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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 26.09.2002 06:00

Jubiläumsveranstaltung des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung
Den Einbruch der Technik zivilisieren

Letzten Dienstag feierte das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) (1) sein zehnjähriges Jubiläum in Bern. Als Hauptredner erläuterte der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk seine Sicht, wie technische Innovationen in unserer Gesellschaft eindringen und sie prägen.

Von Christoph Meier

"Le TA existe", war ein Fazit von René Longet bei seiner Ansprache am Jubiläumsanlass. Das ist auch mit sein Verdienst, denn 1982 unternahm Longet als damaliger SP-Nationalrat einen Vorstoss in der grossen Kammer des schweizerischen Parlaments, um eine Institution für Technologie-Folgenabschätzung anzuregen. 1991 erteilte dann der Bundesrat dem damaligen Schweizerischen Wissenschaftsrat (SWR) den Auftrag, ein Instrumentarium des Technology Assessment vorzubereiten, was dann ein Jahr später mit der Bildung der TA-Geschäftsstelle und einem dazugehörigen Leitungsausschuss auch gelang. Eine Konsolidierung erfuhr das Unternehmen 1999 mit der Änderung des Bundesgesetzes über die Forschung. Damals wurde der SWR durch den Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) ersetzt, zu dessen Aufgaben nun expressis verbis die Technologiefolgenabschätzung gehört.

Wankt das Gebäude der Wissenschaft

Was ist aber nun die Bilanz von zehn Jahren institutionalisierte Technologiefolgenabschätzung? An der Pressekonferenz kam der Leiter der TA-Geschäftsstelle, Sergio Bellucci, zum Schluss, dass der Bekanntheitsgrad zugenommen habe. Die TA-Swiss erreiche zwar nicht allzu viele Parlamentarier, doch dafür die wichtigen. In Zukunft solle aber noch vermehrt die Öffentlichkeit erreicht werden. Für Gottfried Schatz, den Präsidenten des SWTR, hat die TA den Dialog zwischen Forschungsinstitutionen und Öffentlichkeit kompetent geführt, was sich auch in mehreren Publikationen niederschlage. Er sieht in der Institution einen wichtigen Bundesgenossen und eine Stütze der Schweizerischen Innovationspolitik. Zurück gekehrt von Johannesburg, sah Longet in der nachhaltigen Entwicklung das wichtigste Kriterium bei der Auswahl neuer Technologien. Fast alle Redner wiesen darauf hin, dass eine Million Franken pro Jahr, den Anforderungen an die TA nicht genügen. Denn diese sind enorm, falls die Einschätzung von Schatz stimmt, dass das Gebäude der Wissenschaft einstürzen werde, wenn nicht das scharfe Nebeneinander von technologischem Fortschritt und Skeptizismus, Fundamentalismus sowie Aberglauben aufgehoben wird.

Die Zeit vor und nach dem Haartrockner

Eine "Titanenschlacht" zwischen technikoptimistischen und technikpessimistischen Tendenzen erkannte der Hauptredner des Jubiläums, Peter Sloterdijk. Der für seine provokativen Ansichten (2) bekannte deutsche Philosoph versuchte eine "Orientierung im Dschungel der Technologien" zu geben. Dafür verwendete er "Suggestivanalogien zur Einwanderung". Gemäss Sloterdijk sind technologische Innovationen Einwanderer, die zu Beginn oft auch nicht erkannt würden. In jedem Haushalt der westlichen Welt hätten sie sich einquartiert. In seinem Jargon ist ein Haartrockner eine Explikation, wahrgemachtes Wissen, und die Geschichte der Zivilisation lässt sich einteilen in eine Zeit vor und nach dem Haartrockner. Wenn auch das Beispiel nicht allzu ernst zu nehmen war, sollte es doch verdeutlichen, wie technologische Innovationen das "Haus des Seins" verändern.


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War der Hauptredner an der Jubiläumsveranstaltung des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung: der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk. gross

Mensch als Machtsammelstelle

Sloterdijk kritisierte die Technikphobie von heute als "Verwesungsprodukt der westlichen Metaphysik". Aus seiner Sicht geschieht uns mit neuer Technik nichts Fremdes, sondern wir erweitern mit dieser einfach unsere "Autopraxis". Die Gentechnik bezeichnete der Philosoph martialisch als den spektakulärsten Übergriff auf die "Zitadelle der Subjektivität". Das sei aber nur für jemanden beunruhigend, der falsche Einteilungen wie die in "Selbst" und "Umgebung" mache. Für Sloterdijk ist der Mensch nämlich nicht bei sich selbst und kann eher als eine "Machtsammelstelle" betrachtet werden. Optimistisch glaubt der Philosoph, dass "genetische Partituren" nicht mit Vergewaltigern zusammenarbeiten würden und dass die Biotechnik kooperative Individuen vorziehe. So sei auch kein "Oppenheimer der Gentechnik" in Sicht.

Sicherheits-Provider

Trotz soviel Technikverständigkeit liess Sloterdijk aber auch durchblicken, dass nach seinem Dafürhalten Naturwissenschaftler häufig den Fehlschluss machen, dass Entdecktes unabhängig von der Entdeckung existiere. Sich auf den Philosophen Bruno Latour beziehend, plädierte er für eine Sichtweise, in der zum Beispiel den Umständen einer Entdeckung mehr Gewicht beigemessen wird. Sloterdijk vergass aber auch nicht die Rolle der TA in seine Ausführungen mit einzubeziehen. Die TA sorge für einen zivilisierten Einwanderungsprozess. Als "Sicherheits-Provider" könne eine solche Institution helfen, den Stress abzubauen, der durch den permanenten Andrang von unübersichtlichen Innovationen entsteht. Das ist nicht wenig, den sogar der Spitzendenker Sloterdijk konzedierte, dass uns der göttliche Standpunkt fehle. Als am Nachmittag Mittelschulklassen ihre Erfahrungen mit Technik präsentierten, wurde wieder klar, dass es ausser philosophischen noch andere beachtenswerte Sichtweisen zum Thema gibt.


Literaturhinweise:
ETH Life Artikel zum zehnjährigen Bestehen der TA-Swiss "Basiswissen für die Politik": http://www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/TASWISSjubilaeum.html

Fussnoten:
(1) TA-Swiss: http://www.ta-swiss.ch/
(2) Vgl. zum Beispiel den Vortrag "Regeln für den Menschenpark" von Peter Sloterdijk: www.wlb-stuttgart.de/referate/philosoph/sloter.html



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