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Rubrik: Tagesberichte AGS-Tagung in Costa Rica "Ich machte nochmals das Vordiplom" |
Published: 28.03.2002 06:00 Modified: 28.03.2002 09:55 |
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Anlässlich des Treffens der AGS (Alliance of Global Sustainability) in Costa Rica hatte ETH-Life die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem AGS-Mitbegründer Jakob Nüesch. Der ehemalige ETH-Präsident äussert sich zur Gründung AGS und darüber, wie der Dritten Welt ein fairer Zugang zu den Agrarmärkten ermöglicht werden könnte. Das Interview führte Richard Brogle Die Gründung der AGS wurde während eines Schneesturmes beschlossen. Wie kam die AGS zustande?Ich bin überzeugt, dass es die Aufgabe der Universitäten ist, nicht nur als Wissensvermittler und Wissensverwalter tätig zu sein, sondern auch in kritischen Momenten eine wichtige gesellschaftliche Rolle zu spielen. Zu diesem Zweck schwebte mir eine Forschungskooperation von technischen Universitäten im Bereich der Nachhaltigkeit vor. Im Jahre 1993 diskutierte ich diese Idee mit dem Vizepräsident des MIT und dem Präsidenten der Tokyo-Universität. Schliesslich trafen wir uns Anfang 1994 in Boston. Wir führten hitzige Diskussionen. Die Amerikaner wollten noch viel genauer wissen, wie die AGS aussehen sollte, bevor sie mitmachen wollten, während die Japaner und wir gleich loslegen wollten. Man konnte sich nicht einigen und verabschiedete sich. Dann zog ein Schneesturm auf und brachte einen halben Meter Schnee, so dass der Flughafen geschlossen werden musste. Wir fuhren zurück ins MIT und begannen erneut mit den Diskussionen. Schliesslich einigten wir uns. Ohne Schneesturm hätte es folglich keine AGS gegeben?Gut möglich. Auf jeden Fall gaben uns die 24 Stunden Verspätung die nötige Ruhe für die Ausarbeitung der Zielsetzungen. Später trug ich das Projekt dann Stephan Schmidheiny vor. Bevor er uns zehn Millionen Dollar Starthilfe gab, schickte er mir seine Boys (Mitarbeiter) und die überprüften das Projekt auf Herz und Nieren. Alles wollten sie von mir wissen. Ich machte nochmals das Vordiplom. Aber das war gut so. Es zwang uns, eine ganz klare Projektplanung aufzubauen. In der AGS sind vier Universitäten der Ersten Welt zusammengeschlossen. Warum ist die Dritte Welt nicht vertreten?Wenn man bedenkt, dass die Amerikaner mit einem Anteil von vier Prozent an der Weltbevölkerung rund 25 Prozent der Energie auf der Erde verbrauchen, so wird klar, dass die grossen Ressourcenverbraucher in der Ersten Welt zu suchen sind. Mit dem AGS-Projekt schwebte mir keine Entwicklungshilfe vor, sondern ich wollte, dass sich die Erste Welt selber bei der Nase nimmt. Die Erste Welt muss lernen, mit den Ressourcen sparsamer umzugehen, damit noch genug für die Dritte Welt übrig bleibt. Es ist aber gut möglich, dass die nächste Universität, die der AGS beitritt, aus der Dritten Welt stammt. Bereits heute unterhalten wir Partnerschaften mit Universitäten aus der Dritten Welt und unterstützen Projekte aus diesen Ländern. Die Vizepräsidentin von Costa Rica hat in ihrer AGS-Eröffnungsrede das Beispiel einer chinesischen Mutter gebracht, die kaum genug Nahrung für ihre Kinder hat und sich daher nicht um Nachhaltigkeit kümmern kann. Wieso ist es trotz des technischen Fortschrittes bis heute nicht gelungen, jeden Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen und ihm eine minimale Gesundheitsversorgung zu garantieren?Es ist wirklich schrecklich, dass bis heute rund eine Milliarde Menschen unterernährt sind. Den Hilfsbedürftigen nur Nahrungsmittel zu verteilen, ist aber nur in Notsituationen eine gute Lösung. Wegen der langen Transportwege ist dieses Vorgehen auch nicht nachhaltig. Noch ein Punkt ist wichtig: für jeden Menschen ist es psychologisch unendlich schwierig, sich auf Dauer Essen schenken zu lassen. Diese Abhängigkeit greift die Menschenwürde fundamental an. Wir müssen Lösungen suchen, dass sich diese Menschen ihren Lebensunterhalt selber verdienen können. Ich verstehe nicht - warum um alles in der Welt - sich die WTO z. B. nicht dafür einsetzt, dass die Drittweltländer für ihre Agrarprodukte einen zollfreien Zugang zur ersten Welt erhalten.
Ich halte es für eine Illusion, dass der Markt allein unsere brennenden Probleme lösen kann. Gerade bei den Lebensmitteln ist der Markt grausam. Man kauft dann, wenn die Preise im Keller sind und die Bauern kaum mehr etwas verdienen. Wir müssen für die Dritte Welt neue Lösungen suchen. Bei uns setzt man ja die Bauern auch nicht dem vollen Wettbewerb aus. Warum kauft man nicht direkt bei den Bauern der Dritten Welt und gibt ihnen eine Abnahmegarantie? Was würden uns zehn Rappen mehr beim Kaffee stören? Wir werden lernen müssen, hie und da auf etwas zu verzichten. Die WTO muss einen Strukturwandel einleiten und neue Normen setzen. Es ist essentiell, dass die Umweltproblematik für die Menschen wieder wie vor dem Fall der Berliner Mauer höchste Priorität gewinnt. Gefordert sind auch die Regierungen. Sie müssen beispielsweise Anreize schaffen, dass die Menschen verbrauchsärmere Verkehrsmittel benützen. Ich bin überzeugt, dass es möglich ist, den Individualverkehr ohne grosse Komforteinbussen mit der Hälfte des Kohlenwasserstoffausstosses abzuwickeln. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten z. B. die Ressourcen verteuert werden. Am AGS-Kongress stellten Studierende der ETH das CLiPP-Projekt vor , das Flugstunden auf freiwilliger Basis besteuert und den Erlös in nachhaltige Projekte fliessen lässt. Was halten Sie vom CLiPP?Ich halte es für eine ausgezeichnete Studierendeninitiative. Es freut mich, dass sich Studentinnen und Studenten der ETH für die Nachhaltigkeit einsetzen. Haben Sie auch schon ein CLiPP-Ticket gekauft?Selbstverständlich.
References:
Footnotes:
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