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Publiziert: 28.11.2002 06:00

Auf den Spuren der Studentenverbindungen
Spagat zwischen gestern und heute

Studentenverbindungen sind Auffangbecken für engstirnige Traditionalisten des rechten Politspektrums, die dem Bierkonsum in Unmengen frönen. Denkt mancher zumindest. ETH Life hat sich auf dem Hochschulplatz Zürich umgesehen und traf auf ein lebendiges Phänomen zwischen gesellschaftlichem Anachronismus und neuzeitlichem Networking.

Von Silvan Lerch

Abrupt verstummen die angeregten Diskussionen im gut gefüllten Lokal: Da erdreistet sich doch tatsächlich ein Gast, mit raumfüllender Stimme und viel Mühe ein antiquiertes Lied zum Besten zu geben! Verdutzte Blicke suchen nach der Ursache der Lärmquelle. Bei einem stramm stehenden jungen Mann in Anzug, mit Band und Mütze werden sie fündig. Unmut macht sich breit. „Oh Gott, eine Studentenverbindung!“, scheinen allenthalben schüttelnde Köpfe zu denken.

Auffälliges Gebaren

Mario Strebel, ehemaliger Präsident der Studentenverbindung AV Turicia, lächelt, als er diese Anekdote vernimmt. „Ich gebe ja zu, von aussen mögen Studentenverbindungen in der heutigen Zeit tatsächlich etwas eigenartig wirken, im Innern sieht dies aber ganz anders aus.“ Sogleich zählt der zukünftige Jurist die für ihn entscheidenden Vorteile eines Beitritts auf: das Le-bensbundprinzip, das immer währende Freundschaft unter den Mitgliedern garantieren soll, den interdisziplinären Austausch unter den Angehörigen und den Kontakt mit den Altherren. Auf der Homepage der Turicer wird gar ein „wertvolles und tragfähiges Beziehungsnetz für Studium und Berufsleben“ versprochen, die Verbindung als „geistige Heimat in einem Kreis Gleichgesinnter“ bezeichnet.

Tradition in Holz gemeisselt - der ehrwürdige Stammtisch ist ein wichtiges Utensil im Leben der Studentenverbindungen. gross

Prüfung als Eintrittshürde

Wer sich dem Kreis der konfessionell und politisch neutralen Rodensteinern anschliessen möchte, dem steht ein spezielles Aufnahmeprozedere bevor. Als Treuebeweis fordern sie von Beitrittswilligen das Ablegen einer Fechtprüfung. Dabei erklärt der für den Nachwuchs zuständige Fuxmajor Andrej Jakovac, dass sie als frei schlagende Sängerschaft im Fechten ausschliesslich eine sportliche Betätigung sähen... Einblick ins Training erhält man dennoch nicht. Er bleibt dem „Inner Circle“ von 9 aktiven Männern vorbehalten.

Kreis von Freigeistern

So offen sich die Rodensteiner im Interview geben, in diesem Punkt ist mehr als ein Hauch von Ver-schlossenheit zu erkennen - wie bei der nicht vorhandenen Öffentlichkeitsarbeit. Jakovac hält fest, dass „es nicht darum geht, stets neue Mitglieder zu werben“. Qualität vor Quantität heisst das Motto, Mund-zu-Mund-Propaganda das dafür als geeignet erachtete Mittel. Vehement streitet der Vorstand indes ab, sich für eine elitäre Spitze zu halten. Er attestiert sich jedoch eine freigeistige Haltung, die es erlaube, einen persönlichen Reifeprozess zu durchlaufen an den bloss auf Wissensvermittlung getrimmten Hochschulen.

Fechtwart Jan Leitz begründet die tiefe Mitgliederzahl zudem mit der „Multioptionsgesellschaft“. Und zündet sich eine weitere Zigarette an. „Man will halt heutzutage immer wieder Neues ausprobieren“, konstatiert Jakovac. Studentenverbindungen als lebende Anachronismen? „Aber nein“, ruft der Phil-I-er mit abgeschlossenem Studium und eigener Werbeagentur aus, „unsere Mitglieder sind doch nicht verstockt!“


Zur Geschichte der Studentenverbindungen
Ursprünglich dienten Verbindungen als Interessensgemeinschaft für Studierende gleicher Herkunft, die für den Besuch der ersten Universitäten ins Ausland reisen mussten. Mit der Gründung inländischer (deutscher) Hochschulen ab dem 14. Jahrhundert rückten statt nationaler Überlegungen konfessionelle und politische Werte in den Vordergrund. Nach dem 1. Weltkrieg endete die Blütezeit der Studentenverbindungen.



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Frauen sind bei modern ausgerichteten Verbindungen wie den Welfen voll gleichberechtigt, bei traditionell orientierten nur Zaungäste. gross

Kampf den Vorurteilen

Ob verstockt oder nicht, es gelingt ihnen nur selten, das vorherrschende Klischee der rechtsbürgerlichen Erzkonservativen zu revidieren. „Die Leute sind zu wenig tolerant, um verstehen zu wollen, dass unsere politische Unvoreingenommenheit keine leere Floskel ist“, bemerken die Rodensteiner unisono.

Dagegen scheinen sie das Vorurteil des übermässigen Bierkonsums keineswegs aus der Welt schaffen zu wollen. Insbesondere Fuxmajor und Fechtwart erwecken den Eindruck, dem Getränk aus Hopfen und Malz durchaus nicht abgeneigt zu sein – freilich nicht auf Kosten ihrer Eloquenz.

Wohl als etwas zeitgemässer wird die Verbindung der Welfen wahr genommen. Sie reklamiert für sich „moderne Formen“, die Frauen als gleichberechtigte Mitglieder ansehen und weder das Fechten noch einen Trink- oder Kleiderzwang kennen, wie es auf ihrer Homepage heisst. Bis vor kurzem war die Vorsitzende mit Karin Mathis denn auch eine Frau. „Belächelt werden wir deswegen aber nicht“, ist sie überzeugt.

Gefahr der Marginalisierung

Durch die unterschiedliche Ausgestaltung des Vereinslebens lassen die einzelnen Verbindungen also differenzierte Profile erkennen. Beinahe gänzlich geht ihnen in Zürich jedoch die Resonanz ab. An ihr gewinnen würden sie, wenn sie sich öffentlich aktiver an hochschulrelevanten Diskussionen beteiligten. Handball-Spieler Strebel muss zum Freiwurf ansetzen: „Unsere ganze Manpower verwenden wir bereits darauf, die Organisation aufrecht zu erhalten.“ Im Gegensatz zu Verbindungen in anderen Städten finden die hiesigen keinen Platz, sich über interne Gespräche hinaus politischer Themen anzunehmen. Immerhin: Seit Semesterbeginn sind vier Neumitglieder zu denTuricern gestossen - das entspricht laut Mario Strebel einer Zunahme von gut 20 Prozent. Dies sei bemerkenswert, so Strebel, herrsche in der Vereinswelt sonst doch allgemein ein Abwanderungstrend vor.

Frauen - Für und Wider

Platz finden bei den Turicern auch die Frauen nicht - ausser als Begleitung. Für Mario Strebel ist klar: „Ich schätze Frauen überaus, aber wenn sie bei uns aufgenommen werden würden, wären meine Tage als Turicer gezählt. Irgendwann möchte man doch einfach nur unter Männern sein!“ So weit wird es nicht kommen. Auch fortan werden die Verbindungen eine bescheidene Anzahl an Mitgliedern rekrutieren können - deren Herkunft vornehmlich ausserhalb Zürichs liegt. Nicht zuletzt mit dem Ziel, diesen Geborgenheit im anonymen Massenbetrieb Hochschule zu bieten. Und dem Nebeneffekt, nichts ahnende Gäste mit teils eigenwilligem Gesang aus ihren Stammlokalen zu vertreiben...


ABC der formellen Sprache
Eine kleine Auswahl der gebräuchlichsten Ausdrücke der Studentenverbindungssprache: Aktivitas: Gemeinschaft der jungen Verbindungsmitglieder (im Gegensatz zu den Altherren) Bursche: vollberechtigtes Mitglied der Verbindung Fux: Mitgliedstatus nach dem Verbindungseintritt Kneipe: offizielle Veranstaltung Senior: Präsident Vulgo: verbindungsinterner Name des Mitglieds (Voll-)Wichs: traditionelles Festgewand



Literaturhinweise:
Dachverband aller Verbindungen Zürichs: www.corporationen.ch
Adressen der erwähnten Verbindungen: www.turicia.ch; www.welfen.ch



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