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Rubrik: Tagesberichte |
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Risikodiskurse: Manuel Eisner über die Kommunikation von Risiken "Katastrophen sind wichtige Einzelereignisse" |
"Viele Katastrophenprognosen haben den heilsamen Effekt, dass sie zu entschiedenem politischen Handeln führen", sagt der Soziologe Manuel Eisner. Dennoch können sie zu übertriebenen Ängsten führen. Der ehemalige ETH-Forscher im Gespräch mit ETH Life. Interview: Michael Breu Im Buch "Risikodiskurse" werfen Sie den Blick zurück auf knapp 50 Jahre Umweltpolitik. Die Beispiele Gewässerschutz, Kernenergie, Waldsterben und Gentech zeigen: Der Einfluss der Medien an der Wahrnehmung eines möglichen Umweltproblems ist gross. Welchen Einfluss haben die Medien heute? Manuel Eisner: Die Medien können die Wahrnehmung von Umweltproblemen nicht alleine bestimmen, sie sind aber ein zentraler Faktor. Kein modernes Umweltproblem kann von Laien eingeschätzt oder gar erlebt werden, ohne dass die Medien das entsprechende Problem kommunizieren. Viele Studien zeigen, dass Laien das Ausmass der Medienberichterstattung als Zeichen für die Gefährlichkeit des Problems betrachten – auch wenn dies nicht mit einer wissenschaftlichen Risikoeinschätzung übereinstimmt. Beispiel Acrylamid: Kaum wiesen Forscher den Schadstoff in Lebensmitteln nach, ging ein Sturm der Entrüstung durch die Medien, und die Konsumenten schienen zu glauben, von Chips und Pommes Krebs zu bekommen. Über andere Schadstoffe, die ebenfalls in unseren Lebensmitteln natürlich vorkommen, spricht kaum jemand – eine einseitige Wahrnehmung? Eisner: Sicherlich. Die Konjunktur des Themas Acrylamid seit April 2002 zeigt sehr schön die gesellschaftliche Eigendynamik des Umgangs mit Risiken. Völlig unvermittelt entsteht aufgrund einer einzelnen Studie und ihrer Verbreitung über die Medien ein Angstklima, durch das dann Wissenschaft und Politik mobilisiert werden. Mit einer realistischen Einschätzung relativer Risiken hat dies nicht zu tun. Impfen ist ein anderes Beispiel. Der Stabilisator Thiomersal, eine organische Quecksilber-Verbindung, wird heute dem Impfstoff mehrheitlich nicht mehr hinzugefügt; die Angst vor einem möglichen Schaden war zu gross. Wer nachrechnet, kommt zu einem erstaunlichen Resultat: Eine Dose Thunfisch enthält bis zu sechs Mal mehr Quecksilber als eine Impfung – und niemand protestiert. Weshalb diese ungleiche Wahrnehmung? Eisner: Ein gesichertes Ergebnis der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung ist, dass wir freiwillig eingegangene Risiken als weniger gravierend einschätzen als Risiken, die uns aufgezwungen werden. Thunfisch ist hierzulande ein Lebensmittel, das leicht auch vermieden werden kann. Impfungen hingegen werden dem Kind aufgezwungen, und die Eltern fühlen sich für den Entscheid verantwortlich. Allerdings: Nichts spricht dagegen, das morgen das Quecksilber im Thunfisch zum Risikothema werden könnte.
Der Sozialstatistiker Walter Krämer schreibt in seinem Buch "Die Panikmacher" von einem "Wahrnehmungsproblem", von einer falschen Risikoabwägung, die unseren Alltag prägt. Sie haben die psychologische Wahrnehmung untersucht. Weshalb sind wir in vielen Bereichen nicht fähig, eine objektive Risikoabwägung vorzunehmen? Eisner: Natürlich spielt eine anthropologische Komponente mit: Wir verfügen über keine Organe, um moderne Risiken sensorisch einzuschätzen. Und unsere Ängste sind eben sehr stark emotionale und gesellschaftliche Phänomene, die nur indirekt durch Wahrscheinlichkeitsberechnungen der Naturwissenschaft beeinflusst werden. Man muss aber gleichzeitig sagen, eine objektive Risikoeinschätzung gibt es nicht: Viele Risiken sind bedrohlich, weil sie in der Zukunft eintreten könnten. Wie wahrscheinlich dieses zukünftige Risiko ist und ob wir es akzeptieren wollen, kann von der Naturwissenschaft alleine nicht beantwortet werden.
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Der Umweltbereich scheint davon am stärksten betroffen. Gleich mehrmals müsste die Welt schon untergegangen sein, hätten die Prognosen von Greenpeace & Co. zugetroffen. Dennoch empört sich niemand über die vielen Falschprognosen. Weshalb? Eisner: Viele Katastrophenprognosen haben den sehr heilsamen Effekt, dass sie zu entschiedenem politischen Handeln führen. Wer weiss, welche Schäden in Luft, Wasser und Böden wir heute hätten, wenn es die Umweltbewegung nicht gegeben hätte? Ob man das möchte oder nicht: Neue Themen werde für die Politik nur relevant, wenn sie als massiv bedrohlich dargestellt werden. Und natürlich akzeptieren wir lieber eine Katastrophe, die nicht eintritt, als Sicherheitsbekenntnisse, die uns in die Katastrophe führen. Brauchen wir die "tägliche Katastrophe"? Eisner: Unsere Studie zeigt: Katastrophen sind überaus wichtige Einzelereignisse, die zwar naturwissenschaftlich betrachtet nicht so wichtig sein mögen, aber in der Gesellschaft als Mahnmale für ein Problem erscheinen und damit die Wahrnehmung prägen.
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