biologisch aktive Substanzen wie Wachstumsfaktoren an das Gerüst gehängt werden. Das Gerüst selbst wird idealerweise mit der Zeit vom Körper abgebaut.

Informationstragende Biomaterialien

Auf diesem neuen Gebiet der Implantate, wo die eingebrachten Materialien bereits Träger biologischer Informationen sind, arbeiten auch Lütolf und Rizzi. "Wir produzieren ein Material, das vollständig synthetisch ist, aber gleichzeitig natürliche Eigenschaften besitzt", erklärt Matthias Lütolf. Die ETH-Forscher simulieren das Zell-umgebende Gerüst, die sogenannte extrazelluläre Matrix, mittels eines dreidimensionalen wasserhaltigen Netzwerks, das teilweise durch Eiweissfragmente aufgebaut ist. Diese Fragmente können im Körper durch die von den Zellen ausgeschiedenen Enzyme gespalten werden und führen dann zum lokalen Abbau des Biomaterials sowie dem gleichzeitigen Aufbau des natürlichen Gewebes. Neu an diesem Ansatz ist, dass das Gewebe nicht mehr ausserhalb des Körpers gezüchtet wird, sondern dass die Regenerationsfähigkeit des Körpers durch die künstliche Matrix lokal im Organismus unterstützt oder sogar neu in Gang gesetzt wird.

Lütolf erläutert, dass ihre Konstrukte zum Beispiel dort eingesetzt werden könnten, wo durch eine Schädigung Lücken im Knochen entstanden sind, die der Körper selber nicht mehr reparieren kann. Derzeit wird die Wirksamkeit ihrer Biomaterialien in Ratten und Schafen getestet, und erste Resultate sehen vielversprechend aus. Die Arbeit der beiden Zürcher Forscher unterscheidet sich darin, dass die Eiweiss-Anhängsel am Polymergerüst bei Lütolf chemisch hergestellt werden und bei Rizzi durch molekularbiologische Verfahren.


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M. LŸtolf, S. Rizzi
Gewebe-Ingenieure, die mithelfen, den Anlass "Growing organs in the laboratory?" zu organisieren: Matthias Lütolf und Simone Rizzi. gross

Konkurrenz zur Xenotransplantation?

Rizzi erkennt in seinem und Lütolfs Ansatz erhebliche Vorteile gegenüber dem Einsatz von natürlichen Biomaterialien wie zum Beispiel Kollagen oder Fibrin, da synthetische Materialien exakter definiert werden können. In diesem Zusammenhang kommt er auch auf einen der Gründe zu sprechen, wieso Ingenieure durchaus im medizinischen Bereich erfolgreich tätig geworden sind: "Synthetische Biomaterialien stellen eine Konkurrenz zu natürlichen Materialien dar. So können zum Beispiel synthetische Materialien bestimmte Eigenschaften von biologischen Materialien nachahmen, ohne dass die Gefahr besteht, dass sie mit dem BSE-Erreger oder anderem infektiösen Material kontaminiert sind." Und Lütolf doppelt nach: "Bei unseren Stoffen gibt es keine Black Box. Wir sollten wissen, was wir hineingeben." Das heisst aber nicht, dass die zwei Forscher nicht ein riesiges Potential im Zusammenführen von verschiedenen Techniken sehen. So könnte in Zukunft der Xenotransplantation mit der Kombination von Stammzelltechniken und Gewebe-Engineering mittels Biomaterialien eine ernsthafte Konkurrenz erwachsen.

Goldener Standard bleibt die Natur

Angesprochen darauf, ob sie sich als Optimierer der Natur verstehen, entgegnet Lütolf, dass der goldene Standard die Natur selbst sei. "Wir kommen immer von unten und schaffen es natürlich nicht, soviel Information in die Materialien hineinzubringen, wie es die Natur durch die Evolution in Millionen von Jahren geschafft hat." Sie seien auch noch auf einem so primitiven Level, dass die Idee des Menschen als Konstrukt für sie noch weit weg sei. Rizzi findet es aber trotzdem wichtig, dass bei der heute stattfindenden Veranstaltung auch der ethische Aspekt zur Diskussion gebracht wird. "Ich will nicht etwas entwickeln, das von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird." Auch Lütolf möchte die Sichtweise der Ethiker kennen lernen. Zur Vorsicht mahnen ihn auch Misserfolge in seinem Gebiet.

Eine Uebersicht, wo die Gewebe- beziehungsweise Organingenieure heute stehen und wie das in der Wirtschaft und Gesellschaft aufgenommen wird, kann sich heute Abend jeder selbst an der "Reunion" verschaffen. Eventuell bekommt der Traum einer Laborleber Nahrung.


Fussnoten:
(1) Institut für Biomedizinische Technik: www.biomed.ee.ethz.ch/
(2) Informationen zum Anlass "Growing organs in the laboratory?":www.alumni.mat.ethz.ch/reunion_info.html



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