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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.09.2005 06:00

"Blättern und Browsen": Ausstellung 150 Jahre ETH-Bibliothek
"Drehscheibe der Wissensvermittlung"

Nicht nur die ETH als ganze, sondern auch die ETH-Bibliothek feiert ihr 150-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass schickt sie Interessierte mit der Ausstellung „Blättern und Browsen“ auf eine Reise durch ihre Geschichte – für einmal ausserhalb der ETH-Mauern, nämlich im Zürcher Stadthaus. Ein Gespräch mit ETH-Bibliotheks-Direktor Wolfram Neubauer über aktuelle und künftige Herausforderungen der Bibliothek.

Interview: Norbert Staub

Herr Neubauer, wie fleissig nutzen Sie selbst die ETH-Bibliothek?

Wolfram Neubauer: Ich nutze sie intensiv und regelmässig. Ich verfolge zum Beispiel, soweit ich dazu komme, die aktuelle wissenschaftliche Forschung. Hier einigermassen up to date zu sein, gehört meinem Verständnis nach zum Rüstzeug des Direktors der ETH-Bibliothek.

Was zeichnet sie denn heute aus, etwa im Vergleich mit anderen grossen Bibliotheken der Schweiz?

Wir stellen ja keine Universalbibliothek dar wie zum Beispiel die Zürcher Zentralbibliothek, sondern konzentrieren uns als Universitätsbibliothek auf die Gebiete Naturwissenschaften und Technik. Das entlastet uns von der Pflicht, schlicht alle Wissensgebiete zu bedienen. Man könnte es noch weiter eingrenzen: Wir sind eigentlich eine Forschungsbibliothek, deren Dienstleistungen auf diejenigen Studierenden zugeschnitten sind, die die Basis-Lehrveranstaltungen (bei denen als Grundlage oft Skripten zur Verfügung stehen) hinter sich und die erste Diplomhürde genommen haben. Ich darf sagen, dass wir in diesen Gebieten, gemessen an der Aktualität und Vollständigkeit der vorhandenen Literatur sowie am Digitalisierungsgrad des Zugriffs zumindest europaweit zu den führenden Institutionen gehören.

Wolfram Neubauer, promovierter Mineraloge und Chemiker, seit 1996 Direktor der ETH-Bibliothek. gross

Sie vergleichen sich da weniger mit Hochschulbibliotheken in der Nähe, sagen wir mit den TU in München oder Aachen?

Ja, unsere Benchmarks sind eher das MIT, das Imperial College London oder vergleichbare Einrichtungen.

Schon vor etwa vier Jahren haben wir uns zu den kommenden Herausforderungen der ETH-Bibliothek unterhalten. Damals stand der Megatrend zur Digitalisierung im Zentrum. Was hat sich seither geändert?

Der stürmische Wandel, der 2001 noch im Gang war, ist heute weitgehend Realität und Routine. Vor allem im technischen Bereich hat sich in dieser kurzen Zeit viel getan. Als Beispiel ist die E-Collection zu nennen, der in elektronischer Form vorliegende Output der Forschenden der ETH. Mittel- bis langfristig wird in diesem Bereich nichts mehr gedruckt werden. Was die Zeitschriften angeht, gibt es im wissenschaftlich-technischen Sektor kein relevantes Journal mehr, das nicht (auch) elektronisch publiziert wird (1). Hier hat die Realität sogar die kühnsten Prophezeiungen überholt. Bei den Büchern beginnt dieser Prozess jetzt. Die ETH-Bibliothek verfügt heute über gut 5'000 digitale Bücher, wobei der Schwerpunkt bei den Lehrbüchern liegt. E-Bücher kosten übrigens etwa gleich viel wie gedruckte.

Gibt es Gegentendenzen, digitale Ermüdungserscheinungen?

Nicht beim Gros der Wissenschaftler. Diese erkennen und nutzen die immensen Vorteile der elektronischen Bibliothek – Schnelligkeit und Ubiquität des Zugriffs, Vollständigkeit, Suchhilfen, Exzerpierfähigkeit – Dinge, die im Forschungsalltag eben entscheidend sind. Natürlich gibt es eine Bibliophilenindustrie für Sammler und Spezialisten, aber da handelt es sich um vergleichsweise wenige Personen.


ETH-Bibliothek im Stadthaus: ein Rundgang im zweiten Geschoss führt durch 150 Jahre im Dienst der Informationsvermittlung für Forschende und andere. gross

Sprechen wir kurz von Ihrem Sorgenkind, den jährlichen Preissteigerungen im Bereich Zeitschriften. Ist absehbar, dass sich die Ausgaben stabilisieren?

Leider nein. Wir versuchen laufend, Gegensteuer zu geben – etwa mit der Konzentration von ETH-Informationsangeboten. Das fängt aber die etwa acht Prozent jährlichen Preissteigerungen bei den Journalen keineswegs auf. Diese fallen ins Gewicht, denn die Ausgaben für die Zeitschriften machen etwa 70 Prozent unseres Anschaffungsetats aus. Aufgrund eines Schulleitungs-Entscheids konnten wir bisher die Zahl der Titel halten, doch dürften sich künftig erhebliche Probleme und Engpässe ergeben.

Könnte nicht die so genannte ‚Open Access’-Bewegung, die mit eigenen Zeitschriften für den freien Zugang zu Forschungspublikationen kämpft, kostendämpfend wirken?

Bis jetzt wurde aus Kostensicht nicht sehr viel erreicht. Die grossen, wissenschaftlich relevanten Zeitschiften wie „Science“ oder „Nature“ bestimmen den Markt und agieren nach kommerziellen Gesichtspunkten. Letztlich hat es die Forscher-Community in der Hand, hier Änderungen zu erreichen. Bis jetzt ist allerdings wenig passiert.

Welche grossen Aufgaben stehen jetzt für Sie an?

Die Geschichte wiederholt sich, aber unter neuen Vorzeichen: Wie vor 30 Jahren liegen relevante Informationen in unterschiedlichsten Formen vor; damals in Printform, heute elektronisch. Der Nutzer hat zwar das Angebot, ist bei der Selektion aber überfordert. Die wichtigste Aufgabe ist nun, die Angebote zu integrieren, für die Nutzer überschaubar und besser zugänglich zu machen. Als Zweites müssen wir die sogenannte „Information Literacy“ unserer Kunden verbessern, da das Google-Zeitalter die Fähigkeit, professionell zu recherchieren, eher eingeschränkt als gefördert hat. Die dritte grosse Aufgabe besteht in der Sicherung unserer elektronischen Daten für die Zukunft. Und als viertes müssen wir den Zugang zum wissenschaftlichen Output der Hochschule entschiedener und besser gestalten – wenn Sie so wollen: ihn besser vermarkten. Die neue Forschungsdatenbank, der entstehende Publikationenpool und das Portal MyETH sind wichtige erste Schritte in diese Richtung.

Das heisst aber auch: Ich betrete die Bibliothek mehr und mehr via meinen Computer, mittels einiger Clicks. Wird es sie in einigen Jahrzehnten physisch noch geben?

Sie wird sogar dringend gebraucht. Die Informationsflut nimmt weiter zu, und künftig wird es stark darauf ankommen, die Nutzer in ihren Bedürfnissen gezielt und individuell zu unterstützen. Als Informationsspeicher sowie als Drehscheibe der Wissensvermittlung und Inspiration wird die Bibliothek weiter ihren Platz haben. Hier spielen aber nicht unbedingt Bücher die zentrale Rolle, sondern die Kommunikation und der persönliche Austausch. Das künftige Lern- und Kongresszentrum in Science City mit der „Bibliothek der nächsten Generation“ soll diese Vision realisieren.


Ausstellung im Stadthaus: "Blättern und Browsen"

Die heute Freitag eröffnete Ausstellung zu 150 Jahren ETH-Bibliothek kam im Rahmen des ETH-Jubiläums zustande. Sie dauert bis zum 11. November. Zeitgenössische Zeugnisse, Objekte und multimediale Inszenierungen geben Einblicke in die Entwicklung von den Anfängen in zwei Zimmern bis zur öffentlichen Grossbibliothek. Beleuchtet wird die Geschichte des Bibliotheksbestands, der Entwicklung von Personal, Nutzung und Organisation des Wissens. Für Besucher besonders reizvoll sind etwa ein online Diskussionsforum für Besuchende zur Zukunft der ETH-Bibliothek, ein tönender Zettelkasten mit Geräuschen aus der Bibliothekswelt oder eine witzig gestaltete Video-Dokumentation. Zur Ausstellung ist in der Schriftenreihe A der ETH-Bibliothek eine Publikation erschienen (nst).




Literaturhinweise:
Weitere Informationen zur Ausstellung: Blättern_und_Browsen
Website der ETH-Bibliothek: www.ethbib.ethz.ch/

Fussnoten:
(1) Vgl. dazu das Buch von Alice Keller: Elektronische Zeitschriften. Eine Einführung, Wiesbaden 2001(Harassowitz). Alice Keller ist ehemalige Leiterin des Bereiches Bestandesentwicklung an der ETH-Bibliothek und heutige Leiterin des Collection Management der Bodleian Library in Oxford.



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