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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.02.2006 06:00

Deutlicher Temperaturanstieg in Zentralasien
Eis zeigt Klimaerwärmung

Ein schweizerisch-russisches Forschungsteam unter der Leitung des Paul Scherrer-Instituts hat mittels Gletscherbohrungen für das entlegene zentralasiatische Altai-Gebirge eine markante Erwärmung in den vergangenen 150 Jahren festgestellt. Die Resultate wurden jetzt publiziert.

Norbert Staub

Dieses Eis spricht Bände: In einem Bohrkern aus dem Belukha-Gletschers im 4506 Meter hohen Altai-Gebirge in Sibirien wurde der Nachweis dafür gefunden, dass sich das Klima in den letzten 150 Jahren im Vierländereck zwischen Russland, Kasachstan, China und der Mongolei markant erwärmt hat. Ein Team von PSI-Forschern und Mitgliedern des Instituts für Wasser- und Umweltprobleme im russischen Barnaul hatte im Sommer 2001 während einer zweiwöchigen Expedition in über 4'000 Metern Höhe einen Eiskernbohrer in den Gletscher getrieben – unter zum Teil sehr schwierigen Bedingungen. „Während der Bohrung lebte das Team für einige Tage auf etwa 4'000 Metern Höhe, wo Schneestürme und Gewitter unsere Arbeit zeitweise unterbrochen haben“, sagt Margit Schwikowski, Chemikerin am PSI und Leiterin des Forschungsprojekts. Mit dabei war auch der ETH-Glaziologe Martin Lüthi.

Mehr Schmelzschichten im Eis des Gletschers (helle Streifen): Hinweis auf wiederholte Tauwetter auf dessen Oberfläche. (Bild: PSI) gross

Abgelegenes, aber belastetes Gebiet

Der rund 140 Meter lange und 900 Kilo schwere Eiskern wurde dann in Polyethylenschläuche verpackt und in Styropor-Kisten mit Trockeneis gekühlt in die Schweiz transportiert. „Dank unserer russischen Forschungspartner funktionierte die Logistik sehr gut“, sagt die Projektleiterin. Die Ergebnisse der Analysen wurden jetzt im Journal of Geophysical Research publiziert. (1)Ziel des Unternehmens war es, die Entwicklung der Luftschadstoffe und der Temperaturen im Altai-Gebirge zu untersuchen, und zwar im Zeitraum von 1816 bis 2001. Das Gebiet befindet sich im Schnittpunkt grosser Quellen von Umweltverschmutzung: In Ost–Kasachstan und West-Sibirien waren besonders zu Sowjetzeiten grosse Schwerindustrie- und Bergbaukomplexe angesiedelt, und im kasachischen Semipalatinsk befand sich zwischen 1949 und 1989 eine berüchtigte Atomtestanlage, die vorwiegend militärischen Zwecken diente.

Sauerstoff-Isotope bringen Licht ins Dunkel

Das Forscherteam hat sich bei seinen Analysen die schwankenden Verhältnisse der Sauerstoff-Isotopen zunutze gemacht: „In der Natur kommt Sauerstoff am häufigsten in Form des Isotops O-16 vor; viel seltener ist das ebenfalls stabile Isotop O-18“, erklärt Margit Schwikowski gegenüber „ETH Life“. „Auf etwa 500 O-16-Isotope kommt ein O-18. Im Wasser ändert sich bei Verdampfungs- und Kondensationsprozessen das Verhältnis der verschiedenen Isotopen zueinander geringfügig – O-16 enthaltendes Wasser verdampft schneller. Diese Änderung ist zusätzlich abhängig von der Temperatur.“


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Zelt des Forschungsteams auf dem Bohrplatz in 4'000 Metern Höhe: der 140 Meter lange Bohrkern aus dem Belukha-Gletscher gibt Aufschluss über die Temperaturentwicklung der letzten 150 Jahre. (Bild: PSI) gross

Diese Dynamik schlage sich auch im Gletscher nieder, so die Chemikerin. Das Eis im Bohrkern dient den Forschern somit als Klimaarchiv. Denn es registriert nicht nur die jahreszeitlichen Schwankungen, sondern auch die Veränderungen über Jahrzehnte und Jahrhunderte. „Unsere Beobachtungen des Verhältnisses der stabilen Isotopen zeigen nun, dass sich die Temperatur in dieser Region in den vergangenen 150 Jahren um 2,5 Grad erhöht haben muss; das ist fast das Dreifache des für die Nordhemisphäre festgestellten Durchschnittswerts“, hält Margit Schwikowski fest.

Mehr Schmelzprozesse als früher

Die zweite wichtige Erkenntnis lässt sich am Bohrkern direkt ablesen. Die Forscher haben beobachtet, dass es im Oberflächenbereich des Gletschers in den letzten zehn Jahren erheblich mehr Schmelzprozesse gegeben hat als in den Jahren davor. Normalerweise bilde sich Gletschereis aus Firn, der allmählich zu Eis wird und im Zuge dessen Luftblasen einschliesst, sagt Margit Schwikowski. „Dieses Eis ist nicht durchsichtig. Aber unser Bohrkern weist für das vergangene Jahrzehnt klare Schmelzschichten in gehäufter Zahl auf. Das heisst, es war auf dem Gletscher wiederholt über Null Grad warm.“

Der Schnee auf der Oberfläche schmolz, sickerte in den Firn ein und gefror dort wieder. „Eine Konsequenz für die Forschung daraus ist, dass durch diese Schmelzprozesse die Gletscher als Archive für die Klimageschichte gefährdet sind“, so die Forscherin. Hat die Expeditionsleiterin dieses Ergebnis erwartet? „Der Befund ist nicht ganz unerwartet, aber in dieser Grössenordnung hat er uns doch überrascht“, sagt Margit Schwikowski. Aktuelle Analysen wie jene von Anfang Februar der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz zeigten übrigens für die Schweizer Gletscher einen analogen Trend: „Besonders seit Beginn der 80-er Jahre macht sich in den Messungen die Klimaerwärmung deutlich bemerkbar.“

Bei der Analyse der Konzentration der Luftschadstoffe zeigt sich, dass ab ungefähr 1940 erhöhte Werte von Sulfat, Nitrat oder Blei zu verzeichnen waren. Zurückgeführt wird dies auf die zunehmende Besiedelung Sibiriens sowie auf die Intensivierung des Bergbaus und der Industrie. Bereits ab 1980 nehmen laut den Erkenntnissen der Belukha-Bohrung die Schadstoffkonzentrationen im Eis wieder ab – und nicht erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991.


Fussnoten:
(1) Die detaillierten Resultate finden Sie unter: Journal of Geophysical Research, Volume 111, No. D3, February 2006; www.agu.org/pubs/current/jd



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