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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 20.08.2001 06:00

Zero-g Parabel Brogle schwerelos Schwerelosigkeit ESA
Vier ETH-Studis schwerelos

Die europäische Raumfahrtorganisation (ESA) wählte das Projekt von vier ETH-Studenten für einen Schwerelosigkeitsflug aus. Das Schöne daran: die vier können mitfliegen, wenn sie den Höhentest bestehen: Gar nicht so einfach, auf 9'000 Meter Höhe seinen Namen richtig zu schreiben.

Den zweiten Teil der Reportage mit Video finden Sie unter: Plötzlich schwebte ich zur Decke

Von Richard Brogle

Vlada will Astronaut werden. Nichts anderes, nur Astronaut. Vlada Stamenkovic ist Physikstudent im ersten Semester und hat soeben von einem Freund gehört, dass die europäische Raumfahrtorganisation (ESA) Schwerelosigkeitsflüge zu Forschungszwecken durchführt. Einmal im Raum zu schweben wie die Space-Shuttle-Besatzung, das ist mit einem fliegerischen Trick auch innerhalb der Erdatmosphäre möglich. Fliegt ein Flugzeug eine Parabel, dann ist es möglich, im Bauch des Flugzeuges während 20-25 Sekunden den Schwerelosigkeitszustand zu erleben. Während der Hälfte der Parabel stürzt das Flugzeug im freien Fall nach unten und gleicht mit zusätzlichem Schub den Luftwiderstand aus. Vlada ist fasziniert. Er schwänzt für ein paar Tage die Vorlesungen, um der Sache auf den Grund zu gehen. In der ETH-Administration weiss man nichts von solchen Flügen und verweist ihn schliesslich an den Austauschdienst. Vlada: "Dort ging man zuerst davon aus, dass ich ein Semester im Weltraum verbringen wollte." So hoch wollte er gar (noch) nicht heraus.

Druckkammer
Einer der vier ETH-Studenten während der Höhensimulation in der Druckkammer des Fliegerärztlichen Institut der Schweizer Luftwaffe. gross

Schliesslich fragt er direkt bei der ESA nach und erfährt, dass es wirklich einen Projektwettbewerb für Studenten-Parabelflüge gibt. Vier Studenten müssten sich einfach mit einem guten Experimentvorschlag bei der ESA bewerben. Gesagt, getan. In kurzer Zeit hat er drei weitere Studenten für das Projekt begeistert. Nun gehen Vlada, Georg Keller, Severin Walser und Gerd Fuchsberger zusammen auf die Suche nach einem geeigneten Experiment. Als Mentor stellt sich der ETH-Physikprofessor Ralph Eichler zur Verfügung, welcher mit Hilfe der PSI-Forscher Alex Zehnder und Peter Ming die Studenten unterstützt. Sie erfahren auch, dass es an der ETH eine Gruppe Weltraumbiologie gibt. Glücklicher Zufall: Dieses plant gerade ein Schwerelosigkeitsexperiment (vgl. Kasten), das im November 2001 in der MASER 9 Rakete mitfliegen soll. Die Biologen möchten wissen, wie rasch sich die beiden Testflüssigkeiten in der Schwerelosigkeit vermischen und sind daher froh, dass sich die Studenten anerbieten, die Testeinheit vorher in einem kürzeren Schwerelosigkeitsflug auszutesten. Marianne Cogoli von der Gruppe Weltraumbiologie: "Der grosse Enthusiasmus der vier Studenten hat mich sehr gefreut - es gibt noch Hoffnung für guten Nachwuchs."

Druckkammer
Auf simulierten 9'000 Meter über Meer fällt es den beiden Studenten schwer, einfache Rechnungen auszuführen. gross

Nun kommt die Knochenarbeit. Fast ihre ganze Freizeit investieren die vier jungen Forscher nun neben dem Studium in die Entwicklung eines Testsystems. Die ESA macht strenge Auflagen. Beispielsweise müssen alle Teile fixiert und so eingepackt sein, dass man sich während des Fluges nicht daran verletzen kann. Auch müssen der ESA genaue Spezifikationen über den Stromverbrauch geliefert werden. Noch ist nicht sicher, ob das Experiment akzeptiert wird. Nur die besten 30 Versuche können mitfliegen - und damit auch die Experimentatoren. Die vier sind fast aus dem Häuschen, als sie schliesslich erfahren, dass sie unter den Auserwählten sind.


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Zero-g von aussen
Wenn die Studenten alle Tests bestehen, dann können sie mit diesem Airbus den Schwerelosigkeitsflug absolvieren. (Bild: ESA) gross

Jetzt bleiben aber immer noch zwei Hürden. Die medizinischen Untersuchungen. Die Studenten müssen sich zuerst von einem Vertrauensarzt des Bundesamtes für Zivilluftfahrt wie normale Piloten untersuchen lassen. Aber die ESA verlangt noch mehr, als sonst von Piloten gefordert wird: auch einen Test in einer Unterdruckkammer müssen sie nachweisen. Also nichts wie ab zum Fliegerärztlichen Institut der Schweizer Luftwaffe. Hier erfahren die vier zuerst in einer interessanten Theorielektion, wie sich Sauerstoffmangel und die Dekompressionskrankheit beim Menschen bemerkbar machen. Der Fliegerarzt Samuel Huber warnt die Studenten: "Sie werden selber kaum merken, dass sie die Kontrolle langsam über sich verlieren." Dann geht's zusammen mit dem Arzt in die Unterdruckkammer. Langsam wird die Luft aus der Kammer gepumpt und so eine Höhe von 2'500 Metern über Meer simuliert. Die Studenten müssen während des ganzen Tests einfache Additionen und Multiplikationen ausführen. Noch kein Problem.

Schrittweise geht es nun auf eine Höhe von rund 7'000 Metern. Jetzt bekommen die ersten einen schweren Kopf und haben sichtlich Mühe, 47 mal 65 richtig auszurechnen, "was mir sonst nicht so schwer fällt" meint Vlada. Aber noch ist der Gipfel nicht erreicht. Jetzt geht es auf die Höhe des Mount Everest: 8848 Meter über Meer. Noch ist Vlada guten Mutes, dass er sämtliche Aufgaben richtig lösen kann. Meine Adresse? Nichts leichter als das: Sprensenbühlstr. notiert Vlada. Als er dann bei Normaldruck seine Adresse betrachtet traut er seinen Augen nicht: was steht da auf seinem Blatt? "Sprereneseensenbühlstr". Aber er ist nicht der Einzige, der die einfachsten Aufgaben nicht mehr ausführen kann. Auch der Autor dieses Berichtes scheitert auf knapp 9'000 Metern mit der Aufgabe, seinen eigenen Nachnamen fehlerfrei zu schreiben. "Früher oder später verlieren alle die Kontrolle über sich", meint der Fliegerarzt. Alle haben realisiert, was es heisst, nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt zu werden. Somit ist das Ziel des Kurses erreicht. Glücklich verlassen die vier ETH-Studenten mit dem Kurszertifikat das Fliegerärztliche Institut. Jetzt haben sie endlich alle Papiere für den Flug! Schon planen sie die Reise nach Bordeaux, wo der Flug stattfinden wird. Der Fortsetzungsbericht: Plötzlich schwebte ich zur Decke


Das Experiment

Das Studentenexperiment, das während des Parabelfluges der ESA durchgeführt wird, testet die Funktion der Apparatur "Lidia" unter Bedingungen der Schwerelosigkeit. "Lidia" soll das Verhalten von T-Lymphocyten in vitro (im Reagenzglas) erforschen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Schwerelosigkeit einen gravierenden Einfluss auf die Aktivierung der T-Lymphocyten hat. Aus den neuen Resultaten erhofft man sich ein besseres Verständnis des menschlichen Abwehrsystems. Solche Erkenntnisse sind von grosser Wichtigkeit für einen längeren Flug im All, beispielsweise für einen Flug zum Mars.




Literaturhinweise:
Die Internetseite der ESA für Studenten: www.estec.esa.nl/outreach/
Die Gruppe Weltraumbiologie der ETH Zürich: www.spacebiol.ethz.ch/
Auch die Sendung MTW wird über den Parabelflug berichten: www.sfdrs.ch/sendungen/mtw



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