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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 19.04.2006 06:00

Erfolgreiches Sonnenphysik-Experiment in der Sahara
SoFiEs Weltreise

Waw an-Namus, Libyen, 29. März 2006: Während rundum Hunderte von Touristen mit eigenen Augen den Beginn der totalen Sonnenfinsternis erleben, sitzen ETH-Physiker in ihrem Zelt und starren auf ihre Bildschirme. Plötzlich erschallen Jubelschreie. Sehen sie sich etwa ausgerechnet jetzt ein Fussballspiel an? Mitnichten: Ihnen ist soeben die allererste Messung eines polarisierten Flash-Spektrums geglückt.

Christian Thalmann

Zu diesem Erfolg hat ein langer Weg geführt, der etwas mehr als ein Jahr zuvor begann. Die Astrophysiker unter Jan Stenflo entwarfen, bauten und testeten unter Zeitdruck eigens ein Instrument für diesen Zweck. Dann wurde SoFiE, wie das SonnenFinsternis-Experiment mittlerweile getauft worden war, in Kisten verpackt und mitsamt ihren Erbauern in die Wüste geschickt.(1) In Tripolis wurde die SoFiE-Fracht nur gegen erpresstes "Lösegeld" ausgehändigt, was jedoch die einzige schlechte Erfahrung mit den sonst freundlichen Libyern bleiben sollte. Die Weiterreise ins Zeltlager im Herzen der Sahara verzögerte sich, weil ein Sandsturm einen Teil der dortigen Infrastruktur zerstört hatte; dann jedoch brachten ein militärisches Frachtflugzeug und mehrere Helikopter die ETH-Physiker zusammen mit Wissenschaftlern aus aller Welt nach "Eclipse City".

Im Bauch eines libyschen Militärtransporters werden Wissenschaftler aus aller Welt in die Wüste geflogen. gross

Die Woche im Zeltlager an einem der abgelegensten Orten der Welt verbrachte das Team damit, das Teleskop so stabil wie möglich im Boden zu verankern, Stromversorgung, Elektronik und Computer zu installieren, Eich- und Testmessungen durchzuführen, das Timing der Handgriffe für den Ernstfall einzuüben und dabei auch noch aktiv am internationalen Symposium teilzunehmen, das Stenflo zusammen mit Osama Shalabiea von der Universität Sebha organisiert hatte und das vor Ort abgehalten wurde. Kaum blieb Zeit, vor der kurzen Schlafperiode noch den perfekt klaren Sternenhimmel zu geniessen. An der von der Universität Sebha organisierten Infrastruktur gab es kaum etwas zu bemängeln; doch fror man am Morgen im SoFiE-Zelt ohne eine dicke Windjacke, während es sich am Tag bis auf 40 Grad erhitzen konnte. Ein kleiner Sandsturm zwischendurch bedeckte alle Geräte mit einer Staubschicht. - Wozu das alles?

Vom Sonnen-Schnitz über die Sichel zur Finsternis: das mittlere Bild markiert die zehn Sekunden dauernde Flash-Phase, von deren Registrierung in hoher zeitlicher Auflösung die ETH-Astrophsiker nun Aufschlüsse über die Chromosphäre erwarten. gross

Skalpellschnitt durch die Sonnenhaut

Die Sonne hat keine feste Oberfläche wie die Erde. Das glühende Gas ihrer Atmosphäre wird gegen innen einfach dichter und dadurch undurchsichtiger. Der Übergang von "fast transparent" zu "undurchsichtig" findet aber in einer relativ begrenzten Schicht von etwa 400 km Dicke statt, der sogenannten Photosphäre. Von dort stammt das meiste Licht, das wir von der Sonne sehen. Für die Sonnenphysik ist die unmittelbar darüberliegende Schicht, die reich strukturierte Chromosphäre, von besonderem Interesse. Deren schwaches Leuchten wird von der Photosphäre normalerweise um Grössenordnungen überstrahlt.


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Von der Wüste gezeichnet: Das SoFiE-Team vor dem Arbeitszelt. Von links nach rechts: Alex Feller, Renzo Ramelli, das SoFiE-Instrument, Daniel Gisler und Jan Stenflo. Im Hintergrund rechts ist ausserdem eine der Strohhütten zu sehen, in denen die Physiker hausten. gross

Unmittelbar vor einer totalen Sonnenfinsternis bietet sich jedoch ein rarer Einblick: Der Mond deckt die Photosphäre bereits vollständig ab, während von der Chromosphäre noch eine feine Sichel zu sehen ist. Es dauert rund zehn Sekunden - die sogenannte Flash-Phase - bis sich der Mondrand über diesen letzten Rest geschoben hat. "Filmt" man währenddessen die Sichel mit hoher zeitlicher Auflösung, kann man daraus mit hoher räumlicher Auflösung auf die Schichtung der Chromosphäre zurückschliessen.

Es ist nicht praktikabel, die Abdeckung durch den Mond mit einer einfachen Blende im Teleskop simulieren. Einerseits kann man eine solche Konstruktion kaum von Streulicht von der viel helleren Photosphäre freihalten. Des Weiteren wird das Bild der Sonne auf dem Weg durch die Erdatmosphäre durch Turbulenzen und Druckgradienten verwackelt und verzerrt, was das präzise Plazieren der Blende verunmöglicht - der Mond wirkt jedoch auf die noch einwandfreien Lichtwellen im Vakuum ein.

Frische Daten für die Sonnenphysik

SoFiE versucht, aus diesen zehn Sekunden möglichst viel Information zu extrahieren. Dazu wird das Licht in ein Spektrum ("Regenbogen") aufgespalten. Zudem teilt eine Savart-Platte das Spektrum in zwei Komponenten, die parallel und senkrecht zum Sonnenrand polarisiert sind. So kann man sowohl die Intensität als auch die Polarisation des Lichtes in Abhängigkeit der Wellenlänge ("Farbe") messen.

Die Zusammensetzung der Sonnenatmosphäre verrät sich durch die unzähligen Absorptions- und Emissionslinien, die im Spektrum erkennbar sind. Deren Polarisationssignaturen geben wertvolle Auskunft über die dortigen thermodynamischen und magnetischen Zustände. Spektropolarimetrie ist deshalb schon lange ein wichtiges Werkzeug der Sonnenphysik; bisher hat sich aber damit noch niemand an einen Flash gewagt.

Mission erfolgreich

Obwohl die Astrophysiker der ETH vorderhand keine Möglichkeit hatten, den Flash sinnvoll zu simulieren und so die Funktionstüchtigkeit von SoFiE zu testen, lief beim Ernstfall alles wie am Schnürchen: Das Flashspektrum wurde in der Tat gemessen und übertraf die Erwartungen. Wie viele neue Erkenntnisse für die Physik in den Daten stecken, werden die nächsten Monate zeigen.

SoFiEs Weltreise ist übrigens noch nicht beendet. Die nächste brauchbare totale Sonnenfinsternis wird 2008 in Sibirien und der Mongolei zu liegen kommen, und SoFiE wird voraussichtlich wieder mit dabei sein.


Symposium in der Wüste

Das vor Ort abgehaltene Symposium, an dem Wissenschaftler aus 11 Ländern über Astrophysik, Solarenergienutzung und Wissenschaftsgeschichte sprachen, verlief ebenfalls sehr positiv.(2) Unter anderem wurde zwischen der libyschen Universität Sebha und dem von der ETH mitfinanzierten Sonnenobservatorium IRSOL im Tessin eine Vereinbarung unterschrieben, das den Weg für eine fruchtbare Zusammenarbeit der Institute ebnet.(3) Am IRSOL nutzten Svetlana Berdyugina und Michele Bianda die immerhin partielle Sonnenfinsternis ebenfalls zu Forschungszwecken: Da der Mondrand eine klare, scharfe Kante auf der Sonne als Referenz liefert, können die atmosphärischen Bildstörungen in unmittelbarer Nähe des Mondrandes rechnerisch rückgängig gemacht werden, was eine Beobachtung der Sonnenoberfläche mit sonst unerreichbar guter Auflösung erlaubt.




Fussnoten:
(1) Siehe zu selben Thema den "ETH Life"-Bericht "Jagd auf den Flash" vom 27. März 2006: www.ethlife.ethz.ch/articles/news/eclipsepreview.html
(2) Weitere Informationen zu dieser Tagung finden Sie unter: www.sebhau.net/spse2006/
(3) Mehr zum Sonnenobservatorium IRSOL: www.irsol.ch/



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