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Rubrik: Tagesberichte |
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Naturwissenschaft und die Ganzheit des Lebens Das Cortona-Experiment |
„Beauty“ hiess das Thema der diesjährigen Cortona-Woche im gleichnamigen toskanischen Städtchen. Das transdisziplinäre Sommercamp, das vor 20 Jahren zum ersten Mal stattfand, brachte letzte Woche wieder Personen aus den verschiedensten Bereichen zusammen. Ein Einblick und Rückblick auf diese einzigartige Veranstaltung der ETH. Cortona ist ein malerisches, mittelalterliches Städtchen in der Toskana. Cortona steht aber auch für ein Sommercamp der ETH (1). Hier kommen seit zwanzig Jahren Lernende und Lehrende der ETH Zürich mit Wissenschaftlerinnen, Philosophen, Künstlerinnen, Psychologen, Musikerinnen und Mönchen aus der ganzen Welt zusammen. Sie hören Vorträge und besuchen Theorie-Workshops sowie solche zu Kreativität oder Selbsterfahrung. „Ganz wichtig für Cortona ist auch, dass die verschiedenen Teilnehmenden eine Woche lang unter einem Dach zusammen leben. Das erlaubt den wichtigen informellen Austausch“, so Pier Luigi Luisi, der „Vater“ der Cortona-Woche. Eine weitere Spezialität des Sommercamps sei, dass auch die Referenten an den Workshops teilnehmen und wenn immer möglich die ganze Woche anwesend sind. „Es ist kein 'talk und run-away’-Symposium.“ In Cortona steht Spiritualität und Kunst gleichberechtigt neben Vorträgen naturwissenschaftlicher Exponenten. Organisatorin Marlen Karlen dazu: „Wir wollen eine Plattform bieten, auf der die Teilnehmenden mit verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen in Beziehung kommen und so ein Übungsfeld für interdisziplinäre Arbeitsweisen erhalten.“ Zur Vielfalt trägt auch bei, dass neben eingefleischten Cortona-Kennern jedes Jahr neue Personen die Woche mitgestalten. Dass das transdisziplinäre Experiment durchaus als Katalysator dienen kann, zeigt sich daran, dass das bewusst bunte Sommercamp in der Toskana der Ausgangspunkt war für den Dokumentarfilm „Monte Grande“ über den chilenischen Biologen und Philosophen Francisco Varela (2). Dieser hatte selber an Cortona-Wochen teilgenommen.
New Economy und barocke Blumensträusse Zum Jubiläum in diesem Jahr trafen sich wieder rund 120 Teilnehmende in der Toskana. „Für diese Woche suchten wir nach etwas, dass dem runden Geburtstag entspricht. Dabei stiessen wir auf "Beauty’“, erläutert Reinhard Nesper, ETH-Chemieprofessor und neuer Leiter der Cortona-Woche, die Themenwahl. Schönheit stellt dabei für Daniel Fueter, Direktor der Musikhochschule Zürich, einen „Stachel im Fleisch der New Economy“ dar. In einem als Variationenzyklus aufgebauten Vortrag plädierte der Musiker dafür, die Erfahrung der Schönheit zu nutzen, um sich gegen die Tendenz zu wehren, den Menschen auf eine „Human Resource“ zu reduzieren, die von selbständig gewordenen Finanzplanungen bestimmt wird. Auf die Suche nach der Schönheit in der bildenden Kunst begab sich Thomas Müllenbach. Der Künstler und Professor an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich erläuterte beispielsweise, wie im Barock die Blumensträusse in Stilleben mit Blumen aus verschiedenen Jahreszeiten zusammengesetzt wurden. Damit habe man einerseits eine ideale Schönheit schaffen und zugleich an die Vergänglichkeit erinnern wollen.
Wichtiges soll nicht geprüft werden Doch nicht nur Geisteswissenschafter öffneten Zugänge zur Schönheit in ihren Bereichen. Avshalom Elitzur aus Israel zeichnete nach, wie auch in der Physik das Bestreben nach Schönheit zu Erkenntnissen führte. Johannes Kepler und Albert Einstein dienten dabei als berühmte Beispiele. Elitzur selbst bekannte sich zu einer platonischen Auffassung, die davon ausgeht, dass hinter den Erscheinungen Ideen stehen, deren Form einer eleganten physikalischen Formel entsprechen oder gleichen kann.
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Ebenfalls als Platoniker gab sich Elitzurs Fachkollege Herbert Pietschmann zu erkennen. Der Physiker aus Wien referierte aber nicht über sein Fachgebiet, sondern darüber, ob „lernen schön sein kann“. Er vertrat dabei die Ansicht, dass das, was wichtig ist, nicht geprüft werden sollte. Denn vielfach sei es so, dass Geprüftes ins „Schaffnergedächtnis“ gelange, wo es nach der Kontrolle verschwinde. Rupert Sheldrake haut auf die Trommel In der diesjährigen Cortona-Woche erlebte man aber nicht nur diese und weitere Gedankenbäder. So informierte sich ein Materialingenieur seinen Aussagen gemäss mit Gewinn in einem Selbstwahrnehmungsworkshop bei einer Paartherapeutin über die Schönheit und den Schrecken von Paarbeziehungen, oder eine Chemikerin erfuhr, was Präsenz bei Theaterspielen bedeutet – Erfahrungen, die im normalen Studienalltag kaum Platz finden. Insgesamt zeigten sich fast alle Teilnehmenden begeistert oder zumindest angetan von dem von Toleranz und Offenheit geprägten Anlass. Als Sinnbild für den gelungen Austausch kann man eine Trommeldarbietung am Schlussabend betrachten. Bei dieser wirkte ganz selbstverständlich der durch seine umstrittene Theorie der morphischen Felder bekannt gewordene Biologe Rupert Sheldrake mit (3).
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