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Rubrik: Tagesberichte |
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TAICON: Neue Initiative zu Erforschung sozialer Interaktion Netzwerke – geheimnisvolle Getriebe |
Ein bekannt-unbekanntes Phänomen soll systematischer erforscht werden: das menschliche Kollektiv. Forschende der ETH und der Universität Harvard haben dazu TAICON aus der Taufe gehoben, die „Transatlantische Initiative zu komplexen Organisationen und Netzwerken“. Am 12. Januar 2005 fand an der ETH ihr erster Anlass statt. Es gibt Dinge, von denen wir uns ein so eindeutiges Bild machen, dass erst der zweite Blick ihre wahre Vertracktheit offenbart. Ein solches Phänomen sind gesellschaftliche Gruppen. So glauben wir oft bald einmal bestimmen zu können, was den Kitt einer bestimmten Gemeinschaft von Menschen ausmacht. Wir massen uns zudem immer wieder an zu wissen, warum ein Kollektiv mit einem anderen harmoniert – oder wie es dazu kommt, dass es zwischen zwei Gruppen kriselt. In Tat und Wahrheit basiert unser Wissen zumeist auf Einzelphänomenen wie dem Nordirland-Konflikt, Israel/Palästina, oder, um ein Erfolgsmodell für ein Staatsgebilde mit mehreren „Nationalitäten“ zu nehmen: der Schweiz. Für den individuellen Fall mögen die Gründe für Funktion oder Dysfunktion jeweils greifbar sein: etwa die geschichtliche Entwicklung, ökonomische, kulturelle oder religiöse Frontstellungen. Es wäre jedoch ein Fehlschluss, in solchen Analysen auch gleich Gesetzmässigkeiten erkennen zu wollen. Methodik: noch zuwenig universell Es mag überraschen: Auch für die Sozialwissenschaften sind die Muster, nach welchen in der sozialen Welt gehandelt wird, oft umstritten, und es ist unklar, wie sie zusammenhängen. Es fehlt bisher eine verlässliche wissenschaftliche Methodologie, welche solche Interaktionen standardisiert. Die also dem Sand im geheimnisvollen Getriebe solcher Netzwerke auf die Spur kommt – oder dem Schmiermittel, das sie am Laufen hält. „Die Verfahren müssten zum Beispiel in der Lage sein, ohne den Halt, den das Denken in Ländergrenzen bietet, auszukommen – weil die Bedeutung dieser Grenzen im Zeitalter global aktiver Netzwerke rapide gesunken ist“, sagt Lars-Erik Cederman, seit 2003 an der ETH Professor für Internationale Konfliktforschung.
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Die Entwicklung solcher Methoden zu fördern, ist langfristig die Absicht von TAICON (1), einer Initiative mit neuen Ansätzen zur Erforschung komplexer Organisationen und Netzwerke. Angestossen wurde sie von Cederman und David Lazer, Politologie-Professor in Harvard (2). TAICON soll eine Plattform werden, wo drei Communities zusammenkommen: Komplexitätsforscher und Netzwerkspezialisten, Sozial- und Naturwissenschaften, sowie Forschende von beiden Seiten des Atlantiks. „Computermodelle erlauben heute, solch überaus komplexe Systeme wie soziale Cluster es sind, besser zu modellieren. Diese Chance müssen wir nutzen“, sagt Cederman, der mittels Computersimulationen unter anderem Entstehen und Zerfall von Staaten erforscht hat. An der ETH beschäftigt sich auch Frank Schweitzer, seit 2004 Professor für Systemgestaltung am neuen Departement Management, Ökonomie und Technologie, mit der Erforschung komplexer Kollektive (3). Aktueller Forschungsschwerpunkt seiner Gruppe ist die Anwendung der Theorie komplexer Systeme auf die Dynamik von Organisationen. Auch Schweitzer legt – neben der Entwicklung formaler Konzepte – grossen Wert auf quantitative Modellierungen und Computersimulationen. Bei TAICON wird er sich mit engagieren. Denken ohne Scheuklappen Lars-Erik Cedermans Anspruch ist es, die abstrakten, wenig zielführenden Makro-Variablen wie etwa ‚Nation’ oder ‚Wirtschaftliche Lage’ zu relativieren, ohne die Sicht und das Interesse des Individuums zu stark zu gewichten. Grundlage der Analyse müssten grosse Mengen erhobener Detaildaten bilden. „Bausteine zu einem realistischen Bild über ein bestimmtes Gebiet können uns heute beipielsweise geografische Informationssysteme und die räumliche Statistik liefern“, meint Cederman. Doch unter Sozialwissenschaftlern gilt der Raum als wissenschaftliche Grösse bis heute als Hypothek: Denn für die NS-Ideologie war vermeintlich fehlender Raum eine der Triebfedern für die Vernichtungsfeldzüge im Osten Europas. Dessen eingedenk sei es jedoch an der Zeit, dieses für die Interaktion zwischen Gruppen fraglos bedeutsame Kriterium nicht mehr auszublenden, findet der Konfliktforscher. Konflikte, Märkte, Verkehr Raum, Zeit, (Gruppen-)Identität: die Erforschung sozialer Netzwerke werde unter diesen Schlüsselbegriffen noch eine Menge Arbeit vorfinden. Im Ergebnis könnte diese Forschung nicht nur Konfliktmechanismen ganzer Regionen wie des Kaukasus erhellen, sondern auch klären helfen, wie zum Beispiel Märkte oder Verkehrssysteme funktionieren, ist Cederman überzeugt. Zudem treibt ein Forschungs-immanenter Impuls den Vorstoss an: „Wir wollen dazu beitragen, den Graben zwischen tradiertem sozialwissenschaftlichem Vorgehen und den naturwissenschaftlichen Methoden zu schliessen“, so Cederman. TAICON: insofern auch ein Selbstversuch der wissenschaftlichen Community? „Ja“, meint der Mitinitiant, „und ich bin gespannt, wie er herauskommt.“ |
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