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Publiziert: 10.04.2003 06:00

Ulrike Felt über "Zukunftsszenarien als wissenschaftliche Ressource"
Trügerische Hoffnung

Der Betrugsfall Schön hat im Jahr 2002 die Wissenschaftsgemeinde erschüttert. Das Zusammenspiel von Politik, Medien und Wissenschaft fördere heute mehr als in der Vergangenheit unrealistische Hoffnungen auf Forschungsdurchbrüche und könne das wissenschaftliche Kontrollsystem an die Grenze seiner Funktionsfähigkeit bringen, meint die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt.

Von Norbert Staub

Der Erfolg schien ihm in den Schoss zu fallen. Mit Staunen nahm die Forschergemeinde zwischen 1998 und 2001 zur Kenntnis, wie der junge deutsche Physiker Jan Hendrik Schön das Gebiet der Supraleitung revolutionierte - mit immer spektakuläreren Resultaten und einem enormen Publikationsoutput. Die Anerkennung blieb nicht aus. Schön erhielt renommierte Preise, unter anderem den Otto-Klung-Weberbank-Preis, erst 32-jährig, stand ihm der Direktionsposten eines Max-Planck-Instituts in Aussicht, und man begann vom Nobelpreis zu munkeln. Dann, Mitte 2002, der Absturz: Der zum Star Aufgestiegene sieht sich mit der Anschuldigung des Betrugs konfrontiert. Eine Expertenkommission bestätigt „scientific misconduct“ in zahlreichen Fällen. Es folgt die Massregelung des Fehlbaren (und nicht seiner Co-Autoren) und dessen Entlassung.

Analyse ohne Moralin

Nicht um diesen spezifischen Fall, sondern um die Bedingungen im Wissenschaftsbetrieb, die ihn in seinem Ausmass möglich gemacht hatten, ging es am Dienstag Abend der österreichischen Wissenschaftsforscherin und promovierten Physikerin Ulrike Felt bei ihrer Antrittsvorlesung als wissenschaftlicher Gast des Sommersemesters am Collegium Helveticum. Ulrike Felt beschäftigt sich seit längerem mit der Rolle der Zukunftserwartung in der naturwissenschaftlichen Spitzenforschung, und hier im besonderen mit dem exponierten, von Medien, Ökonomie und (Forschungs-) Politik seit der zweiten Hälfte der 80er-Jahre gleichermassen hoch gehandelten Feld der Hochtemperatur-Supraleitung, also des praktisch verlustfreien Stromflusses in bestimmten Materialien bei verhältnismässig hohen Temperaturen.

Wie konnte es also dazu kommen, dass ein Forscher während mehreren Jahren betrog und dennoch Stufe um Stufe zum wissenschaftlichen Olymp erklomm? In ihrem erklärtermassen noch unvollständigen Analyseversuch löste die Referentin sich schnell von der moralischen Ebene. Schuldzuweisungen nach dem Muster „The good, the bad and the ugly“ würden den Blick auf die systembedingten Komponenten des Phänomens verstellen, meinte Ulrike Felt. Vorweg genommen sei: Dem wurde in der auf das Referat folgenden Diskussion von Forscherseite widersprochen. Menschliche Schwächen wie den Hang zum Betrug gebe es wie überall auch in der Wissenschaft. Der Forschung als System sei jedoch eines zugute zu halten: es sei schlicht unmöglich, als Wissenschaftler auf die Länge mit Betrug durchzukommen.

Medien schüren Erwartungen

Wie dem auch sei; Ulrike Felt hinterfragte zunächst die Rolle der Medien, insbesondere jene der Wissenschaftsjournale „Science“ und „Nature“. Diese beiden weltweit bekanntesten naturwissenschaftlichen Zeitschriften nähmen eine problematische Doppelfunktion ein: sie seien einerseits Plattform für die Publikation von Forschungsresultaten. Andererseits kommentierten sie in ihren Spalten das Forschungsgeschehen und bestimmen, so Ulrike Felt, das Klima in entscheidender Weise mit. Das fördere die Bereitschaft, unkritisch zu sein. So habe „Science“ 2001 die Nanotechnologie zum „Breakthrough of the Year“ hochstilisiert und damit Hoffnungen geschürt, die von der Forschergemeinde verinnerlicht worden seien. Die Medien, auch die Massenmedien, seien heute begehrte Orte der Positionierung für Forschende. Medien seien mit ihrer Omnipräsenz „Fabriken für Zukunftsszenarien“ und als solche von kaum zu überschätzender Rückwirkung auf die Wissenschaft selbst.

Glaube ans Genie

Im weiteren nahm Frau Felt die Mechanismen des Wissenschaftsbetriebs selbst unter die Lupe. Die Glaubwürdigkeit eines jungen Forschers sei nicht unbedingt nur von der Qualität seiner Publikationen selbst abhängig, sondern auch vom Geschick, sich im relativ formalisierten und Status-orientierten Wissenschaftsbetrieb zu etablieren.


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Kritischer Blick auf den Wissenschaftsbetrieb: Die Wiener Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt ist wissenschaftlicher Gast am Collegium Helveticum. gross

Publikationen in angesehenen Zeitschriften, das Erlangen bestimmter Preise und die Aufmerksamkeit der Massenmedien schärften anscheinend den kritischen Blick der Kollegen für die Arbeit des Forschers nicht, sondern öffneten paradoxerweise dem Irrationalen Tür und Tor. Im Zusammenhang mit dem erwähnten Fall ortete Ulrike Felt einen hartnäckigen „Glauben ans Genie“. Auch hinter die Rolle der Gutachter setzte Ulrike Felt ein Fragezeichen. Der erwähnte Fall zeige, dass die wissenschaftlichen Kontrollmechanismen nicht über jeden Zweifel erhaben sind.

Grauzonen im Laboralltag

Bei genauem Hinsehen seien beim scheinbar klaren Regelwerk für das wissenschaftliche Arbeiten Grauzonen und Unsicherheiten auszumachen, sagte Ulrike Felt, etwa bei der zentralen Frage der Beweisführung. Es gebe zwar Laborbücher und explizite Regeln, wie bei Experimenten mit Rohdaten zu verfahren sei, aber eben auch implizite. Ab wann dürfe ein Forscher zum Beispiel sagen: „Das ist ein Ausreisser“ und den ermittelten Wert aus seiner Liste streichen? Und wer trägt die Verantwortung für die Ergebnisse? Gerade in diesem Punkt gebe es in der vermeintlich globalisierten Forschung noch starke nationale Unterschiede. In Deutschland würden alle Autoren eines Papers als verantwortlich wahrgenommen, in den USA hingegen würden Abstufungen zwischen Datenproduzenten und Beiträgern anderer Teile eines Papers gemacht.

Überzeugen durch Versprechen

In der Forschungspolitik und infolgedessen der Forschungsfinanzierung beobachtet die Referentin einen problematischen Trend zur Marktnähe, ja geradezu eine Vermischung der Interessen. Mögliche künftige Anwendungen würden heute spürbar stärker als in der Vergangenheit als Argument für die Unterstützung eines Projekts herangezogen – Überzeugen durch Versprechen. „Neue Technologien sind ein zentraler Wirtschaftsfaktor“, meinte Ulrike Felt. Wissenschaftspolitische Schwerpunktsetzungen, wie die Nanotechnologie in der EU, würden heute klar anwendungsorientiert vorgenommen.

Es sei naiv anzunehmen, dass Forscher wie vielleicht noch im 17. Jahrhundert „einsame Gentlemen“ seien und nichts und niemandem als dem Wissen verpflichtet. Zukunftsszenarien waren immer ein Motor der Forschung und werden es bleiben. Jedoch bestehen im Zeitalter der unübersehbaren Verflechtungen von Wissenschaft, Medien, Ökonomie und Politik neue, machtvolle und schwer kontrollierbare Konstellationen, die entscheiden, welche Zukunftsszenarien in Umlauf kommen und welche nicht, hielt die Wissenschaftsforscherin fest. - Für Forschende mit offenen Augen und kritischem Geist scheint es lohnenswert, sich dessen zumindest bewusst zu werden.


Literaturhinweise:
Website des Collegium Helveticum zu seinem wissenschaftlichen Gast: www.collegium.ethz.ch/guest/ulrike_felt.de.html



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