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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 13.01.2004 06:00

Kurt Wüthrich über das EU-Forschungsförderungssystem
„So wird man nie Spitzenforschung machen können“

Mit scharfen Worten kritisierte ETH-Biophysikprofessor Kurt Wüthrich in einem Vortrag an der Universität St.Gallen das EU-Forschungsförderungssystem. Den Chemie-Nobelpreisträger eingeladen hatte die St.Gallische Naturwissenschaftliche Gesellschaft und der Verein „Berner" der HSG.

Von Michael Breu

Ruhig hatte der Vortrag im Audimax an der Universität St.Gallen begonnen – sein Titel: „Vom Hämoglobin zum Rinderwahnsinn“. 35 Jahre Grundlagenforschung in der Schweiz und in den USA liess der ETH-Biophysiker und Chemie-Nobelpreisträger Kurt Wüthrich (1) Revue passieren, er erklärte, wie das Antibiotikum Cyclosporin A in den Rezeptor eingebettet ist und wie die beiden „Schwänze" des Prion-Proteins – langkettige Aminosäuren – in Lösung wild um sich peitschen; im NMR-Spektrum und übersetzt mit der entsprechenden Software wird diese Bewegung auf dem Computerbildschirm sichtbar. „Nun aber möchte ich das Thema wechseln und mit ihnen diskutieren, wie Forschungsprojekte in der Schweiz lanciert und finanziert werden“, sagte Wüthrich vor knapp 300 Zuhörerinnen und Zuhörern. „Wenn man in der Schweiz ein so grosses Projekt wie die Erforschung der Kernresonanzspektroskopie in Angriff nimmt, dann bedingt dies, dass man einen Lehrstuhl besitzt und deshalb langfristige Investitionen tätigen kann. Sonst funktioniert es nicht; das Geld würde fehlen.“

87 Cents für das Scripps Institute

In den USA sei dies anders. Mit Vor- und Nachteilen. Nicht dass auf der anderen Seite des Atlantiks wissenschaftliche Probleme – im Falle der Prionenforschung die Krankheiten BSE und Creutzfeldt-Jakob – anders angegangen und gelöst würden, nein, die US-Forschung unterscheide sich von der Schweizerischen im Wesentlichen durch dessen Finanzierung. „Wer in den USA forscht, muss sich für jedes einzelne Projekt um die finanziellen Mittel bewerben“, sagte Wüthrich, der neben seiner Professur an der ETH auch am Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla arbeitet. Diese Gelder lege die US-Regierung quasi auf einer grünen Wiese bereit, auf der sich dann die besten Forscher streiten müssten. „Für jeden Dollar, den ich einwerbe, muss ich dem Scripps Research Institute 87 Cents abgeben“, sagte Wüthrich an der HSG. Jede Universität und jedes Forschungsinstitut sei deshalb davon abhängig, dass ihre Forscher selber Mittel beschaffen könnten. In der Schweiz hingegen werde jede ordentliche Professur von der Hochschule mit einem festen Budget ausgestattet, welches zu 70 bis 80 Prozent langfristig gebunden sei. Weiter sei es möglich, einen Beitrag vom Schweizerischen Nationalfonds zu erhalten.

„Vorteil des US-Systems ist, dass die Gelder nur den erfolgreichsten Forschern mit den besten, unmittelbar erfolgversprechenden Projekten zukommen“, sagte Wüthrich. So verhindere man die Verschleuderung von finanziellen Mitteln.


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Chemie-Nobelpreisträger Kurt Wüthrich über das Rücktrittsalter 65 und die Knacknüsse der "Lex Wüthrich" sowie die Forschungsfinanzierung in der Schweiz.

Einen anderen Ansatz verfolge die Schweiz, wo langfristige Investitionen auch in risikoreiche Projekte möglich sind; die Erforschung der NMR-Technik – es dauerte 15 Jahre bis erste Erfolge vorlagen – hätte heute in den USA wahrscheinlich kaum eine Chance.

Forschungsausgaben seit 1995 gleich geblieben

Positiv sei, dass jetzt in der Schweiz die Forschungsfinanzierung überdacht werde. Wüthrich betonte in seinem Vortrag, dass ein gekürzter Grundstock für jede Professur wissenschaftlich betrachtet von Vorteil sei, wenn andererseits die Möglichkeit bestünde, sich mit guten Projekten um zusätzliche Gelder zu bewerben. Wenig hält er hingegen von der „Demokratisierung der Wissenschaft", wie sie in der EU gelebt werde. „Da wird viel Geld nach Brüssel überwiesen und dort in Netzwerke eingespiesen anstatt sie den besten Forschern zuzusprechen. So wird man nie Spitzenforschung machen können.“ Gegenüber dem „St.Galler Tagblatt“ kritisierte Wüthrich zudem die seit 1995 in der Schweiz nominell gleich gebliebenen Mittel für die Grundlagenforschung, während sie sich in den USA verdoppelt hätten. „Wie sich das auswirkt auf die Zahl der Nobelpreise, das wird sich erst in Jahrzehnten zeigen.“

Ein weiterer Kritikpunkt am Schweizer Hochschulsystem sei der zwingende Altersrücktritt mit 65 Jahren. „In den USA ist es illegal, jemanden aus Altersgründen zum Rücktritt zu zwingen", sagte Wüthrich. „Hätte John Fenn mit 65 Jahren aufhören müssen, hätte er nie den Nobelpreis erhalten, denn seine wichtigsten Arbeiten veröffentlichte er als 73-jähriger." Fenn teilte 2002 zusammen mit Wüthrich und Koichi Tanaka den Chemie-Nobelpreis; der heute 86-jährige Amerikaner John Fenn wurde für seine Arbeiten über die Elektrospray-Ionisation ausgezeichnet. Zwar habe sich mit der Anpassung des ETH-Gesetzes – ergänzt um die „Lex Wüthrich" – bezüglich Pensionsalter einiges getan, dennoch: „Forschen nach der Pension ist bei uns kaum möglich, weil die meisten Gelder direkt an den Lehrstuhl gebunden sind und der Nationalfonds nur relativ bescheidene Mittel zur Verfügung stelle .“


Fussnoten:
(1) Homepage Kurt Wüthrich: www.mol.biol.ethz.ch/wuthrich/people/kw/index.html und www.scripps.edu/mb/wuthrich/



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